Was ist Zivilisation? (eBook)

Die Zukunft des Westens und der Alte Orient
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
240 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12159-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was ist Zivilisation? -  David Wengrow
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Wie der Alte Orient dem Westen die Zukunft weist. Unsere heutige Welt hat ihren Ursprung im Alten Orient und in Ägypten. David Wengrow zeigt anschaulich, wie die Zukunft des Westens untrennbar mit der ungeheuren Dynamik der alten Zivilisationen verbunden ist, deren Erbe wir angetreten haben. Die Lehren aus diesem Zivilisationsprozess werden über das künftige Schicksal des Westens entscheiden. Der Drang nach Austausch, Vernetzung und Expansion kennzeichnet unsere Zivilisation. Der Bestseller-Autor David Wengrow beschreibt das Potenzial hemmungsloser Expansion und zeigt, wie viele Opfer Menschen bis heute im Namen einer fehlgeleiteten Vorstellung von Zivilisation in Kauf nehmen. In seinem ebenso originellen wie anregenden Vergleich der Hochkulturen entfaltet er die spannende Geschichte ihrer Entstehung und schildert ihr dynamisches Milieu: Vom »Kessel der Zivilisation« in Mesopotamien und im Alten Ägypten ausgehend, eröffnet er uns faszinierende Einblicke, was eine leistungsfähige Zivilisation ausmacht - und formuliert zugleich eine hochaktuelle Mahnung an uns heute, aus der unersättlichen Dynamik des Zivilisationsprozesses die richtigen Lehren für die Gestaltung unser Zukunft zu ziehen.

David Wengrow, geboren am 25. Juli 1972, studierte Archäologie und Anthropologie in Oxford und unterrichtet am Lehrstuhl für Vergleichende Archäologie an der Universität London. Er leitete Forschungen in Afrika und dem Mittleren Osten, ist einer der führenden Vertreter der »World Archaeology« und immer wieder zu Forschungsaufenthalten in Deutschland, u.a. an der Universität Freiburg. 2023 hat er die Albertus-Magnus-Professur in Köln inne.

David Wengrow, geboren am 25. Juli 1972, studierte Archäologie und Anthropologie in Oxford und unterrichtet am Lehrstuhl für Vergleichende Archäologie an der Universität London. Er leitete Forschungen in Afrika und dem Mittleren Osten, ist einer der führenden Vertreter der "World Archaeology" und immer wieder zu Forschungsaufenthalten in Deutschland, u.a. an der Universität Freiburg.

Einleitung: Ein Kampf der Kulturen?


Unser Thema ist die Entstehung der Zivilisation im Nahen Osten. Wir werden uns daher nicht mit der Frage beschäftigen, wie Zivilisation überhaupt möglich wurde. Ich glaube nicht, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt; auf jeden Fall ist es eher eine philosophische als eine historische Frage. Aber man kann sagen, dass das Material, das wir erörtern werden, dennoch einen einzigartigen Bezug zu dieser Frage hat.

Henri Frankfort,The Birth of Civilization in the Near East (1951)

Wir befinden uns mitten in einem regelrechten Dschihad, das heißt, wir haben die heftigsten Vorurteile eines Volkes gegen uns, das sich in einem zivilisatorischen Urzustand befindet … Wir sind hier praktisch am Zusammenbruch der Gesellschaft angelangt, und es gibt wenig, worauf man sich für ihren Wiederaufbau verlassen kann.

Aus den Tagebüchern von Gertrude Bell,Großbritanniens Orientsekretärin in Bagdad (1920)

