Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus (eBook)

Immanente Pforten zur Transzendenz

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
278 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-124852-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Körperlichkeit im theurgischen Neuplatonismus - Felix Herkert
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Der Band nimmt gewisse, mit dem Begriff Theurgie assoziierte Wandlungen innerhalb des spätantiken Neuplatonismus in den Blick. Theurgie wird vor allem als Suche nach immanenten Medien zur Verkörperung göttlicher Kräfte verstanden. Entgegen dem häufig kolportierten Bild vom weltflüchtigen Platonismus zielt die von Iamblichos und seinen Nachfolgern verfochtene Philosophie, so die Grundthese, auf Integration der körperlich-materiellen Wirklichkeitsebenen ab und das Endziel der Philosophie wird stärker unter dem Gesichtspunkt einer positiven Teilhabe am demiurgisch-kosmogonischen Werk begriffen. Diese Aufwertung von Körperlichkeit wird anhand verschiedener Aspekte - z. B. dem Symbolbegriff, der 'göttlichen Materie', aber auch des feinstofflichen Ochema-Pneuma-Konzepts - in ihrer Relevanz für das spirituelle Gesamtprofil der theurgischen Neuplatoniker erstmals umfassender untersucht. Abgerundet wird die Studie durch einen Vergleich mit ähnlichen Tendenzen im nicht-dualistischen ?ivaismus von Kaschmir.



Felix Herkert, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., Deutschland.

1 Einleitung


that the body of light come forth

from the body of fire

And that your eyes come to the surface

from the deep wherein they were sunken,

Reina – for 300 years,

and now sunken

That your eyes come forth from their caves

& light then

as the holly-leaf

[…]

„A spirit in cloth of gold“

so Merlin’s moder said,

or did not say,

left the quidity

but remembered

& from fire to crystal

via the body of light,

the gold wings assemble

[…]

A lost kind of experience?

scarcely,

O Queen Cytherea

che ʼl terzo ciel movete.

Diese Zeilen stammen von Ezra Pound, namentlich aus Canto 91. Der Dichter evoziert in der hier geschilderten Vision das neuplatonische Konzept vom lichthaften Seelenvehikel (ὄχημα-πνεῦμα). Dass Pound mit dieser Vorstellung vertraut war, ist – spätestens seit den Studien D. P. Tryphonopoulos’ und P. Liebregts’ – kein Geheimnis mehr,1 und die angeführte Stelle mag als Beispiel dafür dienen, wie uns eine zum Kernbestand antiker Theurgie gehörige Vorstellung noch in einem der monumentalsten Werke der modernen Dichtung entgegentritt. Es ist nun gewiss kein Zufall, dass besagte Vorstellung in die Cantos eingegangen ist, lassen diese sich doch, wie Tryphonopoulos gezeigt hat, als esoterischer Text lesen. Nicht nur habe Pound eine Vielzahl esoterischer Gehalte aus Platonismus, Hermetik, Gnosis, Mysterienwesen und Theosophie einfließen lassen; vielmehr durchlaufe auch der Leser in der Lektüre gleichsam einen Initiationsweg, der in Analogie zu den eleusinischen Mysterien nach dem Schema κατάβασις δρώμενα ἐποπτεία aufgebaut sei; eine Struktur, die sich auf das Gesamtgedicht wie auch auf einzelne Cantos anwenden lasse.2 In Canto 91 befinden wir uns auf dem Höhepunkt eines seelischen Dramas, bei dem Pound die Transformation der Seele im Moment ihrer göttlichen Erleuchtung ins Wort zu bringen versucht. Wenn er fragt, ob es sich hier um „A lost kind of experience“ handele und dies sogleich negativ mit „scarcely“ beantwortet, so spricht sich darin zweifelsohne sein Glaube an die Realität religiöser Erfahrungen als einer unverlierbaren menschlichen Möglichkeit aus; denn an der Wirklichkeit des θεός als eines „eternal state of mind“3 scheint Pound nie gezweifelt zu haben.

