Der Report der Magd (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-97059-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Report der Magd -  Margaret Atwood
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Die provozierende Vision eines totalitären Staats, in dem Frauen keine Rechte haben: Die Magd Desfred besitzt etwas, was ihr alle Machthaber, Wächter und Spione nicht nehmen können, nämlich ihre Hoffnung auf ein Entkommen, auf Liebe, auf Leben ... Margaret Atwoods »Report der Magd« ist ein beunruhigendes und vielschichtiges Meisterwerk, das längst zum Kultbuch avanciert ist.

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Autorinnen unserer Zeit. Ihr »Report der Magd« wurde für inzwischen mehrere Generationen zum Kultbuch. Zudem stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Lyrikband »Innigst«.

Margaret Atwood, geboren 1939 in Ottawa, gehört zu den bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit. Ihr "Report der Magd" wurde zum Kultbuch einer ganzen Generation. Bis heute stellt sie immer wieder ihr waches politisches Gespür unter Beweis, ihre Hellhörigkeit für gefährliche Entwicklungen und Strömungen. Sie wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem renommierten Man Booker Prize, dem Nelly-Sachs-Preis, dem Pen-Pinter-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Margaret Atwood lebt in Toronto.

Kapitel zwei


Ein Stuhl, ein Tisch, eine Lampe. Darüber, an der weißen Zimmerdecke, ein Relief-Ornament: ein Kranz und in der Mitte eine leere Fläche, zugegipst, wie die Stelle in einem Gesicht, wo ein Auge herausgenommen worden ist. Dort muss einmal ein Kronleuchter gehangen haben. Sie haben alles entfernt, woran man einen Strick befestigen könnte.

Ein Fenster, zwei weiße Gardinen. Unter dem Fenster ein Fenstersitz mit einem kleinen Kissen. Wenn das Fenster einen Spalt geöffnet ist – es lässt sich nur einen Spalt öffnen –, kann die Luft herein und die Gardinen bewegen. Ich kann auf dem Stuhl sitzen oder auf dem Fenstersitz, mit gefalteten Händen, und zuschauen. Auch Sonnenlicht strömt durch das Fenster herein und fällt auf den Fußboden, der aus Holz ist, schmale Dielenbretter, auf Hochglanz poliert. Ich rieche das Bohnerwachs. Auf dem Fußboden liegt ein Teppich, oval, aus Stoffresten geflochten. Das ist die Note, die sie mögen: Volkskunst, archaisch, von Frauen in ihrer Freizeit gemacht aus Dingen, die sonst nicht mehr zu gebrauchen sind. Eine Rückkehr zu traditionellen Werten. Nichts entbehrt, wer der Verschwendung wehrt. Ich werde nicht verschwendet. Warum entbehre ich so viel?

An der Wand über dem Stuhl ein Bild, gerahmt, aber ohne Glas: Blumen, blaue Iris, die Reproduktion eines Aquarells. Blumen sind noch erlaubt. Ob alle von uns das gleiche Bild haben, den gleichen Stuhl, die gleichen weißen Vorhänge? Eigentum der Regierung?

Stellt euch vor, ihr wärt beim Militär, sagte Tante Lydia.

Ein Bett. Schmal, die Matratze mittelhart, darüber eine weiße Wollflockendecke. Nichts spielt sich in diesem Bett ab als Schlaf. Oder Schlaflosigkeit. Ich versuche, nicht zu viel zu denken. Wie manches andere neuerdings muss auch das Denken rationiert werden. Es gibt vieles, was kein Nachdenken verträgt. Nachdenken kann dir die Chancen verderben, und ich beabsichtige durchzuhalten. Ich weiß, warum vor dem Aquarell mit der blauen Iris kein Glas ist und warum das Fenster sich nur einen Spaltbreit öffnen lässt und warum die Fensterscheibe aus bruchsicherem Glas ist. Dass wir weglaufen, davor haben sie keine Angst. Wir würden nicht weit kommen. Es sind die anderen Fluchtwege, die, die wir in uns selbst öffnen können, sofern ein scharfer Gegenstand zur Hand ist.

