Das Murmeln der Ewigkeit, Band I: Yag aus Ntho (eBook)

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2020 | 3. Auflage
100 Seiten
epubli (Verlag)
978-3-7529-7060-9 (ISBN)

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Das Murmeln der Ewigkeit, Band I: Yag aus Ntho -  Künstlername: Blaustein
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Der Bauernjunge Yag ist ein Liebhaber von Geschichten, die ihn an andere Orte tragen. Kein Wunder: Ntho, seine Heimat, ist ein winziges Dorf, isoliert durch die Herrschaft der Shel', Echsenmenschen aus der mächtigen Stadt Ushrilh. Gemeinsam mit seinen Freunden Yi und Di und dem alten Gärtner Tax begibt er sich in Spielen und Erzählungen an ferne Orte und träumt von der Rotgewandeten, einer Göttin, die am Nimmerfaden wohnt. Doch mit dem Verlust seiner Freunde wandelt sich auch das Antlitz seiner Heimat. Einen Ausweg aus dem Würgegriff von Ntho findet er in einem seltsamen Fremden, der im Verbotenen Wald lebt, sich 'Ulisses' nennen lässt und eine geheime Mission verfolgt...

Blaustein ist mit Büchern aufgewachsen - und dem Drang, selbst Geschichten zu kreieren. Ihn faszinierten große Erfinder wie Edison oder Knisters Professor Turbozahn. Später, als man meinen könnte, kam er zu der Erkenntnis, dass nicht die Welt der Naturwissenschaften aus ihm einen Erfinder machen würde, sondern die Welt der Vorstellungskraft. Blaustein arbeitet als Lehrer und möchte daher anonym bleiben. Die Kommunikation mit Leser*innen schätzt er jedoch sehr.

Wanderer im Kaukasus


Anno 1009 post Christum natum

Kairos schüttelte sich. Der Wind war eisig. Zwei Jahre waren ins Land gegangen, seit er seine Heimat zum letzten Mal gesehen hatte; vor gerade einmal zwei Monaten war er einem grausamen Tod im Barbarenland entronnen; Zwei Tage waren vergangen, seit die swanetischen Hirten ihn und seinen Begleiter verlassen hatten und zu ihren Leuten zurückgekehrt waren. Die Ehrfurcht – oder war es Mitleid? – war ihnen förmlich aus dem Gesicht gesprungen. Der junge Mann wusste jedoch selbst, wie verwegen die Reise war, die er mit seinem mehrere Jahrzehnte älteren Gefährten angetreten hatte: Den Strobilos –oder „Tausend Berg“, wie sie ihn hier nannten – wollte dieser besteigen. Seit heute Morgen kämpften sie sich eben diesen Berg hinauf, und doch wollte der verschlossene Alte, der sich Kairos einst mit dem Namen Iagos vorstellt hatte, nicht damit herausrücken, was er hier, fernab jeder Menschenseele, zu finden gedachte. Immerhin beteuerte er bei jeder Rast, dass sie nie und nimmer einen der beiden Gipfel würden erklimmen müssen. Ein schwacher Trost: Sie befanden sich auf dem höchsten Berg des Kaukasus! Unwillig stemmte er sich gegen die Steigung des Pfades, den Iagos einschlug, und der eigentlich diesen Namen nicht verdiente; Das raue Herbstwetter hielt eisern dagegen. Der Himmel war wolkenverhangen und vor zwei Stunden hatte es nach Regen ausgesehen – es war beim allmächtigen Gott weder die Jahreszeit noch das Wetter, um zu zweit mit lächerlichen Kurzschwertern bewaffnet durch Barbarenland zu wandern! Doch Kairos schuldete dem Alten einen Gefallen, genau genommen sein Leben: Ohne ihn würde sein Schädel irgendwo auf einem Pfahl in der Steppe nördlich des Kaukasus stecken und wehmütig gen Süden starren.

Kairos kam aus ärmlichen Verhältnissen, war ein anständiger armer Schlucker gewesen. Seine gute Mutter hatte ihm stets eingebläut: „Armut ist keine Ausrede für Unrecht und Reichtum kein Freischein!“ Nur einmal, da hatte ihm ein hübsches Mädchen namens Epifania den Kopf verdreht: Der Duft ihrer glänzend schwarzen Locken machte ihn betrunken, wenn er nur an sie dachte, ihr helles, klares Lachen verschaffte ihm Träume von Engeln und der Gottesgebärerin – und ihre abgründigen großen braunen Augen ließen in ihm den Glauben an Hexerei aufflammen. Dieser Erscheinung wollte er etwas bieten. Vielleicht war Liebe ja eine bessere Ausrede für Diebstahl, vielleicht auch nicht. Genau einmal hatte Kairos seine Grundsätze missachtet und die Hände nach einer hübschen Perlenkette ausgestreckt. Und genau dieses eine Mal hatte man ihn erwischt.

