Im Meer bin ich zu Hause -  Nathalie Pohl,  Jan Stremmel

Im Meer bin ich zu Hause (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie ich meinem Traum folge und alleine durch die Ozeane der Welt schwimme
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Polyglott, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
978-3-8464-1011-0 (ISBN)
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Eine Frau und die größte Schwimm-Challenge der Welt: Ocean´s Seven - allein durch die gefährlichsten Meerengen weltweit: vom Ärmelkanal bis zur neuseeländischen Cookstraße. Nach vielen Rückschlägen steht die mehrfache Weltrekordhalterin Nathalie Pohl kurz davor, diese unglaubliche Herausforderung zu meistern, als erste deutsche Frau überhaupt. Bis zu 15 Stunden am Stück kämpft sie sich durch Marathonstrecken im Meer - gegen starke Strömungen und hohe Wellen, in Hai-Gewässern, nachts in völliger Dunkelheit. Die inspirierende Geschichte einer Frau, die ihre Leidenschaft fürs Schwimmen lebt - ob auf den Weltmeeren oder in Schwimmhallen, wo sie sozial benachteiligten Kindern Schwimmkurse ermöglicht. Ihr Motto: Niemals aufgeben!

Nathalie Pohl, geboren 1994 in Marburg, ist Extremschwimmerin und hält die Weltrekorde für die schnellste Durchquerung des Ärmelkanals und der Straße von Gibraltar. Derzeit stellt sie sich der Ocean´s Seven, der schwierigsten Herausforderung im Langstreckenschwimmen und steht kurz davor, als 22. Mensch überhaupt alle sieben Meerengen zu meistern.

Nathalie Pohl, geboren 1994 in Marburg, ist Extremschwimmerin und hält die Weltrekorde für die schnellste Durchquerung des Ärmelkanals und der Straße von Gibraltar. Derzeit stellt sie sich der Ocean´s Seven, der schwierigsten Herausforderung im Langstreckenschwimmen und steht kurz davor, als 22. Mensch überhaupt alle sieben Meerengen zu meistern.Jan Stremmel, geboren 1985 in Stuttgart, ist Journalist, Buchautor und Moderator. Er arbeitet für die Süddeutsche Zeitung am Wochenende, "Funk" und ProSieben. Seine Reportagen wurden mehrfach ausgezeichnet.

KAPITEL 1


Die Dunkelheit ist nicht das größte Problem. Mit ihr habe ich gerechnet. Das Problem sind die Wellen.

Seit ich die Küstenzone verlassen habe, seit die östliche Kanalströmung mich in sich aufgenommen hat und wie einen kleinen unbeleuchteten Satelliten langsam in Richtung Westen trägt, sind die Wellen unerwartet stark. Sie kommen von links, von rechts, von hinten. Manchmal aus allen Richtungen zugleich. Ich spüre, wie sie mich von unten hochheben, meinen Körper aus der Horizontalen hebeln und mich schräg nach vorne aus der Bahn werfen, mal zur einen Seite, mal zur anderen.

Korrigieren, denke ich zwischen zwei Atemzügen. Ich muss viel zu oft meine Richtung korrigieren.

Zum millionsten Mal drehe ich den Kopf unter der Achsel aus dem Wasser und inhaliere Luft – da schlägt eine Welle quer über mein Gesicht. Salzgeschmack tief im Rachen. Ich huste und spucke, ziehe krampfhaft Luft in meine Kehle und drehe mich für ein paar Sekunden auf den Rücken, um meinen Sauerstoffhaushalt zu regulieren.

So hatte ich das nicht geplant.

Über mir spannt sich ein schwarzer, sternenloser Himmel. Vom Festland ist nichts zu sehen. Hinter einem Wellenkamm blitzt das Topplicht am Mast der Sea Satin auf, des Fischerbootes, das mich begleitet. Joshua, Papa und Captain Mike müssen dort irgendwo stehen und in die Schwärze hinter der Reling starren. Ich sehe ihre angespannten Gesichter förmlich vor mir.

Aber hier im Wasser bin ich alleine.

Wieder hole ich Luft, schließe die Lippen und rotiere meinen Körper zurück auf den Bauch.

Unter mir gähnt die schwarze Unendlichkeit. Ein kaltes, gleichgültiges Universum, durch das sich Arme und Beine seit etwa drei Stunden einen Weg pflügen. Meine Arme scheinen in der Dunkelheit bei jedem Schlag unter Wasser, als wären sie aus Wachs.

Um mich zu sammeln, gehe ich in Gedanken meinen Körper durch, von den Füßen bis zum Kopf. Meine Zehen sind taub vor Kälte, so weit alles normal. Meine Beine schlagen im gewohnten Rhythmus, sind aber erschöpfter, als sie sein sollten. Das Gleiche mit Rumpf und Rücken. Die ständige Reaktion auf die Wellen kostet Kraft, die mein Körper zum Vorwärtskommen bräuchte. Und mir ist übel.