Der Historiker Lucien Febvre warnte einmal, dass die Suche nach den Ursprüngen der »Zivilisation« mit einer Reihe gefährlicher Ausgrabungen (»sondages hasardeux«) verbunden ist. Er bezog sich dabei auf die undurchsichtige Etymologie eines Wortes, das erst im späten 18. Jahrhundert, im Zeitalter von Kaiserreich und Revolution, in die europäischen Sprachen einging. Seine Entstehung in den philosophischen Schriften der Aufklärung ist schwer zu fassen. Eines der frühesten Zeugnisse ist der dritte Band von Nicolas-Antoine Boulangers L’Antiquité dévoilée par ses usages (»Das durch seine Gebräuche aufgedeckte Altertum«), einer »kritischen Untersuchung der vornehmsten Meinungen, Zeremonien und religiösen und politischen Einrichtungen der verschiedenen Völker der Erde«. Dieses Werk, das 1766 posthum veröffentlicht wurde, gehört zu einer Reihe von hochtheoretischen Arbeiten, mit denen Boulanger versuchte, Ordnung in die komplexe Geschichte der politischen Beziehungen der Menschen zu bringen. Ein früheres Werk, Recherches sur l’origine du despotisme oriental (1761), hatte den Grundstein dafür gelegt, indem es vertrat, dass in den asiatischen Gesellschaften – sowohl in der Antike als auch in der Moderne – ein Typus von politischem Subjekt existierte, der Europa fremd war: ein Subjekt, das sich mit Leidenschaft seiner eigenen Unterdrückung hingab, das »die Ketten küsste«, die es fesselten, und das heroisch sein Leben für die Launen eines Tyrannen opferte. In L’Antiquité rät Boulanger den zeitgenössischen Verwaltungsbeamten: »Wenn ein wildes Volk zivilisiert worden ist, darf man den Akt der Zivilisation nicht dadurch beenden, dass man ihm starre und unwiderrufliche Gesetze gibt; man muss es dazu bringen, die ihm gegebene Gesetzgebung als eine Form der kontinuierlichen Zivilisation zu betrachten.«

Karte 1. Der Alte Orient

Die von Febvre gewählte archäologische Metapher ist treffend. Die Idee der Zivilisation war schon immer mit dem Wunsch nach Universalgeschichte verbunden; einer Geschichte, die über die schriftlichen Aufzeichnungen hinausgeht, die in der Zeit bis zu den Ursprüngen unserer Spezies zurückreicht, die sich räumlich ausdehnt, um die gesamte Bandbreite der gegenwärtigen menschlichen Vielfalt zu erfassen, und die – zumindest in ihren frühen Fassungen – in eine bessere Zukunft führt. Heute neigen wir wohl eher wieder zu den anti-utopischen Interpretationen der Zivilisation, die sich um die Mitte des 20. Jahrhunderts verbreiteten – Sigmund Freuds Gegenüberstellung von Kultur und sexueller Erfüllung oder Franz Steiners düstere Vision des Westens als einer Gesellschaft, die durch die Technologie zwar endlich die urtümlichen Geister des Ackers und der Wildnis gezähmt hat, aber nur um deren Dämonen tief ins Herz der Gesellschaft selbst zu treiben. Ursprünglich war Zivilisation jedoch ein zutiefst optimistisches Konzept, dessen Anhänger inbrünstig an die natürliche Tendenz der Geschichte des Menschen zu einer Synthese aus wissenschaftlicher Vernunft und moralischem Fortschritt glaubten. Bis 1798, als Napoleon Bonaparte zur Eroberung Ägyptens aufbrach, war dieses Konzept auch zu einer mächtigen Quelle politischer Rhetorik und zu einer Sache geworden, für die es sich zu sterben lohnte.

John Headley (2000) hat überzeugend dargelegt, dass die europäische Vorstellung von der menschlichen Geschichte als einem »zivilisatorischen Prozess« von universellen Dimensionen dem Gebrauch des Wortes Zivilisation selbst lange vorausging. Er findet sie zum Beispiel in den Interpretationen der griechisch-römischen »Kosmopolis« in der Spätrenaissance – eine bürgerliche Gemeinschaft, die durch die Umwandlung einer barbarischen Peripherie immer wieder neu entsteht und sich ausbreitet. Indem sie die antiken Vorstellungen von polis und civitas adaptierten, fanden jesuitische Gelehrte und Verwaltungsbeamte des 16. Jahrhunderts wie Giovanni Botero und José de Acosta einen kulturellen Kompass, an dem sie sich bei den neu »entdeckten« Völkern der nichtchristlichen Welt orientieren konnten. Auf der Grundlage technologischer Merkmale – wie etwa dem Besitz von Schrift, geplanten und dauerhaften Siedlungen, Monumentalbauten und hochentwickelten Gerätschaften für Ernährung, Kleidung und Abfallbeseitigung – galten bestimmte Heiden als weiter fortgeschritten auf dem Weg zur vollen Menschlichkeit und damit als besser für die Evangelisierung vorbereitet als andere:

