Das Geisterhaus (eBook)

Roman
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2012 | 1. Auflage
885 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73030-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Geisterhaus -  Isabel Allende
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Eine Familiensaga, die zum Welterfolg wurde: Isabel Allende erzählt die wechselhafte Geschichte der Familie des chilenischen Patriarchen Esteban Trueba und seiner hellsichtigen Frau Clara und führt uns mit der ihr eigenen Fabulierkunst durch eine Zeit, in der persönliche Schicksale und politische Gewalt eng miteinander verwoben sind. Der Erfolg dieses Buches verdankt sich dem hinreißenden Erzähltemperament Isabel Allendes: Mit Phantasie, Witz und Zärtlichkeit malt die Autorin das bunte Tableau einer Familie über vier Generationen hinweg.

<p>Isabel Allende, geboren 1942 in Lima, ist eine der weltweit beliebtesten Autorinnen. Ihre Bücher haben sich millionenfach verkauft und sind in mehr als 40 Sprachen übersetzt worden. 2018 wurde sie - und damit erstmals jemand aus der spanischsprachigen Welt - für ihr Lebenswerk mit der National Book Award Medal for Distinguished Contribution to American Letters ausgezeichnet. Isabel Allendes gesamtes Werk ist im Suhrkamp Verlag erschienen.</p>

Cover 
1 
Informationen zum Buch oder Autor 
2 
Titel 
3 
Impressum 
4 
Das Geisterhaus 5
Erstes Kapitel 7
Rosa die Schöne 7
Zweites Kapitel 87
Die Drei Marien 87
Drittes Kapitel 151
Hellsichtige Clara 151
Viertes Kapitel 211
Die Zeit der Geister 211
Fünftes Kapitel 289
Die Liebenden 289
Sechstes Kapitel 357
Die Rache 357
Siebentes Kapitel 423
Die Brüder 423
Achtes Kapitel 499
Der Graf 499
Neuntes Kapitel 533
Das kleine Mädchen Alba 533
Zehntes Kapitel 595
Die Zeit des Niedergangs 595
Elftes Kapitel 651
Das Erwachen 651
Zwölftes Kapitel 695
Die Verschwörung 695
Dreizehntes Kapitel 749
Der Terror 749
Vierzehntes Kapitel 827
Die Stunde der Wahrheit 827
Epilog 862
Inhalt 885

Zweites Kapitel


Die Drei Marien


Im Eßzimmer seines Hauses, zwischen altmodischen, abgenutzten Möbeln, die in ferner Vergangenheit einmal gute viktorianische Stücke gewesen waren, aß Esteban Trueba mit seiner Schwester Férula die gleiche fette Suppe wie alle Tage und den gleichen faden Fisch wie jeden Freitag. Bedient wurden sie von einer alten Hausangestellten, die sie in der damals noch herrschenden Tradition entlohnter Haussklaven ihr Leben lang bedient hatte. Gebückt und halb blind, aber noch energisch, kam und ging die alte Frau zwischen Küche und Eßzimmer, die Schüsseln feierlich auf- und abtragend. Doña Ester Trueba aß nicht mit ihren Kindern am Tisch. Sie verbrachte die Vormittage bewegungslos in ihrem Lehnstuhl, beobachtete durchs Fenster den Betrieb auf der Straße und sah zu, wie das Viertel, das in ihrer Jugend ein vornehmes Viertel gewesen war, im Lauf der Jahre verfiel. Nach dem Mittagessen wurde sie in ihr Schlafzimmer gebracht und halb sitzend gebettet, die einzige Stellung, die ihre Arthritis zuließ. Da blieb sie, ohne anderen Zeitvertreib als die erbauliche Lektüre ihrer frommen Heftchen über das Leben und die Wunder der Heiligen, bis zum nächsten Tag, dessen Ablauf sich routinemäßig wiederholte. Aus dem Haus kam sie nur, um an der Sonntagsmesse teilzunehmen, zu der Férula und die Angestellte sie im Rollstuhl in die zwei Straßen weiter gelegene Kirche San Sebastián fuhren.

