E-Book 201-250 (eBook)
5000 Seiten
Martin Kelter Verlag
978-3-7409-9679-6 (ISBN)
»Wir wollen aber hierbleiben!«
Herausfordernd standen die fünfjährigen Zwillinge Katja und Karin vor ihrem Vater.
Professor Albert Fischer beugte sich zu den Kindern herab. »Ihr seid doch nun schon große Mädchen. Ihr müßt doch einsehen, daß das nicht geht. Es ist doch nun einmal mein Beruf, daß ich für eine ganze Zeit verreisen muß.«
»Warum mußt du das denn?« unterbrach Katja, die eine halbe Stunde vor ihrer Schwester geboren war und darum auch die Wortführerin der beiden blieb, während Karin stets wie ein kleines Echo die Meinung der »großen« Schwester unterstrich.
»Ihr wißt doch, daß ich ein Altertumsforscher bin. Weit weg von hier liegen tief in der Erde viele Dinge, die Menschen vor vielen tausend Jahren benutzt haben. Die muß ich ausgraben.«
»Warum mußt du die ausgraben?« forschte Katja weiter. »Laß die doch da liegen!«
»Aber Katja, das ist sehr wichtig, diese Sachen zu finden, damit wir wissen, wie die Menschen damals gelebt haben!«
Katja schien diese Sache immer noch nicht so notwendig zu finden, daß der Vater deshalb verreisen und sie allein lassen mußte.
»Früher bist du doch auch verreist, und wir konnten hierbleiben!« wandte sie ein und zog eine Schnute.
»Da war auch Babette bei uns, die gut für euch gesorgt hat, seit eure Mami im Himmel ist. Aber nun hat sie geheiratet und ist mit ihrem Mann in eine andere Stadt gezogen. Oder möchtet ihr, daß ich Frau Hapke wieder holen soll?«
Frau Hapke war nach Babettes Weggang kurze Zeit bei ihnen gewesen, aber weder er noch die Kinder hatten die Frau gemocht; alle waren froh gewesen, als sie von sich aus erklärte, nicht bleiben zu wollen.
»Nein, nein, bloß nicht!« schrien die Kinder abwehrend. »Aber vielleicht finden wir ja eine Frau, die genauso nett ist wie Babette?«
»Das ist schon möglich, aber das geht nicht so schnell! Seht mal, ich muß schon in wenigen Tagen weg. Wenn ich jetzt eine Frau einstelle und ihr mögt sie nachher nicht leiden, dann bin ich nicht da, und ihr müßt die ganze Zeit mit ihr leben. Wollt ihr das?«
Hilflos sahen die beiden Mädchen sich an.
»Dann könnte euch niemand helfen, wenn diese Frau häßlich zu euch ist! Und darum ist es besser, ich bringe euch in dieses schöne Kinderheim, wo viele nette Tanten sind. Da geht es euch bestimmt besser.«
Katja kaute auf ihrer Unterlippe herum.
Albert seufzte tief auf. »Nun seid mal vernünftig, und macht es mir und euch nicht so schwer.«
»Und du holst uns auch ganz bestimmt wieder ab, wenn du zurückkommst?« vergewisserte Katja sich.
»Wenn ich zurück bin, werde ich mich sofort nach einer netten Frau umsehen, die für euch sorgt, und dann kommt ihr selbstverständlich wieder nach Haus!«
Mit gesenktem Kopf trippelten die beiden Hand in Hand hinaus. Albert spürte einen feinen Stich im Herzen. Er konnte seine beiden Lieblinge ja verstehen, sie fühlten sich hier im Haus so wohl, aber was sollte er machen? Diese Expedition war ungeheuer wichtig und ließ sich auch nicht verschieben.
Er war froh gewesen, daß ihn ein Kollege auf dieses besondere Kinderheim in der Nähe von Maibach aufmerksam gemacht hatte. Dort verwaltete man die Kinder nicht nur, dort tat man alles, um auch denen, die nicht das Glück hatten, in einem intakten Elternhaus groß werden zu können, Geborgenheit und Lebensfreude zu geben.