In De procuranda Indorum salute hatte José de Acosta die beiden Merkmale der Alphabetisierung und der Sesshaftigkeit, vor allem aber die Alphabetisierung, zu den Hauptfaktoren für die Unterscheidung verschiedener Zivilisationsgrade innerhalb der allgemeinen Kategorie der Barbarei gemacht. So empfahlen sich die Chinesen als offensichtlich gebildete und sesshafte Menschen für die erste Kategorie, während die Mexikaner und Peruaner als sesshafte, aber nur ansatzweise schriftkundige Menschen einer mittleren Kategorie angehörten, und nomadische, schriftunkundige Völker wie die Brasilianer und Chichimeca einen prä-sozialen Zustand völliger Wildheit aufwiesen. Indem er anhand der Faktoren Alphabetisierung und Sesshaftigkeit ein religiös neutrales Maß für Zivilisation definierte, hatte Acosta in der Tat einen zerbrechlichen Rahmen geschaffen, in den sich die allgemein anerkannten und sogar bewunderten architektonischen und sozialen Merkmale der mexikanischen und der Inka-Völker einfügen ließen.

Auf dem Höhepunkt des Imperialismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert erlangte die Vorstellung von Zivilisation als einer Größe, die in allen menschlichen Gesellschaften mehr oder weniger stark ausgeprägt ist, den Status einer wissenschaftlich verifizierbaren Tatsache. Der »Rassentypus« – gemessen und klassifiziert anhand phänotypischer Merkmale wie Hautfarbe und Schädelform – wurde als exakter Indikator für den Platz einer Bevölkerung oder eines Individuums innerhalb des Spektrums der »zivilisierten« und »nicht zivilisierten« Völker angesehen. Der Status des Alten Orients als »Wiege« oder »Geburtsort« der Zivilisation war in dieser Hinsicht paradox. Er wies dieser Region eine herausragende Rolle bei der Entstehung der modernen Welt zu. Aber er implizierte auch, dass die Zivilisation seither weitergezogen war, vom Alten Orient in den modernen Westen. In den letzten Jahren des Osmanischen Reichs schrieben viele europäische Besucher des Nahen Ostens über dessen Verwahrlosung, über den Verlust der Zivilisation und den Rückfall in eine Art Urzustand. Die Vorstellung von einer »Wiege der Zivilisation« legte außerdem nahe, dass ein bedrohtes Erbe von außen beaufsichtigt werden musste, notfalls mit Gewalt (immerhin befinden sich ja in Wiegen hilflose Kleinkinder und keine mündigen Erwachsenen). Das war zum Teil eine Erklärung dafür, warum riesige Mengen von Altertümern nach Europa und Amerika gebracht werden mussten, um sie zu studieren und zu verwahren, aber es stand auch im Zusammenhang mit zeitgenössischen politischen Ereignissen (dem Zusammenbruch der osmanischen Autorität und dem Anwachsen der europäischen Militärmacht in der Region) und mit den umfassenderen intellektuellen Anliegen der viktorianischen Wissenschaft, insbesondere in Bezug auf Rasse und imperiale Eroberung.

»Die...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2023
Übersetzer Susanne Held
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Vor- und Frühgeschichte
Schlagworte Ägypten • Antike Geschichte • Aufklärung • Babylon • Kampf der Zivilisationen • Königtum • Kosmologie • Mesopotamien • Mittelmeerraum/ Geschichte • Naher Osten • Napoleon • Neolithikum • Orient • Palmyra • Stadtgeschichte • Steinzeit • Sumerer • Verhältnis von Osten und Westen • Zweistromland
ISBN-10 3-608-12159-5 / 3608121595
ISBN-13 978-3-608-12159-9 / 9783608121599
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