Otto von Bismarck - Gedanken und Erinnerungen (eBook)

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2015 | 1. Auflage
576 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-7306-9092-5 (ISBN)

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Otto von Bismarck - Gedanken und Erinnerungen -  Otto Bismarck
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Bismarcks 'Gedanken und Erinnerungen' sind das bedeutendste Zeugnis politischer Memoirenliteratur in der deutschen Geschichte. Nicht als geschlossene Darstellung seiner politischen Laufbahn oder kontinuierliche Schilderung der historischen Ereignisse entfaltet dieses außergewöhnliche Werk seine Wirkung, sondern als große staatspolitische Reflexion und brillant erzähltes Erinnerungsbuch, das zahlreiche persönliche Erlebnisse und Begegnungen eindrucksvoll charakterisiert. In dieser Ausgabe sind die beiden zu Lebzeiten Bismarcks veröffentlichten Bände vollständig enthalten.

KAPITEL 2


Das Jahr 1848


I


Die erste Kunde von den Ereignissen des 18. und 19. März 1848 erhielt ich im Haus meines Gutsnachbarn, des Grafen von Wartensleben auf Karow, zu dem sich Berliner Damen geflüchtet hatten. Für die politische Tragweite der Vorgänge war ich im ersten Augenblick nicht so empfänglich wie für die Erbitterung über die Ermordung unsrer Soldaten in den Straßen. Politisch, dachte ich, würde der König bald Herr der Sache werden, wenn er nur frei wäre; ich sah die nächste Aufgabe in der Befreiung des Königs, der in der Gewalt der Aufständischen sein sollte.

Am 20. meldeten mir die Bauern in Schönhausen, es seien Deputierte aus dem dreiviertel Meilen entfernten Tangermünde angekommen, mit der Aufforderung, wie in der genannten Stadt geschehen war, auf dem Turm die schwarz-rot-goldne Fahne aufzuziehen, und mit der Drohung, im Weigerungsfall mit Verstärkung wiederzukommen. Ich fragte die Bauern, ob sie sich wehren wollten: Sie antworteten mit einem einstimmigen und lebhaften »Ja«, und ich empfahl ihnen, die Städter aus dem Dorf zu treiben, was unter eifriger Beteiligung der Weiber besorgt wurde. Ich ließ dann eine in der Kirche vorhandene weiße Fahne mit schwarzem Kreuz, in Form des eisernen, auf dem Turm aufziehen und ermittelte, was an Gewehren und Schießbedarf im Dorf vorhanden war, wobei etwa fünfzig bäuerliche Jagdgewehre zum Vorschein kamen. Ich selbst besaß mit Einrechnung der altertümlichen einige zwanzig und ließ Pulver durch reitende Boten von Jerichow und Rathenow holen.

Dann fuhr ich mit meiner Frau auf umliegende Dörfer und fand die Bauern eifrig bereit, dem König nach Berlin zu Hilfe zu ziehn, besonders begeistert einen alten Deichschulzen Krause in Neuermark, der in meines Vaters Regiment »Carabiniers« Wachtmeister gewesen war. Nur mein nächster Nachbar sympathisierte mit der Berliner Bewegung, warf mir vor, eine Brandfackel in das Land zu schleudern, und erklärte, wenn die Bauern sich wirklich zum Abmarsch anschicken sollten, so werde er auftreten und abwiegeln. Ich erwiderte: »Sie kennen mich als einen ruhigen Mann, aber wenn Sie das tun, so schieße ich Sie nieder«. – »Das werden Sie nicht«, meinte er. – »Ich gebe mein Ehrenwort darauf«, versetzte ich, »und Sie wissen, daß ich das halte, also lassen Sie das.«

