Vergiss, wenn du leben willst -  Utta Danella

Vergiss, wenn du leben willst (eBook)

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
358 Seiten
hockebooks (Verlag)
978-3-95751-344-1 (ISBN)
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1964, Dornburg, ein kleines Städtchen zwischen Bodensee und Schwarzwald. An einem sonnigen Oktobertag taucht im besten Hotel am Platz die schöne Amerikanerin Cornelia Grant auf. Niemand ahnt, dass sie in Deutschland geboren und aufgewachsen ist und auf der Suche nach dem Mörder ihrer großen Liebe ist. Simon, der Vater ihrer Tochter Simone, wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in Ostpreußen auf der Flucht von einem SS-Mann, der auf ihn eifersüchtig war, erschlagen. Ein Zeitungsausschnitt, den sie in Berlin von einem alten Freund erhielt, legt nahe, dass der Mörder eine Verbindung zu Dornburg hat. Cornelia ahnt nicht, dass sie sich in große Gefahr begibt ... ebenso wenig wie ihre Tochter Simone, die ein halbes Jahr später das Schicksal ihrer Mutter aufklären will ...

Utta Danella ist mit 37 Romanen, mehreren Erzählungen, einigen Sachbüchern und einer Auflage von weltweit rund 70 Millionen Büchern die erfolgreichste deutschsprachige Schriftstellerin der Nachkriegszeit. Geboren am 18. Juni 1920 in Leipzig und aufgewachsen in Berlin, begeisterte sich Utta Danella (eigentlich Utta Denneler) früh für Theater, Oper und Musik und nahm neben der Schule Schauspielunterricht, Tanz- und Gesangstunden. Schon als 14-Jährige versuchte sie sich heimlich an einem ersten Roman. Nach dem Abitur schrieb sie Beiträge für verschiedene Zeitungen und für den Rundfunk. Sie zog später nach München und veröffentlichte 1956 ihren ersten Roman Alle Sterne vom Himmel, nachdem das ursprünglich über 1000 Seiten umfassende Manuskript um die Hälfte gekürzt worden war. Obwohl sich nur ein bescheidener Erfolg einstellte, drängte Verleger Franz Schneekluth die Autorin, für die er auch das Pseudonym erfand, ihre schriftstellerische Arbeit fortzusetzen. Und mit ihrem vierten Roman Stella Termogen gelang Utta Danella auch der Durchbruch: Die Auflage stieg rasch auf über 100.000 Exemplare. Von da an reihte sich ein Bestseller an den anderen. Im November 1998 verlieh ihr Bundespräsident Roman Herzog das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Im Juni 2000 erwarb die Bavaria Film die Verfilmungsrechte an sämtlichen Danella-Romanen. Zahlreiche Romane wurden verfilmt. Die beliebte Autorin verstarb 2015 in München, im hohen Alter von 95 Jahren.

Cornelia blickt einen Moment lang abwesend auf die geschlossene Tür. Die Frage, die schon eine Weile hinter ihr herläuft, hat sie eingeholt. Was tue ich eigentlich hier?

Sie greift nach ihrer Handtasche, sucht den Kamm, tritt zum Spiegel. Dort trifft sie auf ihren Blick.

Was tust du hier?

Du bist verrückt. Du suchst ein Gespenst. Und wenn es wirklich hier umgeht, was ich nicht glaube, dann geht es dich nichts an. Dich nicht mehr. Nein. Dich nicht.

Sie hält ihren Blick im Spiegel fest. Blaugraue Augen, die sie starr ansehen.

Wen sonst? Wen – wenn nicht mich?

Diese Stadt, dieses Land ist voll von Gespenstern. Vergangenheit, die nicht leben darf und nicht sterben kann. Oder vielleicht auch sehr gut lebt, was weiß man denn? Willst du auf Gespensterjagd gehen? Geht es dich etwas an?

Du lebst ein anderes Leben. Mit anderen Menschen. In einer anderen Zeit. Was früher war, geht dich nichts mehr an. Du hast es vergessen. Vergessen, hörst du!

Ich habe es nicht vergessen. Und all die Gespenster in diesem Land – ach, was heißt in diesem Land, all die Gespenster in jedem Land, in jeder Zeit, sie gehen mich nichts an. Aber dieses eine, dieses eine ist mein Gespenst. Wen ginge es etwas an, wenn nicht mich.

Sie fährt sich mit einigen heftigen Strichen durchs Haar, zieht die Kostümjacke von den Schultern und wirft sie mit der gleichen heftigen Gebärde aufs Bett.

Ein breites französisches Bett. Zwei können darin schlafen. Gewöhnlich findet man in Deutschland solche Betten nicht, es ist eine französische Sitte. Vielleicht aber hat man hier in dieser südwestlichen Ecke ein wenig französische Bräuche angenommen. Was für ein hübsches Zimmer! Wie kultiviert eingerichtet! Darin gleicht es keineswegs einem französischen Hotelzimmer.

