Griechische Geschichte -  Angela Ganter

Griechische Geschichte (eBook)

Von der Bronzezeit bis zum Hellenismus
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
130 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81638-3 (ISBN)
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Griechische Geschichte ist so vielgestaltig wie der Naturraum mit seinen zahllosen Bergen, Tälern und Tausenden von Inseln, in dem sie sich entfaltete: Neben mächtigen Stadtstaaten wie Athen, Sparta oder Theben entstanden kleine, aber selbstständige Gemeinwesen und Bündnisse mit großen Territorien wie jene der Aitoler oder Archaier. Die vorliegende Einführung bietet einen gleichermaßen informativen wie anregenden Überblick über Geschichte und Geschichten, Kultur und Religion der Griechen von den Minoern bis zum Hellenismus.

Angela Ganter lehrt als Professorin für Alte Geschichte an der Universität Regensburg. Die Geschichte des archaischen und klassischen Griechenland bildet einen Schwerpunkt ihrer Forschungen.

1. Griechische Geschichte in Zeit und Raum: Historiographische Perspektiven


Am westlichen Rande der Fruchtebene, die sich nördlich des Argolischen Golfes aufspannt, entstand um 700 v. Chr. etwas Neues: eine Siedlung, die sich um einen freien Platz herum entwickelte. Nord- und südöstlich ragten in Sichtweite Ruinen gigantischen Ausmaßes in den Himmel, Zeugen einer vergangenen Zivilisation, von der die Bewohner der Ebene vierhundert Jahre nach deren Zerfall kaum noch etwas wussten. Die kyklopischen Mauern von Mykene und Tiryns können nur Götter oder Halbgötter errichtet haben, mögen viele Zeitgenossen gedacht haben: Wesen übermenschlichen Formats, die einst auf demselben Boden gewirkt hatten, den man nun in Gehöften, Weilern und Städten bewohnte.

In welchem Bezug stand die Polis Argos, die diese Ebene in archaischer (800–​500 v. Chr.) und klassischer Zeit (500–​336 v. Chr.) dominieren sollte, zu den einstigen Zentren der Bronzezeit? Die Palastanlagen von Mykene und Tiryns hatten ihre Blütezeit zwischen 1400 und 1200 v. Chr. erlebt. Nun waren sie zerfallen. Im Angesicht der Überreste aus mykenischer Zeit fragten sich Menschen wie der homerische Heros Odysseus, wer sie waren, woher sie kamen und wo die pólis ihrer Eltern sei (vgl. Hom. Od. 1,170; 8,555; 10,325; 14,187; 15,264; 19,105; 24,298). Identitäts- als Herkunftsfragen erhielten in der Umbruchszeit des 8. Jahrhunderts v. Chr. im mediterranen Raum kulturelle Brisanz, weil sich formierende Gemeinwesen über Gründungsmythen in einer heroischen Vergangenheit verankerten. Sicher war es kein Zufall, dass die Bewohner von Argos das der Göttin Hera geweihte Heraion als wichtigstes extraurbanes Heiligtum der Region gut 8 Kilometer von ihrer eigenen Siedlung entfernt am östlichen Rand der Fruchtebene etablierten, ungefähr 9 Kilometer südlich von Mykene und 11 Kilometer nördlich von Tiryns. Bezeichnenderweise befand sich das Heiligtum an einer Stelle, an der man beeindruckende Grabanlagen gefunden hatte. An diesen mutmaßlichen Ruhestätten heroischer Vorfahren demonstrierte die Polis Argos mit der Terrassierung des Geländes und schließlich dem Tempelbau, wer sie war und was sie sein wollte: ein organisiertes Gemeinwesen, das die Ressourcen für die Errichtung eines solchen Tempels aufbringen und koordinieren konnte, ein Gemeinwesen, das sich bewusst in die Tradition der sie umgebenden Heroen stellte, die Fruchtebene kontrollierte und dafür das Wohlwollen der Götter erbat.

Am Beispiel der Argolis zeigen sich grundsätzliche Herausforderungen, die sich beim Verfassen einer Griechischen Geschichte ergeben. Wie kann man Griechische Geschichte schreiben? Diese Frage ist so alt, wie es Griechische Geschichten gibt. Neu dagegen ist der Zweifel daran, ob man die Geschichte der antiken Griechen überhaupt als eine Griechische Geschichte schreiben kann. Wer waren die Griechen? Wie haben sie selbst sich verstanden und zu ihrer Identität gefunden? Lässt sich das Geschehen in tausend Poleis über einen Zeitraum von tausend Jahren als eine große Erzählung rahmen oder zerfasert historisches Geschehen in Geschichten zahlloser Städte, Ethnien und Dörfer? Die Herausforderungen sind sowohl chronologischer als auch topographisch-politischer Natur. Denn weder die Frage, wann Griechische Geschichte anfing und wann sie endete, noch die Frage, welche Räume für die Griechische Geschichte konstitutiv waren, lässt sich leicht beantworten. Über allem schwebt die Frage, wie man die Griechen als Ethnos und damit den Gegenstand einer Griechischen Geschichte fassen kann. Auf diese drei Aspekte – Periodisierung, historische Räume und Ethnogenese – konzentriert sich die folgende Einleitung, um die ‹Grammatik› zu skizzieren, mit deren Hilfe eine Griechische Geschichte erzählt werden kann.