Nun ja. Abgesehen von solchen Kleinigkeiten, könnte dies ein Gästezimmer in einem College sein, für die weniger vornehmen Besucher. Oder ein Zimmer in einer Pension, wie es sie in früheren Zeiten gab, für Damen in beschränkten Verhältnissen. Genau das sind wir jetzt. Die Verhältnisse sind beschränkt worden – für diejenigen von uns, die noch Verhältnisse haben.

Immerhin, ein Stuhl, Sonne, Blumen: Das darf man nicht von der Hand weisen. Ich bin am Leben, ich lebe, ich atme, ich strecke die Hand aus, geöffnet, ins Sonnenlicht. Ich bin hier nicht im Gefängnis, sondern ich genieße ein Privileg, wie Tante Lydia sagte, die in das Entweder-oder verliebt war.

 

Die Glocke, die die Zeit misst, schlägt. Die Zeit wird hier mit Glocken gemessen, wie einstmals in Nonnenklöstern. Ebenfalls wie im Nonnenkloster gibt es hier nur wenige Spiegel.

Ich stehe von meinem Stuhl auf und schiebe die Füße vorwärts ins Sonnenlicht, in ihren roten Schuhen, die keine Tanzschuhe sind, sondern flache Absätze haben, weil das besser für die Wirbelsäule ist. Die roten Handschuhe liegen auf dem Bett. Ich nehme sie und streife sie über die Hände, Finger für Finger. Alles, außer den Flügeln, die mein Gesicht umgeben, ist rot: die Farbe des Bluts, die uns kennzeichnet. Der Rock ist knöchellang, weit, zu einer flachen Passe gerafft, die sich über die Brüste spannt; die Ärmel sind weit. Die weißen Flügel sind ebenfalls vorgeschrieben: Sie sollen uns am Sehen hindern, aber auch am Gesehenwerden. Rot hat mir noch nie gestanden, es ist nicht meine Farbe. Ich nehme den Einkaufskorb und hänge ihn mir über den Arm.

Die Tür des Zimmers – nicht meines Zimmers, ich weigere mich, mein zu sagen – ist nicht zugeschlossen. Sie schließt nicht einmal richtig. Ich gehe hinaus in den gebohnerten Flur. In der Mitte ein Läufer, blassrosa. Wie ein Pfad durch den Wald, wie ein Teppich für königlichen Besuch weist er mir den Weg.

Der Läufer knickt ab und führt die Treppe hinunter, und ich folge ihm, eine Hand auf dem Geländer, das einst ein Baum war und in einem anderen Jahrhundert gedrechselt und zu warmem Glanz gerieben wurde. Spätviktorianisch ist das Haus, ein Familienwohnhaus, für eine große, reiche Familie erbaut. In der Diele steht eine großväterliche Standuhr, die Zeit austeilt, und dann kommt die Tür zu dem matronenhaften Wohnzimmer mit seinen fleischfarbenen Tönen und Anspielungen. Ein Wohnzimmer, in dem ich nicht wohne, sondern nur stehe oder knie. Am Ende der Diele, über der Haustür, befindet sich ein fächerförmiges Buntglasfenster: Blumen, rote und blaue.

Bleibt noch der Spiegel an der Dielenwand. Wenn ich den Kopf so drehe, dass die weißen Flügel, die mein Gesicht rahmen, meinen Blick in seine Richtung lenken, kann ich ihn sehen, während ich die Treppe hinuntergehe, rund, konvex, ein Pfeilerspiegel, wie ein Fischauge, und mich selbst darin, ein verzerrter Schatten, eine Parodie, eine Märchengestalt in einem roten Umhang, absteigend zu einem Moment der Unbekümmertheit, die das Gleiche ist wie Gefahr. Eine Ordensschwester, in Blut getaucht.