Wie eine glückliche Fügung war es ihm erschienen, daß Frau von Schoenecker, die Sophienlust verwaltete, bei seiner vorsichtigen Anfrage sofort erklärte, zwei Plätze seien noch frei.
Die Koffer der Kinder waren bereits gepackt.
»Wenn ihr noch etwas von eurem Spielzeug einpacken wollt, dann sucht es euch heraus«, forderte er die Mädchen auf, nachdem er die Koffer in den Wagen geladen hatte.
Die beiden trotteten noch einmal in ihr gemeinsames Zimmer und kamen gleich darauf wieder heraus; Katja hatte ihren geliebten Erni im Arm und Karin den Bert.
Als die Kinder im Fond des Wagens angeschnallt waren, preßten sie die Stoffpuppen innig an sich, als müßten sie fortan dieses Stückchen Heimat ständig spüren.
»Schaut mal, wie schön es hier ist!« versuchte Albert die Kinder aufzumuntern, als er in die Allee einbog, die nach Sophienlust führte, aber die beiden schwiegen beharrlich. Im Inneren verziehen sie dem Vater nicht, daß er sie fortbrachte.
Frau Rennert, die Heimleiterin, kam ihnen auf der Treppe entgegen, als Albert den Wagen vor dem Herrenhaus anhielt.
»Sind das unsere beiden Neuankömmlinge?« wandte sie sich lächelnd an die Kinder, die die Hände fest auf dem Rücken verschränkt hielten.
»Das ist Katja«, stellte Albert vor und wies auf das kleine Mädchen mit den lustigen Rattenschwänzen. »Und dies ist Karin, ihre Zwillingsschwester.«
Frau Rennert betrachtete die beiden aufmerksam und kam sofort zu der Erkenntnis, daß Katja die Wortführerin der beiden war. Sie schaute mit wachen, skeptischen Blicken umher, während Karin den Blick gesenkt hielt.
»Willkommen, ihr beiden! Ich bin sicher, es wird euch hier gut gefallen. Ihr findet hier viele nette Spielgefährten«, versuchte Frau Rennert mit den Kindern ins Gespräch zu kommen.
Katja warf den Kopf in den Nacken. »Wir brauchen niemanden, wir haben ja uns!«
»Nun, manchmal macht es auch Spaß, mit mehreren Kindern zu spielen«, ergänzte Frau Rennert, merkte aber sofort, daß die Kinder nur mit innerem Widerstand hier waren.
»Darf ich Sie erst einmal in den Speisesaal bitten«, wandte sie sich darum jetzt an Albert. »Es ist gerade Mittagszeit bei uns, und ich lade Sie ein, mit uns zu essen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, vielen Dank!« Albert ließ sich nicht lange bitten, und die Zwillinge folgten ohne Zögern, weil der Vater ja mitging.
Vor dem Essen stellte Frau Rennert die Gäste vor.
»Das sind Katja und Karin Fischer, sie sind fünf Jahre alt und werden eine Zeitlang bei uns bleiben!«
»Kim auch fünf Jahre, Kim mit euch spielen!« Ein kleiner Junge sprang auf. Katja starrte ihn erstaunt an.
»Wie sieht der denn aus?« wandte sie sich leise an den Vater. Frau Rennert hatte es aber doch gehört und meinte ruhig:
»Kim kommt aus einem weit entfernten Land, aus Vietnam. Dort sehen alle Menschen so aus wie er. Kim braucht unsere besondere Zuwendung, er hat keine Eltern mehr und steht ganz allein.«
Zu Albert gewandt fuhr sie fort:
»Kim wurde auf besondere Weise gerettet, als seine Eltern auf der Flucht umkamen. Ein deutscher Arzt fischte ihn aus dem Meer und brachte ihn zu uns, damit wir uns seiner annehmen.«
Katja schüttelte den Kopf. »Wir wollen aber nicht mit ihm spielen, ich spiele mit Karin, und Karin spielt mit mir!«
Es klang so entschieden, daß Albert sie etwas hilflos anschaute. Frau Rennert flüsterte ihm zu: »Lassen Sie sie nur, wenn sie erst einmal ein bißchen heimisch geworden sind hier, dann ändert sich diese Einstellung sicher auch.«
Nach dem Mittagessen fragte Frau Rennert: »Möchtet ihr ein gemeinsames Schlafzimmer, oder würdet ihr gern jeder bei einem anderen Kind schlafen?«
Zu Albert gewandt fügte sie hinzu: »Manchmal ist es ganz gut, wenn Zwillinge nicht so völlig identisch leben.«
Aber die beiden Mädchen hoben entsetzt die Arme: »Nein, wir wollen zusammenbleiben!