Esteban hatte das letzte weißliche Fischfleisch aus dem Gewirr der Gräten herausgekratzt und das Besteck auf den Teller gelegt. Er saß so, wie er ging, steif, sehr aufrecht, den Kopf ein wenig nach hinten und leicht zur Seite geneigt, aus den Augenwinkeln schauend in einer Mischung aus Hochmut, Mißtrauen und Kurzsichtigkeit. Diese Haltung hätte abstoßend gewirkt, wären nicht seine Augen überraschend sanft und klar gewesen. Seine starre Haltung hätte eher zu einem kleinen Dicken gepaßt, der größer erscheinen wollte, aber er maß einen Meter achtzig und war gertenschlank. Alle Linien seines Körpers verliefen senkrecht und aufsteigend, von der scharfen Adlernase und den spitzen Augenbrauen bis zu der hohen Stirn und der nach hinten gekämmten Löwenmähne. Er ging mit großen Schritten, bewegte sich energisch und wirkte stark, ermangelte aber nicht einer gewissen Anmut in den Bewegungen. Sein Gesicht war harmonisch, trotz der abweisenden, finsteren Züge und des häufig mißlaunigen Gesichtsausdrucks. Seine hervorstechende Eigenschaft war sein Jähzorn, die Neigung, aufzubrausen und den Kopf zu verlieren. So war er schon in seiner Kindheit gewesen: mit Schaum vor dem Mund und wie ein Besessener um sich schlagend warf er sich auf den Boden und bekam vor Wut keine Luft mehr. Man mußte ihn mit eiskaltem Wasser begießen, damit er wieder zu sich kam. Später lernte er es, sich zu beherrschen, aber sein Leben lang blieb ihm der rasch aufsteigende Zorn, der nur des geringsten Anlasses bedurfte, um sich in fürchterlichen Ausbrüchen Luft zu machen.

»Ich gehe nicht in die Mine zurück«, sagte er.

Es war der erste Satz, den er bei Tisch zu seiner Schwester sprach. Er hatte es letzte Nacht beschlossen, als ihm klar wurde, daß es sinnlos war, weiter auf der Suche nach dem raschen Reichtum das Leben eines Eremiten zu führen. Er hatte die Konzession auf die Mine zwei Jahre verlängert bekommen, Zeit genug, die wunderbare Ader, die er entdeckt hatte, auszubeuten, aber kein Grund, dachte er, sich wieder in der Wüste zu begraben, selbst wenn ihn der Vorarbeiter ein wenig bestahl oder nicht so gut arbeitete wie er selbst. Ohne Rosa hatte er das ganze Leben vor sich, um reich zu werden, wenn er es schaffte, sich zu langweilen und auf den Tod zu warten.

»Irgendwas mußt du arbeiten, Esteban«, sagte Férula. »Du weißt, daß unsere Einnahmen gering sind, fast nichts, und die Medikamente für Mama sind teuer.«

