Mein Bruder (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
336 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27018-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein Bruder - Karin Smirnoff
Systemvoraussetzungen
8,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt - In Karin Smirnoffs Debüt geht es um das Leben. Um Liebe und Gewalt. Um das, was schön, und das, was kaputt ist. Und um das Allerwichtigste: Vergebung.
Jana fährt an den Ort ihrer Kindheit, um ihren Zwillingsbruder zu besuchen, und beschließt zu bleiben. Denn in Smalånger ist alles wie immer: Ihr Bruder trauert einer Liebe nach, die es nicht hätte geben dürfen, und trinkt zu viel, ihre Mutter lebt nach einem Schlaganfall im Pflegeheim, und ihre ehemaligen Freunde sinnen auf Rache. Und dann ist da noch John mit Augen wie schwarze Löcher, der ihr mit leidenschaftlicher Liebe, aber auch unkontrollierter Aggression begegnet und Erinnerungen an ihre Kindheit im Schatten des bedrohlichen Vaters wachruft. Ein Familiendrama, das auf dem einsamen schwedischen Land spielt - erzählt mit rauer Zärtlichkeit und einer ganz eigenen Sprache voller Leidenschaft, Spannung und Humor. Es geht um das Leben. Und um das Allerwichtigste: Vergebung.

Karin Smirnoff, geboren 1964 in Umeå, hat als Altenpflegerin, Fotografin, Karatelehrerin und Journalistin gearbeitet. Ihr Debütroman Mein Bruder (2021) wurde für den renommierten schwedischen Augustpreis nominiert und in zehn Länder verkauft. Zuletzt erschien ihr Roman Wunderkind (2023).

Eins


Ich fuhr heim zum Bruder. Nahm den Bus die Küste entlang und sprang an der EVier raus. Dann ging ich Richtung Dorf.

Der Schnee fiel dicht und verwehte die Straße. Die Flocken stürzten sich in meine niedrigen Stiefel und meine Knöchel froren wie in der Kindheit.

Mein Daumen hätte Autos anhalten können doch es kamen keine. Das Haus meines Bruders lag ein paar Kilometer entfernt bergauf.

Um mich bei Laune zu halten sang ich EvertTaube.

Unsere Eltern liebten EvertTaube und dann starben sie.

Der Wind schnitt durch meinen Mantel. Ganz oben fehlte ein Knopf und die Flocken schmolzen an meinem Hals. Ich hätte längst da sein müssen. Der Schnee machte die Landschaft anonym. War ich überhaupt schon bei EskilBrännströms vorbei. Ich stolperte singend drauflos. Solang sich der Kutter bewegt und wer hat bestimmt dass du auf die Welt kamst.

In den Schneewirbeln tauchte ein Bündel auf. Ein geduckter Mensch im Gegenwind. Erst sah ich nicht ob Mann oder Frau.

Der Wind drehte. Es schneite fäustlingsgroße Flocken. Für ein paar Sekunden war das Wesen weg dann gab der Wind wieder alles und im Auge des Sturms sah ich plötzlich wer es war.

Niemand den ich kannte.

Was ein Wetter sagte er als er näher kam und ich nickte nur. Er fragte wo ich hinwolle und ich sagte zum KippoHof.

Du musst an der Gabelung falsch abgebogen sein erklärte er hinter seinem Schal. Hättest rechts abbiegen müssen. Ich kann es dir zeigen sagte er freundlich. Zwischen dem Schal und der Mütze waren Nase und Augen zu erahnen. Ich wollte seinen Blick erhaschen doch er sah nur geradeaus.

Wir machten kehrt obwohl der Kompass in meinem Bauch das Gegenteil riet. Er bot mir seine Handschuhe an.

Es hatte schon lange niemand mehr seine Handschuhe mit mir teilen wollen. Ich verstand nicht wie ich mich hatte verlaufen können.

Wir machten kehrt und gingen zurück. Gegen den Wind gestemmt wie die Kinder von den Blauen Bergen.

Er wohnte in der Nähe und hieß John.

Ich heiße Jana sagte ich. Und will meinen Bruder besuchen.

Und dein Bruder heißt Bror erwiderte er. Ich weiß wer du bist.

Und wohin bist du unterwegs schrie ich um den Wind zu übertönen der wieder neue Kraft gesammelt hatte.