In Pounds Rekurs auf die Neuplatoniker klingen bereits einige Probleme an, deren Thematisierung vorliegende Arbeit sich zum Ziele gesetzt hat; so die Verortung jener mit dem ὄχημα-πνεῦμα verknüpften Form von Körperlichkeit innerhalb der Sphäre religiöser Erfahrung („A lost kind of experience?“) und deren Konzeptualisierung, ferner die rituelle Reinigung und der Aufstieg des sogenannten „body of light“ bzw. „body of fire“ im Kontext der Theurgie (auch Pound geht aus „from the deep wherein they where sunken“, woran sich eine Aufstiegsbewegung zum „terzo ciel“ anschließt), nicht zuletzt eine besondere Art der Wahrnehmung, die dem ὄχημα-πνεῦμα zugesprochen wird („your eyes come forth from their caves“) … All dies weist im Grunde bereits ins Zentrum eines Themenkomplexes, der in dieser Einleitung umrissen und in der Folge detaillierter durchschritten werden soll.

Der Übergang von Plotin zu Iamblichos, an dem Porphyrios zu verorten ist, in dessen Werk sich bereits manche der charakteristischen Züge des nachplotinischen Neuplatonismus4 abzeichnen, ohne indes bei ihm zu ihrer vollen Tragweite gelangt zu sein, lässt sich vor allem an folgenden Punkten festmachen: In theoretischer Hinsicht – und auf doktrinaler Ebene – lässt sich ein verstärkter Hang zur metaphysischen Binnendifferenzierung ausmachen. Damit verbunden ist das Bestreben, diverse religiöse Lehren und Vorstellungen – nicht nur klassisch-griechischer, sondern auch ägyptischer oder orientalischer Provenienz – in eine grundsätzlich von platonischen Prämissen aus formulierte Einheitsmetaphysik zu integrieren; auf formaler Ebene fällt auf, dass die Kommentarform aufblüht und zu einer bevorzugten Darstellungsform philosophischen Denkens avanciert. In praktischer Hinsicht ist eine zunehmende Hinwendung zu religiös-rituellen Elementen erkennbar, die sich in einer soteriologischen Aufwertung und Eingliederung der sogenannten Theurgie – einem auf Reinigung der Seele und deren Wiederaufstieg zu den göttlichen Ursachen abzielenden Komplex von Riten – in die philosophische Lebenspraxis niederschlägt.

In all diesen Tendenzen manifestiert sich eine im Vergleich zum Platonismus der Alten und Jüngeren („skeptischen“) Akademie, jedoch auch im Vergleich zum Mittelplatonismus5 und zu Plotin grundlegend gewandelte Verhältnisbestimmung von Tradition (bzw. Autorität), (philosophischer) Spekulation bzw. Exegese und (religiöser) Erfahrung.6 Dies wird insbesondere anhand des autoritativen Status kenntlich, den die nachplotinischen Neuplatoniker gewissen Texten zusprachen. Nicht nur Platons Dialoge wurden gleichsam als „Offenbarungen“ betrachtet, die Philosophie, Theologie und Mystagogie auf vollkommene Weise in sich vereinten;7 auch andere Schriften wie z. B. die – verschiedentlich als „Bibel der platonischen Theurgen“8 bezeichneten – Chaldäischen Orakel wurden als göttliche Offenbarungen von höchster soteriologischer Relevanz anerkannt. Diese stärkere Gebundenheit an autoritative Texte und das damit einhergehende apologetische Ansinnen dürfen indes nicht über das hohe Maß an schöpferisch-innovativer Kraft, die dem Denken der nachplotinischen Neuplatoniker zweifellos eignet, hinwegtäuschen. Nur ist es so, dass dieser schöpferische Zug heutigen Lesern nicht immer unmittelbar einsichtig sein mag, da in der gegenwärtigen Philosophie das Vorurteil weit verbreitet ist, Traditionsgebundenheit und Innovation seien bloße Gegensätze.9