Anstelle von Auspeitschungen, Knüppelhieben oder gar Verstümmelungen jedoch erhielt der junge Mann eine Vorladung zum Strategos von Trapezunt! Ob er ein gläubiger Mann war, hatte der hochgewachsene byzantinische General ihn gefragt. Kairos bejahte dies eifrig, beteuerte unter frommen Tränen seine Reue und die Einmaligkeit seines Vergehens. Da erklärte ihm der Strategos mit mildem Lächeln, er werde ihm einen Auftrag erteilen, um seine Reue vor dem Allmächtigen zu bekunden: Kairos solle als Kundschafter im Königreich des umtriebigen Bagrat II. von Armeniakon Neuigkeiten sammeln über dessen Pläne, über dessen Unterstützung durch die Bevölkerung, und anschließend bei aller gebotenen Vorsicht auch Erkundungen in der Steppe nördlich des Kaukasus anstellen. Käme er zurück mit wertvollen Neuigkeiten, wäre nicht nur sein Verbrechen gesühnt – er würde sogar zum Akriten erhoben, einem Grenzsoldaten mit eigenem Stück Land! Dass der Glanz dieses Titels längst abblätterte, dass das versprochene Land mager und winzig noch obendrein war, das bekam er von wohlmeinenden Freunden zu hören, wann immer er es wagte, von seinem Auftrag zu erzählen. Doch Kairos hielt an seinem Plan fest, aus naiver Hoffnung auf etwas Glück vielleicht, oder einem unbestimmten Gefühl, dass der Allmächtige selbst ihn auf diesen Weg geschickt hatte. Rückblickend konnte er selbst das nicht mehr ganz beurteilen.

Nun, Kairos brach vor zwei Jahren auf, bahnte sich, von Abasgia am Schwarzen Meer ausgehend, seinen Weg ins Landesinnere, häufte sorgfältig und gewissenhaft Informationen in seinem Kopf an. Allabendlich sagte er diese vorm Einschlafen auf – denn schreiben hatte er nie gelernt und seine rudimentären Lesekenntnisse brachten ihm damit auch nichts. Den verstohlenen Blicken junger Frauen widerstand er tapfer – eine kleine Ikone der Gottesgebärerin, eine Gabe des Strategos, war das einzige Weibsbild, welchem er in dieser Zeit bisweilen sein Herz öffnete. Er hatte aufregende Gerüchte aufgeschnappt von den Ambitionen des abchasischen Herrschers. Mit wachsender Aufregung musste Kairos seine kühnen Hoffnungen niederringen, je mehr wichtige Neuigkeiten er aufschnappte.

Schließlich jedoch musste er miterleben, wie Bagrat II. sich zum König der Könige ernannte und nun Bagrat III. hieß. Was er bis dahin als geheime Neuigkeiten angehäuft hatte, wurde so auf einen Schlag offiziell und wäre bis zu seiner Rückkehr in Trapezunt längst altes Gewäsch.

Kairos knurrte unwillig bei dem Gedanken daran. „Rasten?“ Iagos war stehen geblieben und brüllte gegen das Pfeifen des Windes an. Der junge Soldat schüttelte den Kopf. Vor dem Alten würde er sich keine Blöße geben. Das erwies sich jedoch als echte Herausforderung. Iagos legte eine stramme Marschgeschwindigkeit vor – und schien nicht aus der Puste zu kommen. Irgendetwas musste ihm schier unerschöpfliche Energie verleihen, die Iagos jeglichen Witterungen und Gefahren trotzen ließ. Darauf angesprochen, was das sei, hatte Iagos nur leise erwidert: „Morgenrot.“ Danach hatte er stundenlang geschwiegen – und Kairos betete inständig, dass der Alte die Strapazen dieser Reise nicht für einen letzten Sonnenaufgang in schwindelerregender Höhe auf sich nahm. Kairos hakte dennoch nicht nach, denn Ehrenschuld war Ehrenschuld.

