Treue Seele (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
224 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27852-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Treue Seele - Castle Freeman
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'Das Wunderbare an Castle Freemans Geschichten vom Lande ist die Lakonik, mit der sie erzählt werden.' (Deutschlandfunk) - Ein neuer Roman mit Sheriff Wing
Connie Bennett macht sich nicht viel aus dem zugezogenen Eigenbrötler Port Conway. Dass ihr Mann Cliff ausgerechnet mit ihm befreundet sein muss - sei's drum. Doch als ihre verboten schöne Halbschwester Lucy zu ihr und Cliff zieht und dem ganzen County - einschließlich Port - den Kopf verdreht, gerät so einiges aus den Fugen. Denn Lucy lässt sich nicht reinreden, schon gar nicht bei den Männern. Mit gewohnter Lakonie und einer großen Portion Ironie erzählt Castle Freeman von einer Hochzeit mit Hindernissen im hinterwäldlerischen Vermont. Bis zum Altar ist es weit und Sheriff Wing muss mehr als einmal die Ordnung wiederherstellen - auf seine Art natürlich.

Castle Freeman wurde 1944 in San Antonio, Texas, geboren. In Chicago aufgewachsen, studierte er an der Columbia University. Heute lebt er in Vermont, arbeitete als Redakteur und schreibt Short Stories und Romane. Sein Roman 'Männer mit Erfahrung' (Nagel & Kimche, 2016) wurde 2015 mit Anthony Hopkins, Julia Stiles und Ray Liotta verfilmt. Zuletzt erschienen von ihm 'Auf die sanfte Tour (Nagel & Kimche, 2017), 'Der Klügere lädt nach (Nagel & Kimche, 2018) sowie bei Hanser die Romane Herren der Lage (2021), Ein Mann mit vielen Talenten (2022) und Treue Seele (2023).

1. Die Zählung des Volkes


(Auf jeden Fall blau)

März. Die Sonne gewinnt an Höhe. Sie erreicht die Tagundnachtgleiche, steigt höher, wird stärker. Die Winde werden sanfter. Das Land wird sanfter. Es seufzt. Es belebt sich. Überall das Geräusch von rinnendem Wasser. Überall das Rutschen, Platschen, Mahlen großer Räder, die sich aufs Neue im herrlichen, allgegenwärtigen Matsch drehen.

Mit diesem Jahr beginnt ein neues Jahrzehnt. Zehn Jahre. Männer und Frauen, Veteranen und blutige Anfänger, schwärmen aus, um das Volk und seine Stämme zu zählen. Sie sind Volkszähler. Leichte Arbeit, sollte man meinen. Ja, manchmal ist sie leicht. Manchmal aber auch nicht.

Porter Conway ist kein blutiger Anfänger. Er hat schon einiges auf dem Tacho. Nicht so viel, dass man ihn hinter dem Schuppen auf Hohlblocksteinen aufbocken oder zum Hühnerstall umfunktionieren würde, aber eben doch so einiges. Ein Mann mit Erfahrung. (Na ja, in manchen Dingen.) Er hat schon in anderen, weit entfernten Bundesstaaten gezählt, wo es viele Menschen gibt. Dieses Jahr arbeitet er in dem kleinen Bundesstaat Vermont, wo er sein Alter verbringen will. Es ist ein landwirtschaftlich geprägter Staat, wo es fast gar keine Menschen gibt. Das müsste das Zählen umso leichter machen, doch das tut es nicht. Im Gegenteil, findet Conway. Je kleiner die Zahl, desto schwieriger ist das Zählen. Warum?

Er fuhr mit seinem alten Pickup auf dem zerfurchten Feldweg und hielt schlingernd neben einem noch älteren Pickup vor einem ungestrichenen Haus von der Farbe schmutzigen alten Schnees. Links vom Haus stand ein langer dunkler Wellblechschuppen, in dem man eine Bandsäge erkennen konnte, rechts war ein Maschendrahtzaun.