Sie geht wieder zum Fenster und blickt hinaus. Dieser Garten mit seinen herbstlich bunten Bäumen! Rot und Gold und Braun, dazwischen das grüne Gras. Was für Farben! Und da draußen auf dem Hügel die Burg.

Deutschland! Sie wollte nie wieder hierherkommen. Und nun ist sie da. – Sie ist in Deutschland.

Sie hat es nicht auf den Flugplätzen gedacht, nicht in Frankfurt, nicht in Berlin, nicht in anderen Hotelzimmern, nicht einmal, als sie bei Thomasin am Bett saß, als sie deutsch mit ihm sprach – mit ihm übrigens als Einzigem –, in Hotels, im Flugzeug, überall sonst hat sie englisch gesprochen, ach ja, mit seiner Wirtin noch, kurz nur, gerade das Nötigste. Komisch war das, in Deutschland wieder deutsch zu sprechen. Zu Hause spricht sie es oft mit ihrer Tochter. Aber hier – hier ist das anders.

Ein fremdes Land ist es. Fremder als jedes fremde Land, in dem sie je gewesen ist.

Aber hier nun auf einmal – hier denkt sie: Ich bin in Deutschland. Ich bin – zu Hause.

Eine dumme kleine Stadt. Ein Nest, das keiner kennt. Dornburg – nie gehört. Eine typische deutsche Kleinstadt. Hügeliges Land ringsherum, viel Wald, bunte Bäume, diese komischen alten Häuser da unten und natürlich – eine Burg. Gehört wohl dazu. Ebenso wie die Leute, die hier leben. Kleine Spießbürger. Kleinstädter. Der deutsche Kleinstädter, man kennt ihn. Sie sprechen hier einen anderen Dialekt als den, den sie kennt. Aber sie sind vermutlich genauso, wie sie zu Hause waren. Sie sind in der ganzen Welt so, in Frankreich, in England, in Amerika. Überall ein bisschen anders und im Grunde einander sehr ähnlich.

Die hier also leben mit ihren alten Häusern, ihrem Hügelland, Berge und See nicht weit entfernt, sie haben da oben eine Burg, und sie haben ein sehr hübsches gepflegtes Hotel, der Hotelier ist ein Gentleman, man merkt das, sie trinken Wein – jedenfalls anzunehmen, dass sie hier Wein trinken –, ihre Frauen sind dick und engstirnig, die Männer sind es meistens auch, sie können sehr kleinlich sein und sehr giftig blicken – aber ansonsten ist alles friedlich und freundlich und freundlich und friedlich, oder jedenfalls scheint es das zu sein, und dazwischen haben sie ein paar Gespenster herumlaufen, aber keiner weiß es oder will es wissen, es stört auch keinen, und vielleicht sind es gar keine Gespenster und sie … »Das Gespenst bin ich«, sagt Cornelia laut gegen die Fensterscheibe. »Das Gespenst bin ich.«

Natürlich. Sie ist es, die nicht vergessen kann. Sie ist es, die immer daran denken muss. Wie eine Närrin, die nur einen Gedanken in ihrem Kopf behalten kann. Eine gefangene Maus, die ewig im Kreis in ihrem Käfig umherrennt. Ausgerechnet sie, die gar keinen Grund hat, sich über ihr Leben zu beklagen. Alles ist da, was man sich wünschen kann. Geld, ein schönes, geräumiges Haus mit Blick über die blaue Bucht von San Francisco, viel schöner als in einer so miesen kleinen Stadt. Sie hat ein Auto für sich allein, sie kann reisen, wohin sie will. Da ist Freiheit und Wohlstand und – einfach alles ist da. Ein Mann, der sie liebt, eine Tochter, ein – nun ja, eine Art Aufgabenkreis, nichts Wichtiges, aber was ist schon wichtig. Ja eben! Was ist wichtig? Gewiss nicht, dass sie hier in diesem Nest Dornburg auf Gespensterjagd geht. Das ist bestimmt nicht wichtig. Nur weil Thomasin ihr dieses Bild gezeigt hat? Ein Zeitungsbild, undeutlich wie alle Zeitungsbilder. Lächerlich, auf so etwas hereinzufallen.

»Eine Nacht«, sagt sie laut. Eine Nacht wird sie in diesem französischen Bett schlafen. Und wenn morgen die Sonne noch scheint, wird sie zu dieser alten Burg hinaufspazieren, just for fun. Und dann wieder abreisen. Zurück nach Paris und mit der nächsten Maschine nach Hause.

Sie wird es Philip gar nicht erzählen, dass sie in Deutschland war. Er weiß ja, dass sie niemals wieder dahin wollte. Nach Frankreich, nach Spanien, nach Italien – sehr gern, aber nicht nach Deutschland. Irgendwie tut es ihm leid, er hat sich damals sehr wohl gefühlt in Berlin. 1945, 1946, 1947 – feine Sache, ein Sieger zu sein, auch wenn ringsum Trümmer liegen und die Menschen hungern.