Die Komplementarität zwischen philosophischer Spekulation auf höchstem Niveau einerseits und rituellen Komponenten andererseits lässt sich sowohl als „Ritualisierung“ der philosophischen Lebensform wie auch als „philosophierender Zugang“ zum Ritual, d. h. als umfassendere Reflexion auf dessen Bedeutung und Rechtfertigung, begreifen. In diesem Sinne ist die neuplatonische Hinwendung zur Theurgie keinesfalls nur eine Frage ritueller Praxis – über deren konkreten Inhalt wir im Übrigen wenig wissen –, sondern beinhaltet zugleich das Projekt einer theoretischen Legitimierung derselben. Am deutlichsten wird dies in Iamblichos’ De mysteriis, das zurecht als großangelegter Versuch einer Rehabilitierung der traditionellen paganen Religion und ihrer Orthopraxie verstanden wurde.10 Kern dieses Versuchs bildet die theoretische Abgrenzung der Theurgie von vulgärmagischen Praktiken, was durch eine spezifische Neuauslotung des Verhältnisses von Gott und Mensch bzw. ihres Zusammenspiels im Ritus erreicht werden soll. Gegen die in Porphyrios’ Brief an Anebo vorgebrachten Einwände (z. B. jenen des „Götterzwangs“) entwickelt Iamblichos ein Verständnis des rituellen Geschehens, in welchem der Mensch lediglich als Mitursache in einer von einem jeweiligen göttlichen Wesen selbst ausgehenden Intervention betrachtet wird.

Besagter ritualistic turn ging mit einigen doktrinalen Verschiebungen einher:11 Ein oftmals bemühtes und verschiedentlich untersuchtes Beispiel betrifft gewisse Wandlungen in der Seelenlehre zwischen Plotin und Iamblichos,12 so etwa Iamblichos’ Ablehnung der Lehre vom „unverkörperten Seelenteil“. Die Ablehnung dieser Lehre impliziert zugleich eine stärkere Akzentuierung der menschlichen Bedingtheit – in ontologischer wie epistemologischer Hinsicht –, die sich soteriologisch dergestalt niederschlägt, dass der Mensch sein Heil keinesfalls eigenmächtig erlangen kann, sondern auf die Macht göttlicher Hilfs- und Vermittlerwesen angewiesen bleibt; eine Auffassung, die im Grunde für alle seine Nachfolger ausschlaggebend bleiben sollte und sich in der Inthronisation der Theurgie zu einem, wenn nicht zu dem, maßgeblichen Erkenntnis- und Heilsweg widerspiegelt. Neben dieser Neuverortung der menschlichen Seele am unteren Ende einer vielgliedrigen Hierarchie göttlicher Wesen lässt sich gerade bei Iamblichos außerdem ein (in seinen Implikationen bislang weit weniger beachtetes) gewandeltes Verhältnis zu Körperlichkeit und Materie bzw. zur Sinnenwelt beobachten. Es ist letzteres Phänomen, das den Leitfaden der vorliegenden Arbeit motiviert und sich bei Iamblichos und seinen Nachfolgern in einer ganzen Anzahl von philosophischen Vorstellungen wie auch rituellen Praktiken manifestiert hat, die – so lautet die im Folgenden zu begründende Auffassung – in ihrer inneren Einheit bzw. in ihrem inneren Zusammenhang in erster Linie dann verständlich werden,...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2023
Reihe/Serie Beiträge zur Altertumskunde
ISSN
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Iamblichos • Iamblichus • Late Antiquity • Spätantike • Theurgie • Theurgy
ISBN-10 3-11-124852-6 / 3111248526
ISBN-13 978-3-11-124852-3 / 9783111248523
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