Conway blinzelte. Ein Maschendrahtzaun konnte nur eines bedeuten. Als er den Motor abstellte, hörte er den Hund. Er öffnete die Fahrertür und stieg in den Matsch.

Jetzt konnte er den Hund sehen. Er war hinter dem Zaun, lief laut bellend auf und ab, fixierte ihn mit wütenden, blutunterlaufenen Augen und sah aus, als würde er etwa so viel wiegen wie Conway — ein Killerhund, tödlich für Postboten und Paketausträger. Aber besonders tödlich für Volkszähler. Postboten und Heizöllieferanten kamen so oft, dass sogar ein hirnloses Vieh wie dieses Monster sich irgendwann daran gewöhnte und sie durchließ. Der Volkszähler kam alle zehn Jahre und wurde nie durchgelassen. Andererseits: In zehn Jahren war diese Bestie wahrscheinlich tot. Man durfte die Hoffnung nicht aufgeben.

Conway beugte sich wieder ins Fahrerhaus, griff nach der Erkennungsmarke mit dem langen Band und hängte sie sich um den Hals. Er nahm den Aktenordner, das Klemmbrett, die Lesebrille und zuletzt eine große Dose Desinfektionsspray, die er in die Jackentasche steckte. Nein, Conway war kein Anfänger, er wusste, worauf es ankam, und hatte, was er brauchte.

Er wandte sich zum Haus. Trotz des bellenden Hundes zeigte sich niemand. Conway ging die drei Holzstufen zur Vorderveranda hinauf und klopfte. Er wartete. Kurz darauf wurde die Tür von einem Mädchen geöffnet, vierzehn, fünfzehn Jahre alt, blond, hübsch, noch nicht ganz ohne Babyspeck, aber mit einem ernsten, unverwandten Blick, der nicht zu ihrem Alter passte.

»Ja?«, fragte sie.

»Ich bin Port Conway. Ich komme wegen der Volkszählung. Wohnst du hier?«

Das Mädchen nickte.

»Ist deine Mutter oder dein Vater zu Hause?«

»Mein Vater.«

»Kann ich ihn sprechen?«, fragte Conway. »Ich hab ein paar Fragen. Es ist wegen der Volkszählung. Für das Statistikamt. Du weißt schon, die Bundesbehörde? Es wird nur zehn Minuten dauern.«

»Nein, wird es nicht«, sagte das Mädchen.

»Wird es nicht?«

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Warten Sie hier.«

Sie ging hinein. Conway stand auf der Veranda und wartete. Eine Schönheit. Eine kleine Hinterwaldschönheit. Blaue Augen? Was machte sie hier? Der Hund war endlich still. Conway hoffte, dass er noch immer hinter dem Zaun war. Wenn so einer aufhörte zu bellen, kam er vielleicht gerade von hinten. Blaue Augen? Grün? Braun?

Das Mädchen kam wieder an die Tür, gefolgt von einem großen Mann, ein paar Jahre älter als Conway. Er hatte graue Bartstoppeln und einen dicken, harten Bauch. Conway kannte ihn; jedenfalls hatte er ihn schon mal gesehen. Seinen Namen kannte er nicht. Der Mann schob das Mädchen beiseite und baute sich einen halben Meter vor Conway auf.

»Was?«, sagte er.

»Ich bin Porter Conway«, begann Conway, aber —

»Ich weiß, wer Sie sind«, sagte der Mann. Seine Tochter stand hinter ihm im Haus.

»Ich komme wegen der Volkszählung«, fuhr Conway fort.

»Keine Volkszählung«, sagte der Mann.

