Sternwanderer (eBook)

Roman

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Eichborn AG (Verlag)
978-3-7517-2062-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sternwanderer -  Neil Gaiman
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Das kleine Dörfchen Wall hat eine ganz besondere Attraktion: eine unscheinbare Mauer, die durch das Land verläuft und in der sich eine Pforte in die Welt der Feen befindet. Durch diese Pforte tritt der junge Tristran, um seiner Angebeteten Victoria einen vom Himmel gefallenen Stern zu bringen. Doch bald schon muss er feststellen, dass er ist nicht der Einzige ist, der es auf diesen Stern abgesehen hat.



Neil Gaiman schreibt Bücher, Graphic Novels, Kurzgeschichten und Drehbücher, viele davon wurden Bestseller und gelten als Meilensteine fantastischer Literatur. Mittlerweile ist er mit fast jedem namhaften Preis ausgezeichnet worden, der in der englischen und amerikanischen Literatur- und Comicszene existiert. Geboren und aufgewachsen in England, lebt er inzwischen in Cambridge, Massachusetts und träumt von einer unendlichen Bibliothek.

Neil Gaiman schreibt Bücher, Graphic Novels, Kurzgeschichten und Drehbücher, viele davon wurden Bestseller und gelten als Meilensteine fantastischer Literatur. Mittlerweile ist er mit fast jedem namhaften Preis ausgezeichnet worden, der in der englischen und amerikanischen Literatur- und Comicszene existiert. Geboren und aufgewachsen in England, lebt er inzwischen in Cambridge, Massachusetts und träumt von einer unendlichen Bibliothek.

KAPITEL 2


IN DEM TRISTRAN ZUM MANN HERANWÄCHST UND EIN ÜBERSTÜRZTES VERSPRECHEN ABLEGT

Jahre vergingen.

Der nächste Feenmarkt auf der anderen Seite der Mauer wurde termingerecht abgehalten. Der achtjährige Tristran Thorn nahm nicht daran teil, sondern wurde zu sehr weit entfernten Verwandten geschickt, in ein Dorf, das einen ganzen Tagesritt entfernt war.

Doch seine kleine Schwester Louisa, die sechs Monate jünger war, durfte zum Markt. Das machte dem Jungen schwer zu schaffen, ebenso wie die Tatsache, dass Louisa vom Markt eine mit Lichtsprenkeln gefüllte Glaskugel mitbrachte, die im Zwielicht glitzerte und funkelte und ihr Schlafzimmer im Farmhaus in ein warmes, sanftes Licht tauchte. Tristran hingegen kehrte mit heftigen Masern zurück.

Kurz danach bekam die Farmkatze drei Junge: Zwei waren schwarz-weiß wie ihre Mutter, das dritte aber war winzig, hatte ein bläulich schimmerndes Fell und Augen, die je nach Laune des Tierchens ihre Farbe veränderten, von Grün zu Gold zu Lachsfarben, Purpur und Lila.

Dieses Kätzchen bekam Tristran geschenkt, als Trost dafür, dass er den Markt verpasst hatte. Die blaue Katze wuchs langsam und war das süßeste Tier der Welt; bis sie eines Abends ungeduldig das Haus zu durchstreifen begann; sie maunzte und funkelte mit den Augen, die jetzt purpurrot waren wie Fingerhut. Als Tristrans Vater dann nach einem anstrengenden Tag auf dem Feld zurückkehrte, jaulte die Katze auf, rannte aus der Tür und verschwand in der hereinbrechenden Dämmerung.

Die Wachen am Mauerdurchgang waren für die Menschen gedacht, nicht für Katzen, und so sah Tristran, der inzwischen zwölf Jahre alt war, die blaue Katze nie mehr. Eine Zeit lang war er untröstlich. Eines Abends kam sein Vater zu ihm ins Schlafzimmer und setzte sich ans Fußende seines Betts. »Jenseits der Mauer wird’s ihr bessergehen«, meinte er barsch. »Da ist sie unter ihresgleichen. Du solltest es dir nicht so zu Herzen nehmen, Junge.«

Seine Mutter sagte nichts zu dem Vorfall, aber sie sprach ohnehin wenig mit ihm, ganz gleich, um welches Thema es sich handelte. Bisweilen blickte Tristran auf und sah, wie seine Mutter ihn anstarrte, als wollte sie irgendein Geheimnis aus seinem Gesicht erraten.