»Und dann, Darling, habe ich dich kennengelernt, vergiss das nicht. That was top of all. Schönste Zeit meines Lebens. My little Corny, all lost in that awful time. All alone. Just waiting for Daddy to help her.«

Ja – die kleine Cornelia, so einsam, so allein, so verzweifelt, und der gute Philip, der einen Krieg gewinnen musste, um sie zu finden und ihr zu helfen. Und das war dann die schönste Zeit seines Lebens.

Er hat sie gefunden, er hat ihr geholfen, hielt ein wunderbares Leben für sie bereit, hatte es in der Tasche, zog es heraus, und bums – da war es! Ein herrliches Leben. Und sie kann tun, was sie will in diesem Leben. Warum hasst sie ihn dann manchmal?

Nein – nein – sie hasst ihn nicht. Das ist Unsinn. Sie ist ihm dankbar, sie hat ihn gern, sie tut für ihn, was eine Frau für ihren Mann tun muss. Sie kann ihn nicht lieben, nein, das nicht. Aber das darf er nicht merken. Er kann nichts dafür, dass er ist, wie er ist. Ein Amerikaner eben, gesund und selbstsicher, unbelastet, so – so robust. So anders, so ganz anders als der Mann, den sie geliebt hat.

Aber das versteht er sowieso nicht. Gott sei Dank versteht er es nicht. Und sie ist ihm dankbar. Schon wegen Simone. Denn alles, was sie hat, hat Simone auch. Und das ist das Einzige, was zählt.

Mein Leben? Mein Leben ist lange vorbei. Ich bin selbst ein Gespenst. Gespenster können nicht lieben, Gespenster können nicht leben. Ach, Phil! Du hast nie gemerkt, dass ich ein Gespenst bin. Ich habe es selbst nicht gemerkt. Aber jetzt – heute – seit ich hier bin – seit ich in Deutschland bin! Es klopft. Sie fährt zusammen und blickt starr zur Tür. »Ja?« Ein älterer Ober kommt herein. »Der Mokka, gnädige Frau.«

»Ach ja, – danke.«

Sie bleibt unbeweglich stehen, sieht zu, wie der Ober die Tasse und das Kännchen sorgfältig auf den runden Tisch setzt, einen Teller mit Gebäck danebenstellt, einladend den Sessel zurechtrückt.

»Bitte sehr, gnädige Frau.«

»Danke. Vielen Dank.«

Wieder allein, öffnet sie das Fenster. Ein sonniger Oktobertag. Die Sonne scheint, die Leute hier im Hotel sind nett und höflich und gutartig, sie würden niemals Gespenster unter sich dulden. Philip ist ihr Mann und wird sich freuen, wenn sie wiederkommt. Simone ist ins College zurückgekehrt, und Allan, ihr blonder, schlaksiger Boyfriend, wird sich wieder um sie bemühen, leicht verzweifelt um sie bemühen, denn Simone – was hatte sie erst kürzlich gesagt? »Weißt du, Mum, irgendwie ist es ja komisch mit mir. Ich bin so anders als die anderen. Ich will es gar nicht – ich will sein wie sie. Aber dann will ich auch wieder nicht. Ich bin einfach anders. Ob es daher kommt, dass ich in Europa geboren bin? Aber davon weiß ich doch gar nichts mehr. Ich bin ja immer hier gewesen. Oder ist es, weil du anders bist?«

Sie hatte erst einmal schlucken müssen. »Bin ich anders, Simone?«

Und dann, nach einem kleinen Schweigen – sie hatte ihre Tochter währenddessen angesehen, dieses junge Gesicht, so vertraut, die dunklen Augen, das kurze dunkle Haar, dieser Mund, ach, dieser Mund, der sie immer an ihn erinnerte –, sagte Simone: »Wenn ich nur wüsste, wie er gewesen ist, mein Vater. Wann wirst du mir von ihm erzählen?« Und als sie schwieg, sich stumm abwandte, fuhr Simone fort: »Du hast immer gesagt: später – wenn ich älter bin. Ich bin doch jetzt alt genug. Andere, die mit mir in der Schule waren, sind schon verheiratet. Haben schon Kinder. Wann bin ich denn alt genug, um von ihm etwas zu hören?« Wann würde Simone alt genug sein, um zu hören, wer ihr Vater war, wie sehr ihre Mutter ihn geliebt hatte, was mit ihm geschehen war? Wann würde Simone dazu alt genug sein? Wenn ich alt genug sein werde,...

Erscheint lt. Verlag 18.6.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber
Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
ISBN-10 3-95751-344-8 / 3957513448
ISBN-13 978-3-95751-344-1 / 9783957513441
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