Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein (eBook)

...und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltensökonomen

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
336 Seiten
Siedler (Verlag)
978-3-641-28876-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein -  Armin Falk
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Nominiert für den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2022: Warum wir das Gute wollen und das Schlechte tun - und wie wir das ändern können
Würden Sie für 100 Euro ein Leben retten? Die Antwort scheint klar, denn wollen wir Menschen nicht immer das Gute? Doch zeigt Armin Falk, Deutschlands führender Verhaltensökonom, dass wir oft das Gute wollen und es dann doch nicht tun - wir sind viel weniger gut, als wir denken. Was hindert uns daran, uns jeden Tag anständig zu verhalten: Endlich auf Ökostrom umstellen, keine Plastikbecher mehr nutzen, für Bedürftige spenden, das Klima schützen oder das Tierwohl achten? An vielen konkreten Beispielen und auf der Basis langjähriger eigener Studien zeigt uns der Leibniz-Preisträger, unter welchen Umständen sich Menschen moralisch verhalten und wann nicht. Wieviel Einfluss haben die Persönlichkeit, das Geschlecht, die Erziehung, die Kultur? Wenn wir das verstehen, wird es uns leichter fallen, nicht nur uns selbst zu verändern - sondern auch die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft.

Armin Falk, geboren 1968, leitet das Institut für Verhaltensökonomik und Ungleichheit (briq) und ist Direktor des Labors für Experimentelle Wirtschaftsforschung, sowie Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn. Falk ist einer der weltweit renommiertesten Wirtschaftswissenschaftler. Für seine Forschung wurde er 2008 mit dem Gossen Preis des Vereins für Socialpolitik und 2009 mit dem Leibniz-Preis (dem »deutschen Nobelpreis«) ausgezeichnet. Er erhielt zwei ERC Grants sowie den Yrjö Jahnsson Award, die höchste europäische Auszeichnung für Ökonomen, die von der Europäischen Fachgesellschaft verliehen wird.

Kapitel 1

Moral kontra Eigennutz:
Der fundamentale Zielkonflikt

Ich habe Ihnen anfangs zwei Fragen gestellt: Würden Sie auf 100 Euro verzichten, um einen Menschen vor dem Tod zu retten? Und was glauben Sie, wie verhalten sich ganz »normale« Studenten und Studentinnen einer deutschen Universität in diesem Fall? Die Antwort auf die erste Frage kennen nur Sie selbst. Die zweite Frage beantworte ich Ihnen weiter unten. Denn ich habe viele Hundert Teilnehmer zu einer Experimentalstudie eingeladen und sie genau vor diese Entscheidung gestellt.1 Nennen wir sie im Folgenden die »Lebensretter-Studie«.

Die Teilnehmer konnten entscheiden, ob sie zusätzlich zu ihrer Aufwandsentschädigung einen Betrag von 100 Euro für sich selbst erhalten oder damit eine Organisation unterstützen wollten, die Menschen vor dem Tuberkulose-Tod bewahrt. Bevor sie ihre Entscheidung trafen, wurden die Teilnehmer ausführlich über die Krankheit informiert: Laut Weltgesundheitsorganisation WHO ist Tuberkulose weltweit eine der zehn häufigsten Todesursachen. Für 2019 schätzt die WHO, dass etwa 1,4 Millionen Menschen an dieser tückischen Infektionskrankheit gestorben sind, deutlich mehr als an HIV oder Malaria. Ein erschreckendes Bild: Im fortgeschrittenen Stadium hustet der Erkrankte Blut ab, während das Lungengewebe systematisch von den Bakterien angegriffen und zerstört wird. Die Teilnehmer erfuhren aber auch, dass Tuberkulose heilbar ist und dass durch eine konsequente Diagnose und die regelmäßige Einnahme von Antibiotika in den Jahren 2000 bis 2014 nach Schätzungen rund 43 Millionen Menschenleben gerettet werden konnten.

Anschließend wurde ihnen erklärt, wie sie ihre Entscheidung treffen können. Wörtlich hieß es: Sie haben zwei Optionen, A und B. Wenn Sie Option A wählen, erhalten Sie einen zusätzlichen Geldbetrag in Höhe von 100,00 € nach der Studie per Überweisung ausgezahlt. Wenn Sie Option B wählen, erhalten Sie keine zusätzliche Auszahlung. Ihre Entscheidung hat eine weitere Konsequenz: Durch die Wahl von Option B retten Sie ein Menschenleben.