Am Fuß der Treppe befindet sich ein Hut- und Schirmständer aus Bugholz, lange, gerundete Holzsprossen, die sich sanft zu Haken in der Form sich öffnender Farnwedel emporschwingen. Mehrere Schirme stehen darin: ein schwarzer für den Kommandanten, ein blauer für die Frau des Kommandanten und der für mich bestimmte, der rot ist. Ich lasse den roten Schirm stehen, denn vom Blick aus dem Fenster weiß ich, dass die Sonne scheint. Ich überlege, ob die Frau des Kommandanten wohl im Wohnzimmer sitzt. Sie sitzt nicht immer. Manchmal höre ich, wie sie hin und her geht, ein schwerer Schritt und dann ein leichter und das leise Pochen ihres Gehstocks auf dem altrosa Teppich.

 

Ich gehe durch die Diele, an der Wohnzimmertür und an der Tür, die ins Esszimmer führt, vorbei. Ich öffne die Tür am Ende der Diele und gehe hindurch in die Küche. Hier herrscht nicht mehr der Geruch nach Möbelpolitur. Rita ist da. Sie steht am Küchentisch, dessen Platte mit weißer, angeschlagener Emaille überzogen ist. Sie trägt ihr übliches Martha-Kleid, das dunkelgrün ist, wie ein Chirurgenkittel in der Zeit davor. Das Kleid ist im Schnitt meinem sehr ähnlich, lang und verhüllend, aber mit einem Servierschürzchen davor und ohne die weißen Flügel und den Schleier. Sie legt den Schleier an, wenn sie ausgeht, obwohl sich niemand weiter darum zu kümmern scheint, wer das Gesicht einer Martha zu sehen bekommt. Ihre Ärmel sind bis zu den Ellbogen aufgekrempelt, sodass man ihre braunen Arme sieht. Sie ist dabei, Brot zu backen, und teilt gerade den Teig ein, ehe sie die Laibe ein letztes Mal kurz knetet und formt.

Rita sieht mich und nickt, ob zum Gruß oder einfach nur zum Zeichen, dass sie meine Anwesenheit wahrgenommen hat, ist schwer zu sagen. Sie wischt sich ihre mehligen Hände an der Schürze ab und sucht in der Küchenschublade nach dem Gutscheinheft. Stirnrunzelnd reißt sie drei Gutscheine heraus und gibt sie mir. Ihr Gesicht könnte freundlich sein, wenn sie lächeln würde. Doch das Stirnrunzeln ist nicht persönlich gemeint: Es ist das rote Kleid, was ihr missfällt, und das, wofür es steht. Sie meint, ich wäre womöglich ansteckend, wie eine Krankheit oder irgendein anderes Unglück.

Manchmal horche ich an geschlossenen Türen. In der Zeit davor hätte ich das nie getan. Ich horche nicht lange, weil ich nicht dabei ertappt werden möchte. Einmal habe ich jedoch gehört, wie Rita zu Cora sagte, sie selber würde sich nicht derartig entwürdigen.

Von dir verlangt es ja auch keiner, sagte Cora. Im Übrigen, was könntest du dagegen tun, wenn es von dir verlangt würde?

In die Kolonien gehen, sagte Rita. Man hat die Wahl.

Zu den Unfrauen, und dort verhungern und weiß Gott was sonst?, sagte Cora. Dich möchte ich sehen!

Sie palten Erbsen aus; sogar durch die fast geschlossene Tür hörte ich das leichte Aufprallen der harten Erbsen, die in die Metallschüssel fielen. Ich hörte, wie Rita ein Grunzen oder einen Seufzer von sich gab, Protest oder Zustimmung.

Immerhin tun sie es für uns alle, sagte Cora. Oder behaupten es jedenfalls. Wenn ich mich nicht hätte sterilisieren lassen, hätte es auch mich treffen können, wäre ich, sagen wir, zehn Jahre jünger. So schlimm ist es auch wieder nicht. Schwere Arbeit kannst du es nicht gerade nennen.

Besser sie als ich, sagte...

Erscheint lt. Verlag 3.4.2017
Übersetzer Helga Pfetsch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Aldous Huxley • Die Geschichte der Dienerin • George Orwell • Handmaid's Tale • Hoffnung • Kultbuch • Moderner Klassiker • Spione • totalitärer Staat • Volker Schlöndorff • Zukunftsvision
ISBN-10 3-492-97059-1 / 3492970591
ISBN-13 978-3-492-97059-4 / 9783492970594
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