Ich fuhr zunächst allein nach Potsdam, wo ich am Bahnhof Herrn von Bodelschwingh sah, der bis zum 19. Minister des Innern gewesen war. Es war ihm offenbar unerwünscht, im Gespräch mit mir, dem »Reaktionär«, gesehen zu werden; er erwiderte meine Begrüßung mit den Worten: »Ne me parlez pas.« – »Les paysans se lèvent chez nous«, erwiderte ich. »Pour le Roi?« – »Oui.« – »Dieser Seiltänzer«, sagte er, die Hände auf die tränenden Augen drückend. In der Stadt fand ich auf der Plantage an der Garnisonkirche ein Bivouak der Garde-Infanterie; ich sprach mit den Leuten und fand Erbitterung über den befohlenen Rückzug und Verlangen nach neuem Kampf. Auf dem Rückwege längs des Kanals folgten mir spionartige Zivilisten, welche Verkehr mit der Truppe gesucht hatten und drohende Reden gegen mich führten. Ich hatte vier Schuß in der Tasche, bedurfte ihrer aber nicht. Ich stieg bei meinem Freund Roon ab, der als Mentor des Prinzen Friedrich Karl einige Zimmer in dem Stadtschloß bewohnte, und besuchte im »Deutschen Haus« den General von Möllendorf, noch steif von den Mißhandlungen, die er erlitten, als er mit den Aufständischen unterhandelte, und General von Prittwitz, der in Berlin kommandiert hatte. Ich schilderte ihnen die Stimmung des Landvolks; sie gaben mir dagegen Einzelheiten über die Vorgänge bis zum 19. morgens. Was sie zu berichten hatten und was an späteren Nachrichten aus Berlin hergelangt war, konnte mich nur in dem Glauben bestärken, daß der König nicht frei sei.

Prittwitz, der älter als ich war und ruhiger urteilte, sagte: »Schicken Sie uns keine Bauern, wir brauchen sie nicht, haben Soldaten genug; schicken Sie uns lieber Kartoffeln und Korn, vielleicht auch Geld, denn ich weiß nicht, ob für die Verpflegung und Löhnung der Truppen ausreichend gesorgt werden wird. Wenn Zuzug käme, würde ich aus Berlin den Befehl erhalten und ausführen müssen, denselben zurückzuschlagen.« – »So holen Sie den König heraus!« sagte ich. Er erwiderte: »Das würde keine große Schwierigkeit haben; ich bin stark genug, Berlin zu nehmen, aber dann haben mir wieder Gefecht; was können wir tun, nachdem der König uns befohlen hat, die Rolle des Besiegten anzunehmen? Ohne Befehl kann ich nicht angreifen.«

Bei diesem Zustand der Dinge kam ich auf den Gedanken, einen Befehl zum Handeln, der von dem unfreien König nicht zu erwarten war, von einer anderen Seite zu beschaffen, und suchte zu dem Prinzen von Preußen zu gelangen. An die Prinzessin verwiesen, deren Einwilligung dazu nötig sei, ließ ich mich bei ihr melden, um den Aufenthalt ihres Gemahls zu erfahren (der, wie ich später erfuhr, auf der Pfaueninsel war). Sie empfing mich in einem Dienerzimmer im Entresol, auf einem fichtenen Stuhle sitzend, verweigerte die erbetene Auskunft und erklärte in lebhafter Erregung, daß es ihre Pflicht sei, die Rechte ihres Sohnes zu wahren. Was sie sagte, beruhte auf der Voraussetzung, daß der König und ihr Gemahl sich nicht halten könnten, und ließ auf den Gedanken schließen, während der Minderjährigkeit ihres Sohnes die Regentschaft zu führen. Um für diesen Zweck die Mitwirkung der Rechten in den Kammern zu gewinnen, sind mir formelle Eröffnungen durch Georg von Vincke gemacht worden. Da ich zum Prinzen von Preußen nicht gelangen konnte, machte ich einen Versuch mit dem Prinzen Friedrich Karl, stellte ihm vor, wie nötig es sei, daß das Königshaus Fühlung mit der Armee behalte, und wenn Se. Majestät unfrei sei, auch ohne Befehl des Königs für die Sache desselben handle. Er erwiderte in lebhafter Gemütsbewegung, so sehr ihm mein Gedanke zusage, so fühle er sich doch zu jung, ihn auszuführen, und könne dem Beispiel der Studenten, die sich in die Politik mischten, nicht folgen, er sei auch nicht älter als die. Ich entschloß mich dann zu dem Versuch, zu dem König zu gelangen.