Konkret: Durch die Wahl von Option B veranlassen die Probanden eine Spendenzahlung in Höhe von 350 Euro an eine Organisation, die an Tuberkulose erkrankte Menschen identifiziert und behandelt. Der Geldbetrag von 350 Euro wird von den Leitern der Studie überwiesen und stellt sicher, dass mindestens fünf an Tuberkulose erkrankte Menschen erfolgreich behandelt werden können. Wären diese fünf Personen nicht behandelt worden, wäre einer von ihnen gestorben. Diese statistische Aussage basiert auf konservativen Berechnungen, die wir mithilfe epidemiologischer Studien und öffentlichen Angaben der WHO sowie der indischen Regierung ermittelt haben.

Für die Studienteilnehmer gilt also: Wenn sie die Spende in Höhe von 350 Euro veranlassen, retten sie ein Menschenleben – weil sie die Behandlung von mindestens fünf Erkrankten ermöglichen, von denen ohne Behandlung höchstwahrscheinlich einer gestorben wäre. Dieser Zusammenhang wurde den Teilnehmern auch noch einmal grafisch verdeutlicht (siehe Abbildung 1).

Abb. 1: Für fünf an Tuberkulose erkrankte Patienten gilt: Ohne Spende können die fünf Patienten nicht behandelt werden und es stirbt – voraussichtlich – einer von ihnen (obere Zeile). Mit der Spende können die fünf Patienten behandelt werden und es stirbt – voraussichtlich – keiner dieser Menschen (untere Zeile).

Die Teilnehmer wurden auch darüber informiert, dass wir mit der Operation ASHA zusammenarbeiten, einer gemeinnützigen Organisation, die seit 2005 auf die Behandlung von Tuberkulose spezialisiert ist und deren Behandlungsmethode von der WHO als »höchst effizient und kosteneffektiv« bewertet wird. (Inzwischen betreibt Operation ASHA über 360 Behandlungszentren, fast alle davon in ärmeren Gegenden Indiens. Über 60 000 Betroffene wurden auf diese Weise bereits behandelt.)

Jetzt zur Auflösung: Was schätzen Sie, wie viele Probanden sich für Option B entschieden haben, also auf 100 Euro zu verzichten, um im Gegenzug ein Menschenleben zu retten? Klar, 100 Euro ist viel Geld für einen Studierenden. Andererseits: Es geht um ein Menschenleben, was sind da schon lächerliche 100 Euro? Die Antwort lautet: 57 Prozent. Etwas mehr als die Hälfte der Probanden entschied sich für Option B, also dafür, auf das Geld zu verzichten, um im Gegenzug einen Tuberkulose-Kranken vor dem Tod zu bewahren. Ist das viel oder wenig? Ich weiß es nicht. Es ist, was es ist.

Wohlgemerkt: Dies war kein Gedankenexperiment. Die Studie wurde exakt so durchgeführt wie gerade beschrieben. Allen Teilnehmern, die sich für die 100 Euro entschieden haben, wurden die 100 Euro auch ausgezahlt. Und für jeden Teilnehmer, der sich für die Spende entschieden hat, haben wir 350 Euro an die Hilfsorganisation überwiesen. Insgesamt konnten durch die Zahlungen aus unseren Lebensretter-Studien 7145 Menschen behandelt und dadurch schätzungsweise über 1200 Menschenleben gerettet werden. Operation ASHA geht sogar von deutlich höheren Zahlen aus. Als positiver Nebeneffekt wurden Menschen zugleich auf HIV und Diabetes getestet und bei positiven Ergebnissen an entsprechende Hilfsprogramme weitergeleitet.2

Kosten und Nutzen

Die Entscheidung, entweder 100 Euro zu erhalten oder ein Menschenleben zu retten, repräsentiert exakt, worum es bei altruistischem bzw. moralischem Handeln immer geht: den Nutzen der »guten Tat« mit den damit verbundenen Kosten abzuwägen. Alle moralisch relevanten Handlungen folgen diesem Muster.

