Geschichte der Medizin (eBook)

Von der Antike bis zur Gegenwart
eBook Download: EPUB
2024 | 4. Auflage
130 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81896-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichte der Medizin -  Karl-Heinz Leven
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Dieser Band bietet einen kompakten Überblick über die Geschichte der Medizin von der Antike bis zur Gegenwart. Stets wird das kulturelle Umfeld mit in den Blick genommen, in dem die Heilkunst ihre je unterschiedliche Ausprägung erfuhr. Bedeutende Ärzte, Verfahren in Therapie und Prophylaxe gelangen ebenso zur Darstellung wie beispielsweise die Medizin im Nationalsozialismus und Grundfragen der Medizin zwischen Wissenschaft und Glauben.

Karl-Heinz Leven ist Medizinhistoriker und Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Erlangen-Nürnberg.<br><br><br>

Mittelalter


Zum Begriff «Mittelalter»


Der Begriff «Mittelalter» erweckt, insbesondere im Zusammenhang mit der Medizin, in der Gegenwart heftige Abwehrreaktionen. «Mittelalterliche Medizin» erscheint als Chiffre für Aberglauben und rohe Empirie, nutzlose Buchgelehrsamkeit und dogmatische Erstarrung. Der Begriff «Mittelalter» (medium aevum) begegnet erstmals bei den Humanisten des 14. und 15. Jahrhunderts; er bezog sich auf das als «barbarisch» empfundene Latein im Vergleich mit demjenigen Ciceros (106–​43 v. Chr.), dem die Humanisten nacheiferten. Seit dem 17. Jahrhundert wurde der Begriff «Mittelalter» auch in der Geschichtsschreibung verwendet. Um ein «Mittelalter» wahrzunehmen, das sich zwischen die Antike und die eigene «Neuzeit» oder «Gegenwart» geschoben hätte, bedurfte es der Vorstellung einer «Wiedergeburt» der Antike; eine derartige «Renaissance» gab es im christlichen Okzident, der in den spätantiken Jahrhunderten der Völkerwanderung und Gründung germanischer Königreiche auf römischem Boden die Kenntnis der griechischen Sprache und Kultur für viele Jahrhunderte weitgehend eingebüßt hatte. Die Wiederaneignung seit dem Spätmittelalter ließ den Humanisten die dazwischenliegende Epoche als medium aevum erscheinen, bevölkert von barbarischen «Goten» und anderen kulturfeindlichen Eindringlingen. Demzufolge gab es in der byzantinischen Kultur keine Epoche, die von den Byzantinern selbst, die sich als «Rhomäer», d.h. «Römer», stets in antiker Tradition sahen, als «Mittelalter» hätte empfunden werden können, standen sie doch in einer unmittelbaren Kontinuität mit der (spät-)antiken Tradition. Ähnliches gilt für die islamische Kultur, die vielfältig mit dem lateinischen Westen und Byzanz interagierte und in ihrem Selbstverständnis bis heute eine ungebrochene Traditionslinie seit dem frühen 7. Jahrhundert aufweist. Vollends sinnlos ist die Bezeichnung «Mittelalter», um chronologisch gleichzeitige Kulturen im Fernen Osten (China, Indien) oder in Amerika (Maya, Azteken, Inkas) zu bezeichnen.

Schwierig bleibt die zeitliche Eingrenzung des abendländischen Mittelalters. Bezieht man sich auf das Christentum, so reichte es von der «Konstantinischen Wende» (311 n. Chr.) bis zum Beginn der Reformation (1517). Andere Periodisierungen legen die politische Ordnung der Staatenwelt zugrunde – so das Ende des weströmischen Kaisertums 476 – oder die kontinentale Gemeinschaft der romanischen und germanischen Völker, die mit der Entdeckung Amerikas (1492) endete. Symbolhaft für das Ende des Mittelalters werden der Fall Konstantinopels (1453) oder der Mitte des 15. Jahrhunderts erfundene Buchdruck mit beweglichen Lettern (Johannes Gutenberg 1452) gesehen. Aus dem Blickwinkel der Seuchengeschichte erstreckt sich das Mittelalter zwischen der «Justinianischen» Pest des Jahres 542 und dem «Schwarzen Tod» von 1347/48, zwei hinsichtlich ihrer Opferzahlen von keiner anderen historischen Katastrophe übertroffenen Epidemien. Fraglich bleibt, ob die beiden Katastrophen für Beginn und Ende des Mittelalters kausale Bedeutung hatten. Periodisierungsversuche sind auch im Hinblick auf die Medizin schwierig. Die Medizin des Mittelalters gründete weitgehend auf der antiken Tradition, so dass keine deutliche Trennung auszumachen ist. Zahlreiche Züge der vormodernen Medizin waren bis gegen 1800 «mittelalterlich», so dass auch diese Abgrenzung unscharf ist.