Frustriert über den Fehlschlag seines ersten Auftrages, bahnte sich der junge Mann seinen Weg in chasarisches Territorium, das Land zahlreicher barbarischer Stämme und marodierender Reiter. Doch schon als die Sonne zum zweiten Mal zur Mittagszeit über dem Kaukasus stand, fiel er – allem Ehrgeiz zum Trotz ein grüner Junge – einer Gruppe finster drein schauender Reiter in die Hände. Kairos verstand kein einziges Wort ihrer kehligen Sprache, sie verstanden ihn nicht – oder wollten ihn nicht verstehen. Stattdessen plünderten sie sein Gepäck und ließen ihn geknebelt am Rande ihres Zeltlagers liegen – unter freiem Himmel. Während die Barbaren sich zu rauen Gesängen und dem Klang fremdartiger Instrumente betranken, machte Kairos Bekanntschaft mit dem alten Iagos. Dessen Zelt war nur wenige Schritte weit von Kairos erbärmlichem Nachtlager entfernt. Der Flammenkegel des Lagerfeuers streckte sich zum finsteren Nachthimmel aus, als der Gefangene in einem kleinen Zelt ein blaues Licht bemerkte. Ein göttliches Zeichen, dachte er, und schrie und stöhnte so laut, wie er es durch seine speichelgetränkten Knebel nur vermochte. Sofort verschwand das Licht – und eine Gestalt verließ mit hektischen Schritten das kleine Zelt.

Iagos hatte sich bei den Kriegern als Zauberer, Traumdeuter und Wahrsager verdingt, als Dolmetscher, Fährtenleser und Schatzsucher, erfuhr Kairos später. Just in dieser Nacht schien der Alte der rauen Gesellschaft der Barbaren jedoch überdrüssig geworden zu sein – oder in Kairos den rechtschaffenen, frommen Griechen erkannt zu haben, dessen Wert jeden Mann in diesem Lager zehnfach aufwog. Was es auch war: Eben noch in zerfetzten Lumpen frierend im Dreck liegend, fand sich Kairos einen Wimpernschlag später auf dem warmen, sattellosen Rücken eines Pferdes wieder, neben ihm reitend der Alte mit einem gewaltigen Rucksack. Bald schon erstickte der Hufdonner die Wutschreie aus dem Zeltlager. Das Schnauben der kräftigen Tiere erfüllte ganz die Dunkelheit, weder der Alte noch Kairos sprachen ein Wort.

Erst, als sie zur Mittagszeit des neuen Tages ihren Gewaltritt beendeten, stellte Kairos fest, dass der Alte fließend Koine sprach, so sauber wie die Vornehmsten aus Konstantinopolis. Und doch sah Iagos weder wie ein Oströmer aus noch wie einer der Barbaren – zwar trug er einen ansehnlichen Bart, doch war sein ganzes Erscheinungsbild zu wild und ungepflegt, zu fremdartig die vielfach geflickten Kleidungsstücke und die Gegenstände, die an Schnüren von seinem Rucksack baumelten. Seine starken Wangenknochen und sein breiter Mund hoben ihn selbst von jenen berittenen Kriegern ab – die nun, wie Iagos mit schalkhaftem Blick bei ihrem ersten gemeinsamen Mahl erklärte, nicht mehr beritten waren. Von dem Alten erfuhr Kairos nun auch viel Wissenswertes über dies Barbarenland, etwa, dass jene Krieger sich Kiptschaks nannten und auf der Suche nach Land für ihr Volk waren. Der junge Römer hatte sein Leben – und endlich „wertvolle Neuigkeiten“, die ihm keiner mehr nehmen würde!

Kairos hielt inne. Nicht zum ersten Mal auf ihrer Reise betrachtete der alte Iagos seine rätselhafte schwarze Scheibe. „Was sagt Euch das Astrolabium? Wie weit ist es noch?“ fragte der Römer. Iagos schwieg sich über das wundersame Objekt aus, daher hatte Kairos es Astrolabium getauft – nach jenem metallischen Navigationsinstrument, das er einmal bei einem reichen Kaufmann gesehen hatte.

„Ich bin dem Ziel zum Greifen nah“, erklärte Iagos mit feierlicher Stimme. Kairos runzelte argwöhnisch die Stirn. Iagos fuhr fort: „Dort hinter dem Hügel befindet sich die Schwelle zu meiner weiteren Reise.“ Der Alte dreht durch. Kairos schluckte hastig ein hartes Stück Brot hinunter. „Ihr sagt ‚Ich‘, ‚meine Reise‘…“, bemerkte er. Der Alte lächelte geheimnisvoll. Etwas...

Erscheint lt. Verlag 2.7.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Literatur Historische Romane
Schlagworte Antike • Coming off Age • Lovecraft • Märchen • Mystery • Phantastik • Zeitreise
ISBN-10 3-7529-7060-X / 375297060X
ISBN-13 978-3-7529-7060-9 / 9783752970609
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