Abschied vom Homo Oeconomicus -  Gunter Dueck

Abschied vom Homo Oeconomicus (eBook)

Warum wir eine neue ökonomische Vernunft brauchen

(Autor)

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2020 | 1. Auflage
250 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44581-6 (ISBN)
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Der ehemalige Mathematikprofessor und IBM-Chefstratege Gunter Dueck entwirft ein Modell für eine wertorientierte ökonomische Vernunft Wenn Unternehmensgewinne wachsen, Steuereinnahmen sprudeln und Löhne steigen, geben Manager, Politiker und Arbeitnehmer das Geld mit vollen Händen aus. Naht der Abschwung, heißt es Gürtel enger schnallen: Personal freisetzen, Steuererleichterungen streichen und jeden Cent auf die hohe Kante legen. Und auch emotional fallen wir von einem Extrem ins andere: Im Aufschwung sind wir zuversichtlich, fair und kreativ, in der Krise regieren Darwin und Wirtschaftskrieg, ziehen Angst, Stress und Vorsicht in die Köpfe. Den Menschen ernst nehmen, heißt, diese Emotionen ernst nehmen, sagt Gunter Dueck. Was immer wir über die Wirtschaft denken, ist abhängig von unserem Bauchgefühl. Je nach Stresslevel halten wir unterschiedliche Dinge für richtig. Trotzdem operiert man in der Wirtschaft mit dem Modell von einem Homo oeconomicus, der stets rational handelt und auf immer gleiche Weise durch Geld und Nutzen zu motivieren ist. Das ist falsch, folgert Gunter Dueck und fordert eine ökonomische Vernunft, die den Menschen in den Blick nimmt und uns lehrt, in fetten Jahren Maß zu halten und in mageren gelassen zu bleiben.

Gunter Dueck war Mathematikprofessor und bis August 2011 Chief Technology Officer bei IBM. Seitdem lebt er im Unruhestand. Er arbeitet als Autor, Blogger, Netzaktivist, Business Angel und Speaker und widmet sich weiterhin unverdrossen der Weltverbesserung. Bei Campus erschienen seine Bücher »Das Neue und seine Feinde« (2013), »Schwarmdumm« (2015), »Flachsinn« (2017), »Heute schon einen Prozess optimiert?« (2020) und »Keine Sinnfragen, bitte!« (2022).

Gunter Dueck war Mathematikprofessor und bis August 2011 Chief Technology Officer bei IBM. Seitdem lebt er im Unruhestand. Er arbeitet als Autor, Blogger, Netzaktivist, Business Angel und Speaker und widmet sich weiterhin unverdrossen der Weltverbesserung. Bei Campus erschienen seine Bücher »Das Neue und seine Feinde« (2013), »Schwarmdumm« (2015), »Flachsinn« (2017), »Heute schon einen Prozess optimiert?« (2020) und »Keine Sinnfragen, bitte!« (2022).

Unter Stress zum Prekariat


Dieses Kapitel zeigt Ihnen, wie lang anhaltende Stresszustände die Ökonomie fast nach einem feststehenden Programm zerbröseln. Wir werden von vernünftigen Menschen zu solchen, die alle Ethik vergessen und sich sehr kurzfristig (bis zur Blindheit oder Verblendung) um den eigenen »Erfolg« kümmern und alle anderen ebenfalls mit in den Strudel reißen. Das ist ein Dauerthema des Buches: Der rationale Homo oeconomicus ist allenfalls ein Kunstgedanke für halbwegs gute Zeiten, in denen Rationalität sogar kurzfristig nützt. In schlechten Zeiten regiert die Kopflosigkeit. Kennt die Wirtschaftstheorie Tunnelblick-Menschen? In Lehrbüchern nicht, aber um mich herum wuseln sie gerade.

Wie der Stresslevel so der Mensch


Unter Stress sind wir ungeduldig und eilig. Wir leiden unwissentlich unter einem Tunnelblick nur für das, was jetzt gerade unbedingt getan werden muss. Kein Gedanke mehr an ein Morgen! In dieser Stimmung nehmen wir die Welt nur noch schwarz-weiß wahr und sehen keine Grautöne mehr geschweige denn Farben.

Unter Stress teilt sich alles:

in Freund und Feind.

in wichtig und unwichtig.

in ja und nein.

zum Schluss in reich und arm.

Merken Sie es heute schon um uns herum? Das Mittlere verschwindet. Die mittlere Qualität in den Läden siecht dahin: Armani oder Aldi bleiben. Die mittleren, normalen Menschen braucht man nicht mehr so recht. Premium-Leistungsträger werden gesucht und viele, viele Aushilfskräfte je nach Bedarf.