Nirgendwohin schrie er zurück. Ich mag einfach nur gern Unwetter.

Er deutete auf einen der schmaleren Wege wo immer noch schwache Spuren im Schnee zu erkennen waren.

Ich wohne ein Stück weiter in die Richtung. Komm doch kurz mit und wärm dich auf dann kannst du weitergehen wenn sich der Sturm gelegt hat.

Ich zögerte weil ich ihn nicht kannte und hätte kennen müssen. Außerdem wusste ich dass der Weg zum EskilBrännströmHof führte.

Wohnst du in dem Ödhaus fragte ich und er nickte.

Mir war nicht klar dass man dort wohnen konnte.

Hast du auch Familie oder wohnst du allein.

Da kann man nur allein wohnen antwortete er.

Der Wind peitschte mir weiter den Schnee an den Hals. Mein Gesicht war längst taub geworden. Ich folgte ihm hinein.

Er entfachte ein neues Feuer im Kamin. Holte eine rosa Wolldecke und breitete sie über mich während ich in langen Unterhosen und Unterhemd auf der gepolsterten Küchenbank saß und meine Klamotten auf einem Stuhl trockneten.

Die Decke stammt aus Umedalen erklärte er. Als die Irren aus der Anstalt auszogen gabs ne Auktion.

Das Zimmer kam mir bekannt vor und ich dachte ich musste schon einmal hier gewesen sein. Die Küche war auf eine sanfte und friedliche Weise abgewohnt. Neben der Bank gab es noch einen älteren Ausziehtisch ein paar selbstgetischlerte VästerbottenStühle eine Vitrine und eine Uhr die tickte obwohl sie falsch ging.

Er schien hier zu wohnen. Schlief vermutlich auf dem Gustavian von dem ich jetzt meine Beine herabbaumeln ließ weil meine Füße nicht bis auf den Boden kamen.

Lebst du in der Küche fragte ich und wölbte meine Hände über der heißen Tasse die er mir reichte.

Ja meistens antwortete er. Jedenfalls im Winter. Im Sommer schlafe ich auf dem Dachboden oder im Saal.

Dieser Saal fragte ich und hielt mich an einer dunklen Erinnerung fest. Hat der eine Deckenbemalung. Er nickte und schlürfte seinen Kaffee wie die Alten. Von einer Untertasse durch einen zwischen Lippen und Zähne geklemmten Zuckerwürfel.

Ich sah den Saal vor mir. Ein paar gelbe Gummistiefel auf einer schwarzen Kiste. Die man nicht öffnen konnte. Wie ich am Ende eine flache Eisenstange genommen hatte die wie eine rostige Landmarke draußen in der Erde steckte. Ich hatte sie zwischen den Deckel und die Kiste geschoben und gestemmt bis das Schloss mit einem Ruck nachgab.

Fünfundzwanzig Jahre später konnte ich mich nicht mehr erinnern was in der Kiste gewesen war. Vielleicht nichts als abgestandene Luft.

Hast du von meinem Bruder Adam gehört fragte er.

Hatte ich nicht.

Wir haben auf dem Heuboden gespielt sagte er. Haben Saltos von einem Dachbalken gemacht und sind im Heu gelandet.

Adam war ein paar Jahre älter und traute sich immer mehr als ich. Egal wie sehr ich meine Angst gebändigt hab. An jenem Tag hatte er Zigaretten geklaut und mich gefragt ob ich auch mal rauchen wollte. Um nicht kindisch zu wirken habe ich ne filterlose Glenn genommen und sie in den Mundwinkel gesteckt während mein Bruder ein Streichholz entfacht hat. Es war nicht geplant dass mir der Rauch im Hals stecken blieb und ich einen Hustenanfall bekam und meine filterlose Glenn ins Heu fallen ließ. Im Prinzip ist ne glimmende Zigarette im Heuhaufen genauso schwer zu finden wie eine Nadel.

Im frischgeernteten Heu wär die Glut vielleicht von selbst erstickt aber je mehr wir es aufgewühlt haben desto mehr Sauerstoff haben wir hineingefächelt und plötzlich sind um uns herum die Flammen hochgeschlagen.