Esteban sah seine Schwester an. Mit ihren üppigen Formen und dem länglichen Gesicht einer römischen Madonna war sie noch immer eine schöne Frau, aber an ihrer blassen Haut mit dem pfirsichfarbenen Schimmer und an ihren schattendunklen Augen zeigte sich schon das Häßliche der Resignation. Férula hatte die Rolle der Krankenpflegerin ihrer Mutter übernommen. Sie schlief in dem Zimmerchen neben Doña Esters Schlafzimmer, immer bereit, zu ihr zu eilen, ihr eine Medizin zu geben, sie auf den Topf zu setzen, ihr die Kissen aufzuschütteln. Sie war eine verquälte Seele. Sie fand Gefallen an Selbsterniedrigung und abstoßenden Arbeiten, und weil sie glaubte, sie würde sich durch das schreckliche Mittel, Ungerechtigkeit zu erdulden, den Himmel verdienen, säuberte sie ihrer Mutter hingebungsvoll die Geschwüre an den kranken Beinen, wusch sie, versenkte sich in ihre Gerüche und ihr Elend, beroch den Nachttopf. Und so wie sie sich selbst haßte wegen dieser perversen, heimlichen Lust, haßte sie ihre Mutter, weil sie ihr als Werkzeug diente. Sie pflegte sie klaglos, doch auf subtile Weise ließ sie sie den Preis für ihr Siechtum bezahlen. Ohne daß es offen ausgesprochen wurde, stand zwischen beiden das Faktum, daß die Tochter ihr Leben geopfert hatte, um die Mutter zu pflegen, und nur aus diesem Grund ledig geblieben war. Unter dem Vorwand, ihre Mutter sei krank, hatte Férula zwei Bewerber abgewiesen. Sie sprach nicht darüber, aber jeder wußte es. Ihre Bewegungen waren brüsk und linkisch, ihr Charakter ebenso schroff wie der ihres Bruders, nur daß das Leben und ihr Stand als Frau sie zwangen, sich zu beherrschen und am Zügel zu kauen. Sie erschien so perfekt, daß sie in dem Ruf stand, eine Heilige zu sein. Sie wurde als Vorbild zitiert wegen der Hingabe, mit der sie Doña Ester pflegte, und der Art, wie sie ihren einzigen Bruder großgezogen hatte, als die Mutter krank wurde und der Vater sie in ihrem Elend sitzenließ. Férula hatte ihren Bruder Esteban vergöttert, solange er klein war. Sie schlief bei ihm, badete ihn, führte ihn spazieren; von früh bis spät nähte sie für fremde Leute, damit sie seine Schule bezahlen konnte. Sie hatte vor Wut und Ohnmacht geweint, als Esteban eines Tages eine Stelle in einem Notariat antreten mußte, weil ihr Verdienst nicht einmal mehr zum Essen reichte. Sie hatte ihn ebenso gepflegt und bedient wie jetzt ihre Mutter, und auch um ihn zog sie das unsichtbare Netz des schlechten Gewissens und der unbeglichenen Dankesschuld. Der Junge begann sich von ihr zu lösen, sobald er lange Hosen anzog. Esteban konnte sich noch genau an den Moment erinnern, in welchem ihm klar wurde, daß seine Schwester ein Schatten des Verhängnisses war. Es war, als er seinen ersten Lohn bekam. Er hatte beschlossen, fünfzig Centavos für sich zu behalten, um sich einen Traum zu verwirklichen, den er seit seinen Kindertagen mit sich herumtrug: er wollte einen Wiener Kaffee trinken. Durch die Fenster des Hotel Francés hatte er die Kellner mit den über den Köpfen balancierten Tabletts herumgehen und diese Köstlichkeiten servieren sehen: schlanke Kristallgläser mit turmhoher Schlagsahne und obendrauf eine kandierte Kirsche. Am Tag seines ersten Lohns ging er viele Male an dem Lokal vorbei, ehe er einzutreten wagte. Zuletzt betrat er schüchtern die Schwelle, die Mütze in der Hand, und ging weiter bis in den luxuriösen Speisesaal mit den Kristallüstern und den Stilmöbeln. Er hatte das Gefühl, daß alle Leute ihn ansahen, daß tausend Augen auf seinen zu engen Anzug und seine alten Schuhe starrten. Er setzte sich auf den Rand eines Stuhls, und die Ohren brannten ihm, als er mit fast unhörbarer Stimme die Bestellung aufgab. Voll Ungeduld wartete er, im Spiegel das Kommen und Gehen der Leute beobachtend, und kostete schon im voraus das Vergnügen, das er sich so oft ausgemalt hatte. Und sein Wiener Kaffee kam, viel eindrucksvoller, als er ihn sich vorgestellt hatte, großartig, köstlich, mit drei Honigplätzchen garniert. Lange betrachtete er ihn fasziniert. Endlich faßte er sich ein Herz und tauchte, seufzend vor Glück, den langstieligen Löffel in die Sahne. Das Wasser stand ihm im Mund, aber er war bereit, diesen Augenblick so lange wie möglich dauern zu lassen, ihn unendlich auszudehnen. Er begann zu rühren, er sah, wie sich die dunkle Flüssigkeit im Glas mit dem Schaum vermischte. Er rührte, rührte, rührte … Und plötzlich stieß die Löffelspitze gegen das Glas, ein Loch entstand, durch das unter Druck der Kaffee herausschoß. Er floß auf seine Kleider. Entsetzt sah Esteban, wie sich unter den amüsierten Blicken der Gäste an den anderen Tischen der ganze Inhalt des Glases über seinen einzigen Anzug ergoß. Bleich vor Enttäuschung stand er auf und verließ das Hotel, um fünfzig Centavos leichter und hinter seinen Schritten ein Rinnsal Wiener Kaffees auf dem weichen Teppich hinterlassend. Durchnäßt, wütend, außer sich kam er zu Hause an. Als Férula erfuhr, was geschehen war, kommentierte sie erbittert: »Das ist dir passiert, weil du das Geld für Mamas Medikamente für deine Kaprizen ausgibst. Gott hat dich gestraft.« In diesem Augenblick sah Esteban mit aller Deutlichkeit die Mechanismen, deren sich seine Schwester bediente, um ihn zu beherrschen, die Art, durch die sie erreichte, daß er sich schuldig fühlte, und er begriff, daß er sich von ihr absetzen mußte. In dem Maße aber, in dem er sich aus ihrer Vormundschaft befreite, wurde er Férula unsympathisch. Die Freiheit, die er als Mann genoß, schmerzte sie wie ein Vorwurf, wie eine Ungerechtigkeit. Als er sich in Rosa verliebte und Férula ihn verzweifelt wie einen kleinen Jungen um Hilfe bitten sah, als er sie brauchte, im Haus hinter ihr herlief, um sie anzuflehen, sie solle doch den Kontakt zur Familie del Valle aufnehmen, mit Rosa sprechen, die Nana bestechen,...

Erscheint lt. Verlag 2.8.2012
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Belletristische Darstellung • Chile • Erzähltemperament • Fabulierkunst • Familie • Geschichte 1900-1975 • Liebe • politische Umbrüche • Schicksal • ST 4385 • ST4385 • suhrkamp taschenbuch 4385 • Welt-Bestseller
ISBN-10 3-518-73030-4 / 3518730304
ISBN-13 978-3-518-73030-0 / 9783518730300
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