Prinz Karl gab mir im Potsdamer Schloß als Legitimation und Paß das nachstehende offene Schreiben:

Überbringer – mir wohlbekannt – hat den Auftrag, sich bei Sr. Majestät meinem Allergnädigsten Bruder persönlich nach Höchstdessen Gesundheit zu erkundigen und mir Nachricht zu bringen, aus welchem Grund mir seit 30 Stunden auf meine wiederholten eigenh. Anfragen »ob ich nicht nach Berlin kommen dürfe« keine Antwort ward.

Potsdam 21. März 1848

Carl Prinz v. Preußen

1 Uhr N. M.

Ich fuhr nach Berlin. Vom Vereinigten Landtag her vielen Leuten von Ansehen bekannt, hatte ich für ratsam gehalten, meinen Bart abzuscheren und einen breiten Hut mit bunter Kokarde aufzusetzen. Wegen der gehofften Audienz war ich im Frack. Am Ausgange des Bahnhofes war eine Schüssel mit einer Aufforderung zu Spenden für die Barrikadenkämpfer aufgestellt, daneben ein baumlanger Bürgerwehrmann mit der Muskete auf der Schulter. Ein Vetter von mir, mit dem ich beim Aussteigen zusammengetroffen war, zog die Börse, »Du wirst doch für die Mörder nichts geben«, sagte ich, und auf einen warnenden Blick, den er mir zuwarf, »und Dich vor dem Kuhfuß nicht fürchten?« Ich hatte in dem Posten schon den mir befreundeten Kammergerichtsrat Meier erkannt, der sich auf den »Kuhfuß« zornig umwandte und dann ausrief: »I Jotte doch, Bismarck! Wie sehn Sie aus! Schöne Schweinerei hier!«

Die Bürgerwache im Schloß fragte mich, was ich dort wolle. Auf meine Antwort, ich hätte einen Brief des Prinzen Karl an den König abzugeben, sagte der Posten, mich mit mißtrauischen Blikken betrachtend, das könne nicht sein; der Prinz befinde sich eben beim König. Ersterer mußte also noch vor mir von Potsdam abgereist sein. Die Wache verlangte den Brief zu sehn, den ich hätte; ich zeigte ihn, da er offen und der Inhalt unverfänglich war, und man ließ mich gehn, aber nicht ins Schloß. Im Gasthof Meinhard, Parterre, lag ein mir bekannter Arzt im Fenster, zu dem ich eintrat. Dort schrieb ich dem König, was ich ihm zu sagen beabsichtigt hatte. Ich ging mit dem Briefe zum Fürsten Boguslaw Radziwill, der freien Verkehr hatte und ihn dem König übergeben konnte. Es stand darin u. a., die Revolution beschränke sich auf die großen Städte, und der König sei Herr im Land, sobald er Berlin verlasse. Der König antwortete nicht, hat mir aber später gesagt, er habe den auf schlechtem Papier schlecht geschriebenen Brief als das erste Zeichen von Sympathie, das er damals erhalten, sorgfältig aufbewahrt.

Auf meinen Gängen durch die Straßen, um die...

Erscheint lt. Verlag 10.7.2015
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bundeskanzler • Bündnispolitik • Der eiserne Kanzler • Deutsches Reich • Diplomatie • eBooks • Geschichte • Ministerpräsident von Preußen • Politiker • Preußen • Reichskanzler • Sozialistengesetz • Sozialversicherung • Staatsmann
ISBN-10 3-7306-9092-2 / 3730690922
ISBN-13 978-3-7306-9092-5 / 9783730690925
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