Radikalisierter Konservatismus (eBook)

Eine Analyse
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
200 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77048-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Radikalisierter Konservatismus -  Natascha Strobl
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Von der Krise der Sozialdemokratie ist allerorten die Rede. Doch auch viele traditionsreiche Mitte-rechts-Parteien befinden sich im Niedergang oder zumindest in einer Zwickmühle: Sollen sie sich für progressive urbane Milieus öffnen? Oder lieber ihr konservatives Profil schärfen? Während Angela Merkel für das eine Modell steht, repräsentieren Politiker wie Donald Trump oder Sebastian Kurz das andere. Sie sind Vertreter eines radikalisierten Konservatismus.
Natascha Strobl analysiert ihre rhetorischen und politischen Strategien. Sie zeigt, wie sie Ressentiments bedienen, um ihre Anhängerschaft zu mobilisieren, oder eigene Narrative erschaffen, um »Message Control« auszuüben und Kritik als Fake News abzutun. Statt inhaltlicher Auseinandersetzung suchen sie die Konfrontation. In ihren eigenen Parteien reduzieren sie die Demokratie, setzen auf kleine Beraterzirkel und Personalisierung. Dabei greifen sie, so Strobl, immer wieder auch auf die Methoden rechtsradikaler Bewegungen und Organisationen zurück.

Natascha Strobl, geboren 1985 in Wien, ist Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Sie schreibt unter anderem für die Frankfurter Rundschau und die Süddeutsche Zeitung. Auf der Plattform X ist sie unter @Natascha_Strobl zu finden. Ihr Buch <em>Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse</em> (es 2782) war ein Bestseller und wurde 2021 mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch (Anerkennungspreis) ausgezeichnet.

2.1 Erschöpfende Zerstörung
Der bewusste Regelbruch


Im politischen Betrieb gibt es Regeln. Manche sind formeller Natur. Dazu zählen Geschäftsordnungen oder Projektpläne, aber vor allem Gesetze und die Verfassung. Sie geben den äußeren Rahmen vor, in dem sich Politik abspielt. Die informellen Regeln sind weniger leicht zu fassen. Sie sind irgendwo zwischen Anstand und Moral, Etikette und Gepflogenheiten angesiedelt und oft habituell bedingt.

Mit dem Kennen und Einhalten der informellen Regeln signalisiert man Zugehörigkeit. Das beginnt bei Höflichkeit und Benehmen und reicht über das Wissen um Abläufe oder einstudierte Rituale bis hin zu der Idee, dass man einander, bei aller Gegnerschaft, hinter den Kulissen freundlich und kollegial behandelt. Darin verbirgt sich das Eingeständnis, dass Politik immer auch ein wenig einen Als-ob-Aspekt hat. Also die Vorstellung, dass Streite und das Einnehmen von Gegenstandpunkten nicht zuletzt den unterschiedlichen Rollen von Opposition und Regierung geschuldet sind und man in der jeweiligen Rolle bei der Inszenierung mitspielt. Das funktioniert nur so lange, wie Konsens als erstrebenswert gilt. Die Akteur:innen des radikalisierten Konservatismus wollen aber den Bruch, letztlich auch den Bruch mit der Geschichte der eigenen Partei. Mit der atemberaubenden Geschwindigkeit der Regelbrüche werden sicher geglaubte Gewissheiten weggewischt, sodass schließlich keinerlei Unterscheidung mehr zwischen richtig und falsch, erwünschtem und unerwünschtem Verhalten möglich scheint.

Der bewusste Regelbruch hat drei Funktionen. Erstens gibt man sich damit den Anschein eines Neuanfangs, obwohl die eigene Partei eigentlich Symbol des konsensualen Normalzustands ist. Der Bruch signalisiert, dass man nicht Teil des Systems ist, nicht zum Establishment in Washington gehört bzw. kein selbstverständlicher Partner in einer lähmenden Großen Koalition mehr ist. Man hat sich von den Altlasten befreit, jetzt ist eine neue Zeit angebrochen. Zweitens bringen die Regelbrüche selbst natürlich Vorteile mit sich – sowohl direkte als auch indirekte, weil einem die (einkalkulierte) Entrüstung hilft. Denn drittens sind bestimmte Regelbrüche gut fürs Image. In der öffentlichen Wahrnehmung ist man lieber unangepasst als spießig. Nichts aber ist spießiger als Konservatismus. Durch die Regelbrüche umgibt man sich mit dem Nimbus des Revoluzzers, während den Kritiker:innen, die auf die Einhaltung von Regeln und Anstand pochen, nur die Spießerrolle bleibt. Selbst flagrante Gesetzesbrüche werden von den Fans als Zeichen der Entschlossenheit gefeiert (siehe Kapitel 2.6).

Bruch der formellen Regeln


Den äußeren formellen Rahmen des parteipolitischen Handelns bilden Beschlüsse, Geschäftsordnungen und Gesetze. Sie geben genaue Anleitung, was wie und von wem zu tun ist, legen aber auch fest, was erlaubt ist und was nicht. Das gilt auch jenseits der hohen Politik – jeder Gartenverein und jeder Tennisclub muss sich an seine Satzung halten. Die Regelungen betreffen nicht zuletzt finanzielle Angelegenheiten. Einnahmen und Ausgaben müssen offengelegt, die verfügbaren Mittel dürfen nicht falsch verwendet werden.