Ich bin auf den Boden runtergestürzt und raus in die Sonne und Luft und hab den dichten Rauch wie einen Schweif hinter mir hergezogen. Bin über den Hof gerannt um Hilfe zu holen aber dann hab ich gemerkt dass Adam nicht hinterherkam und bin zurückgestürmt. Hab nach ihm gerufen. In einem Spalt zwischen Feuer und Rauch sah ich seinen Arm über den Rand des Heubodens hängen.

Der Mann verstummte und sammelte sich. Räumte ein bisschen in der Küche auf. Wischte Kaffeekrümel mit einem Lappen weg und strich sich die üppigen schwarzen Locken aus dem Gesicht. Sah mich an und erklärte.

Wahrscheinlich hatte der Rauch ihn schon dahingerafft. Ich hab die Leiter versetzt und die Luft angehalten und bin so schnell wie möglich hochgeklettert. Hab seinen Arm zu fassen bekommen und versucht den Körper runterzuziehen aber er war zu schwer und ich zu schwach.

So ist das gewesen. Ich war zu schwach um meinen Bruder zu retten. Hab nicht mal gespürt wie das Feuer in meinem Haar brannte. Hab nur die zarte Haut auf Adams totem Unterarm gespürt.

Es waren seine Stiefel die auf der Kiste standen falls du dich das fragst.

Es war eine traurige Geschichte. Ich hatte das Gefühl er log.

Die Wärme des Feuers und der heiße Kaffee machten mich dösig. Ich hätte mich anziehen und weiter zu meinem Bruder den Hügel hinaufgehen sollen aber mein Körper war schlapp und nicht bereit sich wieder in den Sturm hinauszubegeben. Ich zog die Beine zu mir aufs Sofa und versuchte darauf zu kommen was ich gerade roch. Es war nichts Unangenehmes. Mehr so wie ich mir den Duft in anderen Ländern vorstellte. Oller Mief hätte Muttern gesagt und vielleicht roch ich tatsächlich auch nur alten Schmutz wie ein Spürhund der Witterung aufnahm. Aber sosehr ich auch schnupperte ich konnte den Geruch nicht identifizieren.

Du kannst hier übernachten wenn du willst sagte er. Ich kann mir auf dem Boden ein Lager herrichten oder im Sessel schlafen.

Die Küchenbank ließ sich ausziehen und obwohl ich Körperkontakt mit Fremden nicht ertragen konnte schlug ich vor wir könnten sie teilen auch wenn es eng werden würde.

Er blies die Lampe aus. Erst in dem Moment wurde mir bewusst dass es keinen Strom im Haus gab. Eine besondere Stille breitete sich über dem dunklen Boden aus während der Wind der Sturm der Schnee und die Kälte gegen die Einfachverglasung ankämpften.

Ich konnte nur schwer schlafen. Wir lauschten unseren Atemzügen während die Stunden verstrichen. Ich lag ganz außen mit einem Bein auf dem harten Rand. Er drückte sich gegen die Lehne. Ich spürte seinen Körper als Kontur an meinem obwohl wir einander kaum berührten. Trotzdem war meine eingeatmete Luft seine ausgeatmete Luft. Als wären ...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2021
Übersetzer Ursel Allenstein
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Jeg for ner til min bror
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abhängig • Alkohol • Altern • Beerdigung • Bier • Blut • Brand • Bruder • Care • Dorf • Eifersucht • Familiengeschichte • Familientragödie • Fleisch • Geheimnis • Gemeinde • Geschwister • Gestank • Heuboden • heugabel • Inkontinenz • Jagd • Jeep • Kindheit • Konfrontation • Krankenschwester • Krankheit • Küche • Kühe • Landleben • Markennamen • Misstrauen • Muttern • #ohnefolie • ohnefolie • ohne Komma • Pfarrer • Pflegedienst • Pflegeheim • Pisse • Rückkehr • Schlaganfall • Schmerzen • Schnee • Schuld • Schweden • Schwester • Skandinavien • Stall • Sühne • Trauma • Trinker • Vatermörder • Vergebung • Vergessen • Verhängnis • Waffen • Wind • Windel • Winter • Zigaretten • Zwillinge
ISBN-10 3-446-27018-3 / 3446270183
ISBN-13 978-3-446-27018-3 / 9783446270183
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 4,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99