Wenn er mit seiner Schwester morgens in die Dorfschule wanderte, stichelte oder quälte sie ihn wegen verschiedener anderer Dinge, beispielsweise wegen der Form seiner Ohren (das rechte Ohr lag flach am Kopf an und lief spitz zu, das linke nicht) und wegen der albernen Geschichten, die er von sich gab: Einmal erzählte er ihr, die kleinen Wölkchen, die sich bei Sonnenuntergang am Horizont scharten, seien Schafe. Da half es auch nichts mehr, dass er später behauptete, er habe nur gemeint, sie erinnerten ihn an Schafe, weil sie so weich und flauschig aussahen. Louisa lachte und neckte und stichelte gnadenlos, aber was noch schlimmer war: Sie erzählte es anderen Kindern und stiftete ihre Freunde dazu an, leise »mäh« zu rufen, wenn Tristran vorbeiging. Louisa liebte es, andere zu etwas anzustiften, und sie trieb ihren Bruder gelegentlich zur Weißglut.

Doch die Dorfschule war eine gute Schule. Unter der Leitung der Direktorin Mrs. Cherry lernte Tristran Thorn das Bruchrechnen und alles über Längen- und Breitengrade; er konnte auf Französisch nach dem Stift der Tante des Gärtners fragen und sogar nach dem seiner eigenen Tante; er konnte die Könige und Königinnen von England von Wilhelm dem Eroberer, 1066, bis Victoria, 1837, aufsagen. Er lernte lesen, und seine Handschrift war wie gestochen. Zwar kamen nur selten Reisende durchs Dorf, aber hin und wieder tauchte ein Hausierer auf, der Groschenhefte über grausige Morde, schicksalhafte Begegnungen, Schreckenstaten und erstaunliche Gefängnisausbrüche verkaufte. Die meisten Hausierer jedoch verkauften Notenblätter, zwei Stück für einen Penny. Manche Familien erwarben sie und versammelten sich am Klavier, um Lieder wie »Kirschen so reif« oder »Im Garten meines Vaters« zu singen.

So verstrichen die Tage, die Wochen und auch die Jahre. Im Alter von vierzehn Jahren erfuhr Tristran, was es mit dem Sex auf sich hatte – eine Entwicklung, die durch schmutzige Witze, geflüsterte Geheimnisse, anzügliche Balladen und durch eine vage Ahnung vorangetrieben wurde. Als er fünfzehn war, verletzte er sich den Arm, weil er vor Mr. Thomas Foresters Haus von einem Apfelbaum stürzte, genauer gesagt von dem Apfelbaum vor Miss Victoria Foresters Schlafzimmer. Zu seinem eigenen Leidwesen hatte Tristran lediglich einen kurzen, rosarot schimmernden, jedoch äußerst faszinierenden Blick auf Victoria erhascht. Das Mädchen war so alt wie seine Schwester und ohne Zweifel das schönste Mädchen im Umkreis von hundert Meilen.

Als Victoria siebzehn war – und Tristran ebenfalls –, war Tristran sicher, dass es höchstwahrscheinlich auf den ganzen Britischen Inseln, wenn nicht sogar der ganzen Welt, kein schöneres Mädchen gab, und er hätte seine Überzeugung jederzeit auch unter Einsatz körperlicher Gewalt gegen Andersdenkende verteidigt. Allerdings hätte man in Wall wohl kaum jemanden gefunden, der ihm in dieser Sache widersprach, denn Victoria verdrehte vielen Männern den Kopf und brach vermutlich manch einem das Herz.

Sie hatte die grauen Augen und das herzförmige Gesicht ihrer Mutter und die kastanienbraunen Locken ihres Vaters. Ihre Lippen waren rot, der Mund makellos geformt; ihre Wangen erröteten lieblich, wenn sie sprach. Sie hatte eine helle Haut und war absolut entzückend. Als sie sechzehn war, hatte sie sich heftig mit ihrer Mutter gestritten, denn sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, im Wirtshaus Zur siebenten Elster als Bedienungshilfe zu arbeiten. »Ich habe mit Mr. Bromios gesprochen«, erklärte sie ihrer Mutter. »Er hat nichts dagegen einzuwenden.«

»Mr. Bromios’ Meinung interessiert mich nicht«, erwiderte ihre Mutter, die ehemalige Bridget Comfrey. »Auf alle Fälle ist das kein angemessener Beruf für eine junge Dame.«

Fasziniert verfolgte das Dorf Wall die Auseinandersetzung, und jeder fragte sich, wer von beiden sich durchsetzen würde. Kein vernünftiger Mensch machte sich Bridget Comfrey zur Feindin, denn sie hatte ein Mundwerk, das, wie man im Dorf sagte, die Farbe von einem Scheunentor ätzen und die Rinde von einer Eiche schälen konnte. Im Dorf gab es niemanden, der Bridget Forester absichtlich verärgerte, und manche meinten sogar, eher würde man die Mauer zum Laufen bringen, als dass Bridget Comfrey sich umstimmen ließe.