Else Rennert wehrte ab. »Selbstverständlich könnt ihr zusammen schlafen, wenn ihr das möchtet. Ich zeige euch euer Zimmer.«
Sie führte die Besucher die Treppe hinauf und öffnete eine der vielen Türen.
Ein freundliches Zimmer mit zwei Betten, Nachtschränkchen und einem großen Kleiderschrank machte einen einladenden Eindruck.
»Die Zimmer sind nur zum Schlafen da«, erklärte Frau Rennert. »Spielen könnt ihr bei schönem Wetter draußen auf dem großen Spielplatz, bei schlechtem Wetter in unserem großen Aufenthaltsraum und im Wintergarten.«
Sie führte die Gäste überall herum. Im Wintergarten blieben die Kinder fasziniert stehen. Der Papagei Habakuk schaute sie mit schiefgelegtem Kopf neugierig an und krächzte »Habakuk lieb«.
»Der kann sprechen!« rief Katja ganz erstaunt aus, und Karin fügte hinzu: »Der kennt seinen Namen!«
»Die Kinder geben sich viel Mühe, ihm etwas Neues beizubringen«, erklärte Frau Rennert lächelnd. »Wenn euch etwas einfällt, könnt ihr es ihm auch so lange vorsagen, bis er es euch nachspricht.«
»Kann er auch unsere Namen sagen?« erkundigte sich Katja.
»Wenn ihr sie ihm oft genug vorsagt, kann das schon sein«, sagte Frau Rennert.
Als Albert sich endlich verabschiedete, gab es aber doch Tränen. »Du holst uns hier ganz bestimmt bald wieder ab?« erkundigte sich Karin schluchzend. Und Katja fügte hinzu: »Sonst laufen wir weg!«
Albert nahm seine beiden Mädchen herzlich in die Arme.
»Ihr tut ja gerade so, als wäre es hier nicht auszuhalten. Ich meine, daß es hier sehr schön ist. Seht doch mal, wie fröhlich alle anderen Kinder sind, ich glaube bestimmt, daß es euch auch bald gut gefallen wird.«
»Aber nicht so gut wie zu Haus!« setzte Katja einen Trumpf darauf.
»Ich habe euch ja versprochen, daß ihr wieder nach Haus kommt, wenn ich zurück bin. Aber ihr müßt mir nun auch versprechen, daß ihr euch bemühen werdet, bis dahin mit den anderen Kindern fröhlich zu leben. Und ihr wißt ja, Versprechen muß man halten!«
»Wir wissen ja noch nicht, ob es uns hier gefällt!« schränkte Katja schmollend ein.
»Wollt ihr denn wirklich, daß ich traurig abfahre und mir die ganze Zeit über Sorgen mache?« Er schaute die Kinder eindringlich an.
Karin, die weichere von beiden, schüttelte heftig den Kopf. »Nein, Vati, du sollst nicht traurig...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2023 |
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Reihe/Serie | Sophienlust |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Familiengeschichte • Familienroman • Familiensaga • Familienzwist • Heimatroman • Liebesgeschichte • Mami • Martin Kelter Verlag • Patricia Vandenberg • Sonnenwinkel • Sophienlust |
ISBN-10 | 3-7409-9679-X / 374099679X |
ISBN-13 | 978-3-7409-9679-6 / 9783740996796 |
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