Aber was ist gemeint mit »Kosten« und »Nutzen«? Verhaltensökonomen wollen verstehen, wie sich Menschen verhalten, warum wir also aus verschiedenen Handlungsoptionen eine bestimmte Option auswählen. Hierbei wird unterstellt, dass wir bei unseren Entscheidungen den Nutzen einer Handlungsoption mit den Kosten vergleichen, dass also letztlich diese Abwägung darüber bestimmt, wie wir uns in einer konkreten Situation entscheiden. Wenn wir uns überlegen, eine Ferienwohnung zu mieten, wägen wir die Kosten der Wohnung mit dem zu erwartenden Nutzen ab, ebenso beim Kauf eines Kinotickets oder eines Schokoriegels. Im ersteren Fall kann die Abwägung einige Google-Suchen lang dauern, im letzteren fällt die Entscheidung oft in Sekunden, aber der Mechanismus bleibt derselbe. Bei den meisten alltäglichen Konsumentscheidungen geht es dabei in erster Linie um Kosten und Nutzen, die für uns selbst entstehen.

Bei altruistischen oder moralisch relevanten Handlungen kommt noch etwas Entscheidendes hinzu: der Nutzen für andere Menschen oder Lebewesen. Eine altruistische Handlung stiftet nicht nur einen Nutzen für mich selbst, etwa in Form eines guten Selbstbilds, sondern vor allem einen Nutzen für andere.3 Wenn ich etwa einem gehbehinderten Menschen helfe, die Straße zu überqueren, oder mich für die Rechte politisch verfolgter Menschen einsetze oder um die Integration und Unterstützung Geflüchteter bemühe, richtet sich das Ziel meines Handelns darauf, anderen Menschen zu helfen und damit Gutes zu tun. Moralisches oder altruistisches Verhalten unterscheidet sich daher grundsätzlich von Konsum- oder Freizeitentscheidungen, bei denen der Nutznießer der Handlung das handelnde Individuum selbst ist. Wenn ich das Theater besuche, mir ein neues Handy kaufe oder meiner Gesundheit zuliebe Joggen gehe, dann geschieht das um meiner selbst willen. Ich handle so, weil ich meinen eigenen Nutzen mehren will, nicht den von anderen Menschen.

Da der moralische, also prosoziale, Akt sich auf die Lebensverhältnisse anderer Menschen auswirkt, nennen wir die Ergebnisfolgen moralischen Handelns auch externe Effekte. Indem ich jemanden von seiner Krankheit befreie oder ihm das Leben rette, übe ich also, technisch gesprochen, einen »positiven externen Effekt« auf ihn aus. Und wenn ich umweltgerecht mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zur Arbeit fahre, übe ich einen »positiven externen Effekt« auf die gesamte Menschheit aus, da wir global von der Erderwärmung bedroht sind. Von negativen externen Effekten sprechen wir hingegen, wenn wir einem anderen Lebewesen Leid oder Schaden zufügen. Der Nutzen der guten Tat bemisst sich folglich am Umfang der positiven, das Unmoralische am Ausmaß der negativen externen Effekte.

Wenn ich in Bezug auf altruistisches oder moralisches Verhalten von »externen« Effekten, also den positiven oder negativen Auswirkungen meines Verhaltens auf andere spreche, muss oft zunächst definiert werden, was damit in einer konkreten Situation gemeint ist. Denn es herrscht kein allgemeinverbindlicher Konsens darüber, welches Verhalten zugleich konkret und universell als moralisch richtiges Verhalten zu gelten hat – und welches nicht. Nehmen wir das Beispiel Abtreibung. Während es für viele von uns völlig selbstverständlich ist, dass eine Frau (oder ein Paar gemeinsam) entscheidet, ob sie ein Kind austragen möchte oder nicht, gilt anderen allein der Gedanke daran als Teufelszeug. In Deutschland etwa wird seit Langem kontrovers darüber diskutiert, ob Ärzte damit werben oder überhaupt darauf hinweisen dürfen, dass sie Abtreibungen vornehmen. Manche halten das für legitim, andere für illegal. In den USA sind viele Leute, die Abtreibung als Mord verteufeln, zugleich Befürworter von uneingeschränktem Waffenbesitz (der dort nachweislich mehr Opfer zur Folge hat als etwa...

Erscheint lt. Verlag 9.5.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Alltagsmoral • Anstand • eBooks • Egoismus • Klimaschutz • Moral • Moralisches Handeln • Neuerscheinung • Prosoziales Handeln • Verhaltensökonomie • Werte • Wertedebatte • Wirtschaftsbuchpreis Shortlist
ISBN-10 3-641-28876-2 / 3641288762
ISBN-13 978-3-641-28876-1 / 9783641288761
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