Victoria Forester jedoch war es gewohnt, ihren Kopf durchzusetzen, und wenn alles andere scheiterte, konnte sie immer noch an ihren Vater appellieren, der sich stets auf ihre Seite schlug. Aber diesmal erlebte Victoria eine Überraschung, denn ihr Vater stellte sich hinter ihre Mutter und vertrat wie diese die Meinung, es sei unter der Würde einer wohlerzogenen jungen Dame, an der Bar der Elster zu arbeiten. Thomas Forester sprach ein Machtwort, und damit war die Sache vom Tisch.

* * *

Jeder Junge im Dorf war in Victoria Forester verliebt, und selbst manch gesetzter, glücklich verheirateter Gentleman mit grauen Sprenkeln im Bart musterte sie mit wohlwollendem Interesse, wenn er ihr auf der Straße begegnete. Dann verwandelte er sich für ein paar Augenblicke wieder in einen jungen Mann im Frühling seines Lebens und setzte seinen Weg mit federnden, beschwingten Schritten fort.

»Es heißt, sogar Mister Monday gehört zu deinen Verehrern«, sagte Louisa Thorn eines schönen Nachmittags im Mai unter den Apfelbäumen.

Fünf weitere Mädchen saßen unter oder in den Ästen des ältesten Apfelbaums, dessen dicker Stamm sich gut zum Anlehnen eignete. Sooft der Maiwind blies, schwebten rosa Blüten herab wie Schneeflocken und ließen sich auf Haar und Röcken der Mädchen nieder, während die Nachmittagssonne, die durch die Blätter schien, die Umgebung mit grünen, silbernen und goldenen Sprenkeln übersäte.

»Mister Monday«, meinte Victoria Forester verächtlich, »ist mindestens fünfundvierzig.« Sie verzog das Gesicht, um zu verdeutlichen, wie alt jemand mit fünfundvierzig Jahren aus der Perspektive einer Siebzehnjährigen ist.

»Außerdem war er auch schon verheiratet«, warf Louisas Cousine Cecilia Hempstock ein. »Ich würde keinen Mann heiraten wollen, der schon mal verheiratet war. Das ist ja, als würde jemand anderes mein eigenes Pony zureiten«, fügte sie hinzu.

»Ich finde, genau das ist der einzige Vorteil eines Witwers«, entgegnete Amelia Robinson. »Dass eine andere schon die Ecken und Kanten abgeschliffen, ihn handzahm gemacht hat, wenn man so will. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass er in seinem gesetzten Alter bestimmte Gelüste ausgelebt und befriedigt hat, was einem sicherlich so manche Demütigung erspart.«

Unterdrücktes Gekicher erhob sich inmitten der Apfelblüten.

»Trotzdem«, meldete sich jetzt Lucy Pippin zögernd zu Wort, »trotzdem wäre es doch schön, in einem großen Haus zu wohnen und einen Vierspänner zu besitzen, sodass man in der Saison nach London reisen kann oder nach Bath zur Kur oder nach Brighton ans Meer, das wöge doch auf, dass Mister Monday schon fünfundvierzig ist.«

Die anderen Mädchen kreischten und bewarfen Lucy aus vollen Händen mit Apfelblüten, und keine kreischte lauter und warf mehr Blüten als Victoria Forester.

* * *

Mit siebzehn Jahren befand sich Tristran Thorn, der nur sechs Monate älter war als Victoria, auf halbem Wege vom Knaben zum Mann und empfand beide Rollen als gleichermaßen unbehaglich. Irgendwie schien er hauptsächlich aus Ellbogen und...

Erscheint lt. Verlag 25.2.2022
Übersetzer Christine Strüh
Sprache deutsch
Original-Titel Stardust
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Abenteuer • anansi boys • Duell • Elfen • Fantasie • fantasiereich • Fantasy Bücher • Feen • Feenreich • gefallener Stern • good omens • Hexen • Hexerei • Jagd • Kampf • Königreich • Märchen • Märchenwelt • Mission • Parallelwelt • Pirat • Piratenschiff • Prinzessin • Sternschnuppe • Suche • Tristan • Tristan Thorne • Wall • Zauberei • Zauberer
ISBN-10 3-7517-2062-6 / 3751720626
ISBN-13 978-3-7517-2062-5 / 9783751720625
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