Die Vertreter:innen des radikalisierten Konservatismus setzen sich, offen oder verdeckt, auch über diesen formalen Rahmen hinweg. Sebastian Kurz und die ÖVP haben etwa bei ihrem erfolgreichen Wahlkampf 2017 das gesetzlich vorgegebene Wahlkampfbudget massiv, um fast die Hälfte, überschritten: Statt der erlaubten 7 Millionen gab die Partei fast 13 Millionen Euro aus. Das brachte ihr einen enormen Wettbewerbsvorteil. Bei den Wahlen konnte sie ein sattes Plus von 7,48 Prozentpunkten verzeichnen. Mit 31,47 Prozent der Stimmen wurde sie mit Abstand stärkste Partei und Sebastian Kurz Kanzler.

Aufgrund dieses Stimmengewinns erhielt die ÖVP in der nächsten Legislaturperiode eine höhere Parteienförderung. Zwar musste sie Anfang 2020 wegen der Budgetüberschreitung eine Strafe von 800000 Euro zahlen,40 aber unterm Strich hat sich der Verstoß sogar rein finanziell gelohnt. Wie viel an ihrem Wahlerfolg dem Mehr an Ressourcen geschuldet war, lässt sich natürlich nicht seriös sagen. Fakt ist, dass die ÖVP die Regeln strategisch und zum eigenen Vorteil gebrochen hat. Die Konsequenz, die viele Monate später folgte, fiel finanziell nicht ins Gewicht und bedeutete gerade mit dem größeren zeitlichen Abstand keinen politischen Schaden mehr.

Auch Trump setzte sich immer wieder – vom Anfang bis in die letzten Tage seiner Amtszeit – über die formellen Regeln hinweg. Noch am 2. Januar 2021 versuchte er, Georgias Secretary of State Brad Raffensperger zu überreden, 11780 Stimmen »zu finden«, die ihm fehlten, um diesen Staat für sich zu gewinnen.41 Im Februar 2021 wurden Ermittlungen wegen des Verdachts auf Wahlmanipulation aufgenommen.42 Noch (Stand Juli 2021) ist allerdings unklar, ob es tatsächlich zu einer Anklage oder gar einer Verurteilung kommen wird.

Bereits vor Trumps Vereidigung gab es Vorwürfe, Russland habe zu seinen Gunsten in die Wahl eingegriffen. Und im September 2019 berichtete ein Whistleblower, dass Trump in einem Telefongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Auszahlung von (längst vom Kongress bewilligten) Militärhilfen davon abhängig gemacht hatte, dass in der Ukraine eine juristische Untersuchung gegen Hunter Biden, den Sohn seines Rivalen Joe Biden, eingeleitet würde.43 Dieser gleich in mehrfacher Hinsicht gesetzeswidrige Vorgang war dann die Basis für das erste Amtsenthebungsverfahren.

Bruch der informellen Regeln


Verglichen mit Vergehen wie Machtmissbrauch oder Behinderung des Kongresses mag der Bruch informeller Regeln harmlos, ja banal erscheinen. Aber er kann tiefgreifende, nachhaltige Wirkungen haben. Zum einen geht dadurch die Evidenz verloren, dass es Regeln gibt, an die sich einfach alle halten. Zum anderen werden die handelnden Personen in der täglichen Auseinandersetzung dadurch unberechenbar. Medien, aber auch politische Gegner:innen sind es gewohnt, dass für eine bestimmte Situation ein gewisses Handlungsspektrum existiert. Dazu zählen so banale Dinge wie sich für einen Fehler zu entschuldigen oder recherchierte Fakten anzuerkennen. Vor allem die Führungspersonen des radikalisierten Konservatismus stellen sich aber außerhalb solcher Normen. Der Regelbruch ist Teil der Inszenierung und wird als Grenzüberschreitung zelebriert.

Bei Donald Trump zeigte sich das vor allem an der Art, wie er redete oder Twitter für wüste Beschimpfungen und haltlose Tiraden nutzte. Sie entsprach in keiner Weise den Erwartungen an einen professionellen Politiker. Sobald Trump sich vor ein Mikro stellte oder ein Podium betrat, war mit einer Grenzüberschreitung zu rechnen. Etwa, als er sich bei einer Wahlkampfveranstaltung zum Gaudium seiner Fans über einen Journalisten mit Behinderung mokierte und ihn nachäffte.44 Man könnte auch fast jeden seiner Tweets anführen. Sein ganzer Twitter-Auftritt sprengte die Grenzen dessen, was als präsidial galt. Die Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt haben ihn als »serial norm breaker« bezeichnet.45

Von Anfang an kokettierte Trump mit seiner Unkonventionalität: »Ich kann präsidial sein«, erklärte er auf einer seiner Wahlkampf-Rallyes, »aber wenn ich präsidial wäre, hätte ich nur – wären nur etwa 20 Prozent von euch hier, weil das todlangweilig wäre.«46 Damit gab er zugleich zu verstehen, dass er sehr wohl in der Lage wäre, sich den Regeln entsprechend zu verhalten. Wer allerdings geglaubt hatte, nach seinem Amtsantritt würde Trump das unter Beweis stellen, sah sich bald getäuscht (siehe Kapitel 2.5). Seine Tiraden prägten die Medienlandschaft der USA für ein halbes Jahrzehnt. ...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Bestseller bücher • buch bestseller • edition suhrkamp 2782 • ES 2782 • ES2782 • FPÖ • Fratelli d'Italia • Giorgia Meloni • Identitäre • Mediale Inszenierung • message control • Neue Rechte • Österreich • Populismus • Rechtsextremismus • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • SPÖ
ISBN-10 3-518-77048-9 / 3518770489
ISBN-13 978-3-518-77048-1 / 9783518770481
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