»Wie bitte?«

»Ich sagte: keine Volkszählung. Keine Schnüffler. Keine Regierungsspitzel.«

»Ich bin kein Schnüffler, Mr. …«, sagte Conway. »Sie sind Mr. ..?«

Der Mann zeigte auf ein Schild, das am Dach des Schuppens hing. Conway las:

A. S. BENNETT & CO.

HOLZ

»Ich bin kein Schnüffler, Mr. Bennett«, sagte Conway. »Ich muss Ihnen nur ein paar Fragen stellen. Sechs Fragen. Es dauert nur ein paar Minuten.«

»Mir ist egal, was Sie müssen«, sagte Bennett. »Ich will, dass Sie verschwinden. Wissen Sie was: Treiben Sie doch eine schwarze Familie auf. Die können Sie dann zählen. Drüben in Grafton wohnen ein paar. Fahren Sie hin. Treiben Sie ein paar Nigger auf. Oder Mexikaner. Oder Chinesen. Oder irgendwelche Kanaken. Kameltreiber. Araber. Treiben Sie ein paar Araber auf und zählen Sie die. Zählen Sie sie drei-, viermal, na los. Wir beide wissen doch, dass es das ist, was Sie hier tun — also tun Sie’s.«

»Was ist denn das, von dem wir beide wissen, dass ich es hier tue?«

»Sie wollen beweisen, dass es mehr von denen gibt als von uns«, sagte Bennett. »Und das stimmt wahrscheinlich sogar, aber nicht hier. Noch nicht. Bei Gott, noch nicht.«

»Ich will gar nichts beweisen, Mr. Bennett«, sagte Conway. »Sie sollten sich nicht so aufregen, sonst platzt Ihnen noch eine Ader. Ich will hier nur was erledigen. Es ist ziemlich einfach und dauert nicht lange. Aber es muss nicht jetzt gleich sein — ich kann auch ein andermal kommen, wenn es Ihnen besser passt. Was wäre eine gute Zeit?«

»Für Sie gibt’s keine gute Zeit«, sagte Bennett. »Sie drehen sich jetzt um, steigen in Ihren Wagen und schaffen Ihren Schnüfflerarsch von meinem Grundstück. Ich muss Ihnen keine Fragen beantworten.« Sein großes Gesicht hatte sich gerötet.

»Genau genommen schon«, sagte Conway. Er schwenkte die Erkennungsmarke, die an dem Band um seinen Hals hing. »Handelsministerium der Vereinigten Staaten«, sagte er. »Abteilung für Volkszählung. Ich bin ein Volkszähler im Auftrag des Handelsministeriums, das wiederum zur Bundesregierung gehört. Sie haben sicher mal davon gehört. Von der Bundesregierung, meine ich.«

»Hab ich«, sagte Bennett.

»Und Bundesregierung heißt: das Gesetz, Mr. Bennett, verstehen Sie?«, fuhr Conway fort. »Das allgemeine, für alle geltende Gesetz. Ich habe sechs Fragen. Ich komme nicht darum herum, sie zu stellen. Sie kommen nicht darum herum, sie zu beantworten.«

»Quatsch«, sagte Bennett. »Ich kann bei Gott tun, was ich will. Ich kann zum Beispiel das Tor da aufmachen und den Hund auf Sie loslassen. Das kann ich.«

»Aber das wollen Sie nicht«, sagte Conway.

»Ach, nein? Und warum nicht?«

Conway zog das Desinfektionsspray aus der Tasche, zeigte es Bennett und schüttelte es. »Wenn Sie das tun«, sagte er, »haben Sie einen blinden Hund. Den blinden Hund kriegen Sie sofort. Der Sheriff und seine Deputies sind noch vor dem Abendessen hier. Und bis zum Wochenende müsste dann auch die Klage zugestellt sein.«

»Scheiß drauf«, sagte Bennett. Sein Gesicht war jetzt...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2023
Übersetzer Dirk van Gunsteren
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel True Minds
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Bauernschläue • Demenz • Erfahrung • Familie • Freundschaft • Geschwister • Hillbilly • Hinterwäldler • Hochzeit • Humor • Lakonie • Liebesgeschichte • Lucian Wing • Sheriff • Treue • Vergangenheit • Vermont • Verrücktheit • Witz
ISBN-10 3-446-27852-4 / 3446278524
ISBN-13 978-3-446-27852-3 / 9783446278523
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