Antike und arabische Tradition


Das medizinische Wissen der Antike, größtenteils in griechischen Texten enthalten, war in der Spätantike zu einem kleineren Teil ins Lateinische übersetzt worden, darunter im gotischen Ravenna zu Anfang des 6. Jahrhunderts. Allerdings blieben von Hippokrates und Galen hauptsächlich die Namen übrig, die manchem dürftigen Text eine autoritative Weihe verleihen sollten. Zwar bestanden im Früh- und Hochmittelalter direkte Kontakte mit der byzantinischen Welt (Gesandtschaften, Geschenke, Handel, Krieg), die aus der germanischen Völkerwanderung hervorgegangene Ordnung Westeuropas mit dem seit 800 bestehenden erneuerten römischen Kaisertum des Westens unter den karolingischen Franken war jedoch in ihrer Schriftlichkeit weit hinter die Spätantike zurückgefallen. Die Klöster waren zu dieser Zeit die Träger der Überlieferung, deshalb bezeichnet man diese Phase modern als «Klostermedizin». An ihrem Ende steht das Werk der Äbtissin Hildegard von Bingen (1098–​1179); hier finden sich literarisch gefasste Visionen einer mystischen Theologie und medizinisch-anthropologische Traktate, die auch den zeitgenössischen Stand des Fortlebens antiker Gelehrsamkeit zeigen. Im Spektrum der gegenwärtigen «alternativen» Medizin ( S. 87) blüht eine epigonenhafte «Hildegard-Medizin», die den Namen Hildegards emblematisch ohne wissenschaftliche Substanz beansprucht.

Die aus den übersetzten griechischen Texten hervorgegangenen arabischen medizinischen (und philosophischen) Kompendien wurden seit dem späten 11. Jahrhundert in Übersetzerzentren wie Salerno, später in Toledo und Sizilien, weniger jedoch in den Kreuzfahrerstaaten des Heiligen Landes aus dem Arabischen ins Lateinische übersetzt. In Salerno wirkte der als Person kaum fassbare Constantinus Africanus († ca. 1087), der als magister orientis et occidentis geehrt wurde, in Toledo übersetzte Gerhard von Cremona (†1187) mithilfe einheimischer Muttersprachler den arabischen Aristoteles und Avicenna. Die von Gerhard v. Cremona vorgelegte lateinische Version von Avicennas Canon ist bis heute die einzige vollständige Übersetzung geblieben; sie wurde seit ca. 1250 Basistext an den Universitäten; 60 lateinische Ausgaben erschienen zwischen 1500 und 1674.

In der eigentümlich lehrreichen «Gouguenheim-Debatte» wurden Ausmaß und Bedeutung des griechisch-arabisch-lateinischen Wissenstransfers jüngst scharf konturiert; heftig umstritten war auch, inwieweit der Islam die ursprünglich griechische Gelehrsamkeit fördernd assimiliert hätte (Gouguenheim 2011).

Ein Schlaglicht auf die Hochschätzung arabischer Gelehrsamkeit im Abendland wirft Dante Alighieris (1265–​1321) «Göttliche Komödie». In der «Hölle» (Inferno 4, 112. 130f., 142f.) trifft er auf einer Wiese zahlreiche nichtchristliche Gestalten aus Mythos und Geschichte, so den «Meister aller Weisen» (ital. il maestro di color chi sanno), Aristoteles, den unbestrittenen Lehrer des Abendlandes und prominente Ärzte, so Galen, Hippokrates und die islamischen Gelehrten Avicenna und Averroes (1126–​1198), die im Abendland hoch geschätzt wurden.

Der «Arabismus» verschaffte dem Abendland weite Teile der in der Spätantike verloren gegangenen Texte; inhaltlich brachte er gegenüber der Antike kaum Neuerung. Die meist Wort für Wort übersetzten Schriften wurden Lehrtexte an den seit dem 12. Jahrhundert entstehenden abendländischen Medizinischen Fakultäten im Rahmen der Universitäten. Die weltlichen Hochschulen (zeitgenössisch als «studium generale» bezeichnet), an denen sich eine Medizinische Fakultät (neben Artes liberales [einer Art propädeutischer Allgemeinbildung], Theologie und Rechtswissenschaft) etablierte, bedeuteten trotz ihrer aus heutiger Sicht papiernen Traditionsverbundenheit den entscheidenden, unumkehrbaren Aufbruch zu einer neuen Wissensorganisation und -vermittlung. Wesentliche Züge der bis heute üblichen universitären Medizinerausbildung (Vorlesung, Promotion, Staatsexamen) sind seit dem Hochmittelalter erkennbar.

Im Heilerspektrum des Mittelalters bildeten die mit einem Magister- oder Doktortitel ausgezeichneten Ärzte (medici, physici) als (buch-)gelehrte Absolventen der Medizinischen Fakultäten eine Minderheit. Gerüstet mit eher theoretischem Wissen in einem Feld, das man modern als «innere» Medizin bezeichnen könnte, waren sie im Umkreis von Herrschern, weltlichen und kirchlichen Würdenträgern zu finden. Für die praktische Krankenbehandlung weiterer Kreise der Bevölkerung waren die medici jedoch weder verfügbar noch sonderlich geeignet. Mit «äußeren» Krankheiten und einfachen chirurgischen Operationen befassten sich Handwerkschirurgen, die sich im Unterschied zu den medici, deren Sprache Latein war, der europäischen Volkssprachen bedienten. Die für das Mittelalter kennzeichnende Trennung von «Medizin» und «Chirurgie» sollte bis gegen 1800 fortdauern. Daneben gab es Bader, die Aderlässe vornahmen, Zahnreißer und fahrende Heilmittelkrämer; wichtig waren stets auch Hebammen als von Frauen ausgeübter Heilberuf und alle Arten von...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2024
Reihe/Serie Beck'sche Reihe
Zusatzinfo mit 10 Abbildungen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Schlagworte Antike • Ärzte • Ethik • Gegenwart • Geschichte • Geschichte der Medizin • Glauben • Heilkunst • Heilmittel • Hochkultur • Kultur • Leben • Medizin • Medizingeschichte • Nationalsozialismus • Prophylaxe • Therapie • Tod • Wissenschaft
ISBN-10 3-406-81896-X / 340681896X
ISBN-13 978-3-406-81896-7 / 9783406818967
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