Unter dem Dauerdruck von Stress und hoher Arbeitsbelastung kommt es zu aggressivem Verdrängungswettbewerb. Er ist wie Krieg. Es gibt wenige Sieger und viele Verlierer. Unter Stress sagen wir: »Ich hatte es so sehr eilig – aber keiner wollte mich vorlassen! Alle sind so rücksichtslos. Das merke ich mir, ich will jetzt auch rücksichtslos sein. Ich kann es mir offenbar nicht leisten, nicht rücksichtslos zu sein.« Das ist schon wie der Beginn von Kriegshandlungen. Sie führen zu gegenseitigen zermürbenden Verlusten. Diese Teufelsspirale ist Thema dieses Kapitels. Sie führt zum Niedergang bzw. zur Bildung eines großen Prekariats.

Ich beginne in diesem Abschnitt ganz harmlos mit ein paar Beispielen aus dem Alltag. Die sind noch »neckisch«. Aber Sie drücken schon das Typische aus, wie ich es Ihnen im wirtschaftlichen Leben darstellen möchte. Fangen wir an:

Sonntag. Sie wollen duschen, es ist schon spät. Die Sonne scheint. Der Duschhebel steht noch in der optimalen Stellung vom Samstag – genau die richtige Temperatur. Sie schalten an, das Wasser rauscht. Es ist noch zu kalt, da räumen Sie noch ein bisschen, finden sich im Spiegel attraktiv, vergessen ein bisschen die Zeit – ach ja! Duschen! Es ist schon wohlig warm – optimal. Sie duschen und summen ein Lied.

Montag. Monday, Monday! Sie wollen duschen, es ist schon spät. Der Duschhebel steht noch vom Sonntag optimal! Das Wasser ist aber noch zu kalt, als Sie blitzschnell und mürrisch in die Duschkabine springen. Schnell! Mist, zu kalt! Sie reißen den Hebel auf Heiß. Es wird augenblicklich wärmer. Dann sehr heiß. Mist, die Haut schmerzt. Sie pegeln hinunter. Mist! Zu kalt. Es ist zum Verzweifeln!

Ich will sagen: Wie Sie duschen, hängt von Ihrem Instinkt, Ihrem gefühlten Stress oder Ihrem Gelassenheitsgrad ab. Am Sonntag sind Sie eher zu sorglos, trödeln ein bisschen und verschwenden Wasser. Am Montag soll alles sehr schnell gehen, und Sie brechen die Sache übers Knie. Das machen Sie jeden Montag Ihres Lebens. Haben Sie schon einmal nachgedacht, was »optimal« wäre? Sie können es versuchen, aber das schnelle Einstellen auf eine gewünschte Temperatur ist ein auch mathematisch sehr anspruchsvolles Problem. Es ist so irre schwer, dass es sich nicht lohnt, viel Geist daran zu verschwenden. Das tun die Mathematiker aber sehr wohl, wenn sie zum Beispiel Hochöfen auf die richtige Temperatur anheizen. Dazu kocht man das Erz einen Tick zu schnell an, so dass die Temperatur ein bisschen höher schießt als gewünscht. Das spart Zeit – und dann wird Schrott hinzu geworfen, damit sich die Erzmischung um das Bisschen zuviel abkühlt. Es ist aber auch dort ein Kunsthandwerk, möglichst schnell alles bereit zu haben. Im Stahlwerk bedeutet das optimale Anheizen viel Geld – das versteht sich von selbst!

Solche Beispiele kann ich zuhauf anführen. Am Sonntag bei Sonne fahren die Sonntagsfahrer gemütlich umher und betrachten relaxt die schöne Landschaft. Sie wenden Zeit für Seelenruhe auf. Am Montag fahren sie in großer Eile Rennen, was zu Staus führt. Immer am Montag sind die Staus am größten! Am Freitagnachmittag auch! Hupen, drängeln, jeder der Erste im Stau! Es gibt Untersuchungen, wie man optimal fahren könnte – etwa ganz ruhig im Tempo 90, wie es in Amerika üblich ist. Nein, wir fahren je nach Stimmung! Hinfahrten sind oft ein Martyrium, weil das pünktliche Eintreffen wichtig ist. Die Rückfahrt ist stressfrei, weil es nicht so darauf ankommt, wann wir zu Hause sind. Dauert die stressfreie Rückfahrt länger? Ich glaube nicht.