Ich versuche, mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Ablenkung. Ja, Ablenkung ist gut. Zum Beispiel Schmerzen. Habe ich welche? Ein paar Züge lang scanne ich die Signale, die meine Nervenenden an mein Gehirn senden. Da: im Nacken, in den Achseln, zwischen den Beinen. Wo seit Stunden Haut über Haut scheuert, brennt es. Die Vaseline ist längst abgewaschen.

Das Salzwasser nagt an mir.

Links, rechts, links. Atmen. Den Rhythmus kennt mein Körper im Schlaf. Rechts, links, rechts. Atmen.

Im Wasser bin ich auf Autopilot. Ich habe ihn in Millionen Zügen programmiert, seit ich ein Kind war. In zehntausend Stunden im Becken zu Hause in Marburg, auf Wettbewerben und internationalen Meisterschaften. Aber jetzt, um vier Uhr morgens im eiskalten Wasser, kommt mir eine grässliche Erkenntnis.

Für den Ärmelkanal ist das alles so gut wie nutzlos.

Im Becken gibt es keine Wellen. Keine unerwarteten Brecher, die dich von hinten treffen und dir beim Luftholen die Kehle volllaufen lassen. Im Becken wirst du nicht seekrank, auch nach sechs Stunden nicht. Im offenen Wasser aber gelten Regeln, die ich bisher noch nicht kenne.

Eine davon habe ich inzwischen verstanden: Mein Kopf ist das Problem. Ich halte ihn zu tief. Er müsste beim Luftholen viel weiter durch die Wasseroberfläche brechen, wie ein Schnorchel. Ich überlege fieberhaft, wie viel Kraft es mich kosten würde, die 32 Kilometer bis zur französischen Küste mit einer anderen Technik zu schwimmen. Da hebt mich ein Wellenberg seitlich hoch und wirft mich schräg nach vorne. Ich übergebe mich ins Meer.

Ich bin nicht abergläubisch, aber die Gräber vor dem Hotelfenster hätten mir zu denken geben sollen. Seit einer Woche übernachte ich in einem hellgrün gestrichenen Zimmer mit fleckigem Teppichboden, das direkt auf einen Friedhof blickt. Das kleine englische Hotel mit dem engen Treppenhaus liegt neben einer uralten Feldsteinkirche – und jeden Morgen, wenn ich die Vorhänge öffne, um mein Training zu beginnen, begrüßen mich ein paar Hundert Grabsteine, moosig und schief vom nassen Westwind. Wie viele der hier begrabenen Toten sind wohl im Ärmelkanal ertrunken? Tolle Gedanken, um sich morgens so richtig in Stimmung zu bringen. Ich hätte natürlich am liebsten direkt wieder ausgecheckt. Aber das »Marquis of Granby« ist das letzte Hotel, das mitten im August freie Zimmer hat.

Die Küstenstadt Dover ist berühmt für zwei Sachen: ihre weißen Klippen, die man bei gutem Wetter sogar von Frankreich aus als silbernen Streifen am Horizont erkennt. Und die Kanalüberquerung. Jeden Sommer zieht die Hafenstadt Schwimmer und Draufgänger aus der ganzen Welt an. Genau hier liegen sich das europäische Festland und die Insel Großbritannien am nächsten, 34 Kilometer.

Deshalb ist hier der einzige Ort, an dem man zu einer bestimmten Zeit im Jahr, zwischen Juni und Oktober, die legendärste und berüchtigste Herausforderung für Schwimmer überhaupt versuchen darf. Die Kanalüberquerung. Pro Jahr dürfen etwa 300 Channel Swimmers den Versuch starten. Sie sind streng ausgewählt und mussten sich teils Jahre vorher für einen Slot anmelden. Jeder startet für sich, an einem exakt festgelegten Zeitpunkt vom Shakespeare Beach, dem Strand direkt neben dem Hafen von Dover. Jeder wartet auf die ideale Verbindung aus wenig Wellengang, richtiger Strömung und Windstille. Und ich? Bin zum ersten Mal dabei und wäre auch ohne den morgendlichen Blick auf den Friedhof ganz schön aufgeregt.

Am Morgen nach der Anreise lernen meine Schwimmerkollegen und ich uns kennen. Joshua, mein Trainer, Papa und ich fahren morgens um acht im Nebel runter zum Hafen. Hier treffen sich diejenigen, die einen Slot ergattert haben, um in diesem Sommer die Überquerung zu wagen. Auf dem Parkplatz neben der Hafenmauer, die hundert Meter ins Wasser ragt, ist der Treffpunkt. Hier kommen jeden Morgen zwischen Juli und September die Schwimmer zusammen, die sich auf die Herausforderung vorbereiten.