1.1. Kein Anfang und kein Ende? Periodisierungsfragen


Periodisierungsfragen bilden den Auftakt, weil die Setzung der begrenzenden Zeithorizonte grundsätzliche Aussagen darüber verlangt, was man unter Griechischer Geschichte verstehen mag. Waren die Bewohner der mykenischen Palastanlagen bereits Griechen oder begann Griechische Geschichte erst mit dem Aufkommen der Polis? Eine Entscheidung für eine dieser beiden Alternativen wäre zu einfach, weil zeitlich gedeutete Kausalität chronologischer Abschichtung zuwiderlaufen kann; das gilt sowohl für moderne als auch für antike Wahrnehmungen von griechischer Frühzeit. Die Frage nach dem Anfang griechischer Geschichte sollte man folglich einerseits aus unserer Außenperspektive (etisch), andererseits aus der Innenperspektive antiker Lebenswelten (emisch) aufwerfen.

«Wer bist du? Woher kommst du? Wo ist die Polis deiner Eltern?», wird Odysseus wieder und wieder gefragt. In diesen Fragen erscheint die Polis als selbstverständlicher Bezugspunkt und damit implizit als Charakteristikum griechischer Zivilisation schlechthin. Herkunft wird dabei sowohl genealogisch als auch über einen Ort definiert. Bewohner der Argolis führten ihr eigenes Geschlecht auf die Vorfahren zurück, die in den prachtvollen Kuppel- oder Kammergräbern der Region bestattet waren. Während die archäologische Wissenschaft des 20. und 21. Jahrhunderts n. Chr. kulturelle Brüche sieht und betont, dass sich die bronzezeitliche Kultur in vielerlei Hinsicht grundsätzlich von dem unterscheidet, was wir als griechische Poliswelt kennen, bestand für antike Griechen angesichts der gewaltigen Ruinen zwar kein Zweifel daran, dass Menschen an diesen Stätten einst anders gelebt und gesiedelt hatten, als dies in ihrer Gegenwart der Fall war. Aber sie betonten die Kontinuität zwischen der vergangenen und der eigenen Kultur, indem sie sich als Nachfahren jener Menschen stilisierten. Während aus etischer Perspektive fraglich ist, ob man die mykenische Epoche bereits zur Griechischen Geschichte rechnen sollte, war die von uns als Bronzezeit klassifizierte Epoche aus emischer Perspektive Bestandteil der eigenen Geschichte. Die homerischen Epen sind die berühmteste Kristallisation dieser Vorstellungen. Geschichten über die Vergangenheit gestalteten die Vergangenheit aus Bedürfnissen der Gegenwart heraus neu und definierten auf diesem Weg die gegenwärtige Gesellschaft der Erzähler. Die Sagen um Troja und den umherirrenden Odysseus sollten über Jahrhunderte formative Kraft entfalten. So sagt man Alexander dem Großen (356–​323 v. Chr.) nach, er habe die Ilias als Begleitlektüre auf seinen Feldzug gen Osten mitgenommen. Alexander zog aus, um es seinen homerischen Vorbildern gleichzutun, oder besser noch: sie zu übertreffen.

Ähnliches wie für den Beginn der Griechischen Geschichte gilt für deren Ende. Man kann es nur im Plural erzählen, weil es nicht mit singulären Ereignissen wie dem Schlangenbiss, mit dem Kleopatra als letzte Herrscherin in der Nachfolge Alexanders 30 v. Chr. ihr Leben beendete und das Ende einer romfreien griechischen Welt besiegelte, gleichzusetzen ist. Weder damit noch mit der Niederlage des letzten byzantinischen Kaisers 1453 n. Chr. gegen die Osmanen endete die Geschichte der Griechen. Denn die Deutungsmacht der Philhellenen, die im 19. Jahrhundert n. Chr. vor dem Hintergrund der nationalstaatlichen Bewegungen in Europa Griechische Geschichte wiederentdeckten, ist für das heutige Verständnis von Griechischer Geschichte ähnlich formativ, wie es die Sänger der Epen für das antike Verständnis von Griechischer Geschichte waren. Gewissermaßen haben diese Philhellenen die Geschichte der Hellenen neu erfunden. Wann also fängt Griechische Geschichte an, wann hört sie auf? Im zweiten und im letzten Kapitel werde ich auf diese Periodisierungsfragen zurückkommen.

1.2. Vom Frauenraub und vom Krieg als Vater aller Dinge: Fragestellungen


«Den Zorn besinge, Göttin, des Peleus-Sohns Achilleus» (Hom. Il. 1,1), hebt die homerische Ilias an und benennt damit im allerersten Wort, über welche Fragestellung sie den altbekannten Stoff vom Krieg um Troja thematisiert. Im Zentrum des Epos steht das Verhalten von hochmögenden Aristokraten, deren Ansinnen, ständig Bester und den andern überlegen zu sein (Hom. Il. 6,208), blutige Auseinandersetzungen mit Konkurrenten um Ruhm und Ehre heraufbeschwört und dadurch ganze Gemeinden mit Tod und Vernichtung überzieht. Zugleich deutet sich in diesem ersten Vers des um 700 v. Chr. verschriftlichten Textes an, auf welche Weise man in der archaischen Dichtung Zeit strukturierte: über Genealogien von Götter- und Menschengeschlechtern, wie es die in gleicher Zeit entstandene Theogonie Hesiods exemplarisch vorführt. Der Musenanruf zu Beginn, vor allem aber das Eingreifen der Götter...

Erscheint lt. Verlag 14.3.2024
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Zusatzinfo mit 2 Karten
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Vor- und Frühgeschichte / Antike
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Alexander der Große • Alexanderzug • Antike • Dichtung • Einführung • Geschichte • Griechenland • Hellenismus • Makedonien • Minoer • Mykener • Mythologie • Peloponnesischer Krieg • Perserkriege • Politik • Ptolemäer • Raubkunst • Religion • Sachbuch
ISBN-10 3-406-81638-X / 340681638X
ISBN-13 978-3-406-81638-3 / 9783406816383
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