Neulich durfte ich einmal ein paar Flugminuten das Fliegen eines Jumbos 777 im Flugsimulator der Lufthansa im Frankfurter Flughafen üben. Der Fluglehrer hat uns gesagt, wir sollen starten. Das ist einfach. Ich bin schon nach einigen Sekunden ganz euphorisch geworden. Ich bin oben in der Luft eine Runde geflogen, das war schön und ganz einfach. Dann sollte ich landen. Unten an der Landebahn sieht man von ganz weitem sechs Scheinwerfer. Wenn drei davon leuchten, ist das Flugzeug optimal in der Einflugschneise. Wenn mehr oder weniger aufleuchten, ist das Flugzeug zu hoch oder zu tief. Ich muss dann als Pilot gegensteuern. Ich hab das genau wie beim Duschen angestellt. Hochreißen! Runterdrücken! Hoch! Runter! Ich habe gedacht, der Jumbo ist so ähnlich wie ein Auto, das ja auf Lenkversuche sofort reagiert. Ein Jumbo reagiert erst gar nicht, aber dann doch! Er ist schwerfällig wie ein Flugzeugträger oder eben eine Dusche. Ich verlor die Kontrolle. Zuerst über das Flugzeug. Es bockte wie bei einem Rodeo. Überall begannen Lämpchen zu blinken. Warntöne! Es wurde hektisch und laut. Ich drehte innerlich durch. Der Fluglehrer war der einzige, der noch wusste, dass wir im Simulator saßen. Mir wurde physisch bange. Dann crashte ich den armen Jumbo auf der Frankfurter Landebahn. Mensch, da war mir ganz anders, sage ich Ihnen! Der Trainer lächelte. Ich fühlte mich vernichtet und musste einen neuen Versuch starten. Beim zweiten Mal war ich beim Landeanflug wieder falsch dran, ich tippte das Steuer ein klein wenig, der Jumbo gehorchte wie gewünscht! Ich konnte das Flugzeug buchstäblich ganz entspannt »mit einem Finger« sicher landen. Es reagiert mit einer Verzögerung wie ein Auto. Fliegen ist kinderleicht! Ich war erneut ganz euphorisch. Ich war plötzlich ganz sicher, dass ich es wie im Film auch mit einem echten Flugzeug schaffen würde. Es war ja praktisch »ein echtes Flugzeug« im Simulator. Der Trainer sagte: »Sie müssen jahrelang üben, bis Sie wirklich gut sind. Aber der Lernhöhensprung vom ersten zum zweiten Mal ist irre groß. Nach dem ersten Aha lernen Sie nie mehr so viel in einem einzigen Augenblick. Dann müssen Sie jedes kleine bisschen Erfahrung lange üben.« – »Jahrelang?«, fragte ich. Und da flogen wir noch eine dritte Runde im Nebel mit starkem Seitenwind, plötzlichen Böen und so weiter, so dass uns die schiere Angst packte. Wieder ein Crash. Okay, wir lernen doch besser noch jahrelang.

Sorglosigkeit ist nicht so gut, wenn es optimal laufen soll. Verbiesterung auch nicht. Das »echte« Optimum muss man irgendwie in den Körper bekommen. »Ins Gefühl.« Das mathematische Optimum aber ist selbst für einen Computer schwer zu finden.

Fliegen können Sie lernen! Duschen auch. Ich kann Ihnen außerdem erklären, dass Sie vor dem Aufzug in großer Eile ausschließlich den Knopf »Hoch« beim Aufzug drücken sollten, wenn Sie hoch wollen. Sie sollten aber nicht auch noch »Hinunter« drücken! Entweder ist ein Aufzug frei, dann kommt er, weil Sie hoch wollen. Oder es ist keiner frei, dann aber hält einer zusätzlich, der gerade hinunterfährt und denkt, er nimmt sie noch mit. Dadurch kommt es zu einem unnützen zusätzlichen Halt, der die Anlage belastet. Wenn viele Leute beide Knöpfe drücken, arbeitet die Anlage zu großen Prozentsätzen unsinnig. Leider kommen die meisten Leute erst auf die Idee, beide Knöpfe zu drücken, wenn sie das Gefühl haben, dass die Anlage bereits überlastet ist. Sie sind ungeduldig wie beim Duschen. Wenn also die Anlage zu 90 Prozent ausgelastet ist, drücken viele Leute beide Knöpfe, damit die Anlage noch 20 Prozent mehr arbeiten muss. Verstehen Sie? Ich stehe vor einem Aufzug, vor dem sich mehrere Menschen sammeln, weil er überlastet ist. Plötzlich zuckt eine ungeduldige Hand hervor und drückt auch nach unten. Zwei Drittel der Wartenden stöhnt innerlich auf. Dumm! Jemand sagt: »Es geht dadurch nicht schneller!« Die Antwort ist: »Langsamer bestimmt auch nicht!« Dumm!

In diesem Beispiel steckt viel Erkenntnis über die Ökonomie an sich. Ein bisschen Dummheit, Ungeduld oder Raserei (wie beim Autofahren) überall und ein überlastetes System bricht zusammen. Ein überholender LKW in kritischer Verkehrslage kostet Tausende Menschen eine Stunde ihres Lebens. Ein kleiner Prozentsatz von Ladendieben beschert uns Überwachungskameras wie in einem Polizeistaat. Nur ein paar Mörder kosten Unsummen an Kriminalbeamten. Das Unsolidarische, Unethische, Schlaue, Trickreiche, Listige kostet uns Unmengen von Geld! Ein paar gerissene Geduldsfaden, erlittene Ungerechtigkeit, Protest in Not oder der Terror überlastet das System bis zum Crash … Viele...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2020
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Digitalisierung • Innovation • Maschinisierung • Persönlichkeit • Roboter • Unternehmenskultur
ISBN-10 3-593-44581-6 / 3593445816
ISBN-13 978-3-593-44581-6 / 9783593445816
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