Sie tragen Joggingklamotten, bequeme Schuhe und trinken dampfenden Tee aus Thermosbechern. Zehn Männer zwischen 30 und Mitte 50 und zwei Frauen. Alle sind gebräunt und breitschultrig wie die meisten Schwimmer, mit denen ich seit meiner frühen Kindheit so gut wie meine gesamte Freizeit verbringe.

Aber etwas ist anders. Sehr anders.

Kurz bin ich irritiert, dann wird mir klar: Es sind die Proportionen. Die Schwimmer auf diesem Parkplatz sind nicht sehnig und feingliedrig wie die meisten Beckenschwimmer. Ihre Oberkörper sind breit, aber nicht auf eine athletische, stromlinienförmige Art. Eher wie Whiskyfässer. Sogar ihre Gesichter wirken rund, wie aufgepumpt, mit roten Bäckchen. Ich habe in den letzten Monaten oft davon gehört, aber jetzt sehe ich es zum ersten Mal mit eigenen Augen: Channel Fat. Der Überlebenstrick der Kanalschwimmer.

Statt Wasserwiderstand zu reduzieren, um im Becken schneller vorwärtszukommen, essen sich Freiwasserschwimmer absichtlich Körperfett an. Das Fett ist lebenswichtig, es dient als Energiereserve und vor allem als Schutz gegen die Kälte. Das Wasser im Ärmelkanal hat im Hochsommer 15 Grad. Das ist eiskalt, Menschen sind von Natur aus nicht dafür gemacht, darin länger als ein paar Minuten auszuhalten. Im Grunde sind Kanalschwimmer menschliche Robben.

Es ist völlig klar: Ich bin zu dünn. Dabei habe ich mich monatelang mit Joshua auf die Überquerung vorbereitet. Auf Mallorca habe ich mich über Wochen hinweg an kaltes Wasser gewöhnt, in täglichen Runden vor der Küste Palmas. Erst im dicken Neoprenanzug, dann im dünneren, schließlich nur im Badeanzug. Wer den Kanal überqueren will, muss nachweisen, dass er oder sie sechs Stunden bei 15 Grad im Meer schwimmen kann. Und zwar ohne Neo, so wollen es die Regeln und die Tradition im Ärmelkanal.

Der erste Mensch, der ihn lebendig durchschwamm, hatte nämlich ebenfalls keinen Anzug – so etwas war damals noch nicht erfunden. Dieser erste erfolgreiche Kanalschwimmer war im Jahr 1875 ein englischer Seemann namens Captain Matthew Webb. Nachdem er gehört hatte, dass ein anderer Engländer vergeblich versucht hatte, den Ärmelkanal zu durchschwimmen, kündigte er seinen Job bei der Handelsmarine und fing an zu trainieren. Zwei Jahre später schmierte er sich von oben bis unten mit Schweinswalfett ein und schwamm in Dover los, begleitet von drei Ruderbooten. Er brauchte knapp 22 Stunden, bis er in Frankreich an Land kroch, weil er Strömung und Seegang falsch berechnet hatte.

Seine Durchquerung machte ihn schlagartig weltberühmt. Captain Webb ist bis heute der Held aller Freiwasserschwimmer, der Sir Edmund Hillary des Meeres. Seinetwegen also sind Neoprenanzüge verboten, darfst du nichts am Körper haben als Badeanzug, Kappe und Schwimmbrille, seinetwegen packen sich Schwimmer schon Monate vorher kiloweise Channel Fat auf die Rippen, um nicht zu erfrieren.

Matthew Webb ertrank übrigens ein paar Jahre später. Er hatte versucht, die Stromschnellen unter den Niagarafällen zu durchschwimmen.

Es ist zum Glück nicht alles verboten, was die Tortur etwas weniger unangenehm macht. Was zum Beispiel erlaubt ist: kurze Pausen mit Getränken und Snacks. Diese darf man jedoch nur zu sich nehmen, wenn man dabei das Boot nicht berührt. Deshalb werfen die Teambegleiter den Schwimmern Flaschen zu, die an Seilen befestigt sind, an denen man sie nach der Pause wieder zurück an Bord ziehen kann. Sogar der heilige Captain Webb hatte...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2024
Reihe/Serie POLYGLOTT Abenteuer und Reiseberichte
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Reisen Reiseberichte
Schlagworte Abenteuerbericht • Ärmelkanal • diana nyad • eigene grenzen testen • Europa • extremschwimmen • Extremsport • Extremsportlerin • Freiwasserschwimmen • Hawaii • Inspiration • Japan • Kaiwi • Langstreckenschwimmen • Motivation • Motivationsbuch • Neuseeland • Nordkanal • Nyad • Ocean´s Seven • Santa Catalina • Schwimmen • Selbstversuch • Seven Summits • Steven Munatones • Straße von Gibraltar • Tsugaru • Weltweit
ISBN-10 3-8464-1011-X / 384641011X
ISBN-13 978-3-8464-1011-0 / 9783846410110
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