Die stille Gewalt (eBook)

Spiegel-Bestseller
Wie der Staat Frauen alleinlässt
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01472-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die stille Gewalt -  Asha Hedayati
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Gewalt gegen Frauen ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit, sie hat sich in den letzten Jahren noch einmal deutlich verschärft. Jede vierte Frau ist einmal in ihrem Leben von Gewalt in ihrer Partnerschaft betroffen; mit großer Sicherheit haben wir alle im Bekannten- und Freundeskreis sowohl Betroffene als auch Täter. Asha Hedayati ist Anwältin für Familienrecht und macht immer wieder die Erfahrung, dass die staatlichen Strukturen Frauen nicht nur unzureichend vor Gewalt schützen, sondern sogar selbst Teil eines gewaltvollen Systems sind. Partnerschaftsgewalt ist wie ein blinder Fleck bei Familiengerichten, Polizei und Jugendämtern, in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren. Hedayati beschreibt in ihrem Buch, wie diese Praxis funktioniert, die die betroffenen Frauen alleinlässt, und zeigt auf, was sich ändern muss, damit die zuständigen Institutionen wirklich den Schutz bieten, den sie leisten sollten.

Geboren 1984 in Teheran, Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt Universität Berlin. Als Rechtsanwältin arbeitet sie seit fast 10 Jahren Im Bereich des Familienrechts und vertritt dabei schwerpunktmäßig gewaltbetroffene Frauen in Trennungs-, Scheidungs-, und Gewaltschutzverfahren. Neben der Arbeit als Anwältin, bildet sie Sozialarbeiter*innen von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen im gesamten Bundesgebiet aus und ist Gastdozentin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Alice-Salomon-Hochschule und der Paritätischen Akademie für Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit. Als Panelistin und Speakerin spricht sie regelmäßig öffentlich zu den Themen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen. Ziel ihrer Arbeit ist das Sichtbarmachen von Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen marginalisierter Gruppen und das Aufzeigen der strukturellen Problematik beim Thema Gewalt gegen Frauen.

Geboren 1984 in Teheran, Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt Universität Berlin. Als Rechtsanwältin arbeitet sie seit fast 10 Jahren Im Bereich des Familienrechts und vertritt dabei schwerpunktmäßig gewaltbetroffene Frauen in Trennungs-, Scheidungs-, und Gewaltschutzverfahren. Neben der Arbeit als Anwältin, bildet sie Sozialarbeiter*innen von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen im gesamten Bundesgebiet aus und ist Gastdozentin für Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht an der Alice-Salomon-Hochschule und der Paritätischen Akademie für Studierende des Studiengangs Soziale Arbeit. Als Panelistin und Speakerin spricht sie regelmäßig öffentlich zu den Themen häusliche Gewalt und Gewalt gegen Frauen. Ziel ihrer Arbeit ist das Sichtbarmachen von Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen marginalisierter Gruppen und das Aufzeigen der strukturellen Problematik beim Thema Gewalt gegen Frauen.

I. Die Situation der Frau


Frauen erfahren ihr gesamtes Leben den gesellschaftlichen Druck, einen Partner finden zu müssen, eine Beziehung zu führen, Kinder zu bekommen. Schon früh lernen Mädchen «Hochzeit spielen», tragen zu Fasching Prinzessinnenkleider, schauen Disney-Filme, in denen das Happy End bedeutet, dass die Prinzessin endlich von ihrem Traumprinzen geheiratet wird. In Filmen, in der Werbung, auf Social Media wird Frauen zugerufen: «Such dir einen Ehemann, such dir einen Partner, davon hängt dein Glück ab!» Vor einiger Zeit erzählte mir eine Bekannte, dass ihr Umfeld und die Menschen um sie herum sie ständig dazu drängten, endlich «einen Mann zu finden», und sie sich mittlerweile frage, ob sie ohne Partner überhaupt noch etwas wert sei. Immer wieder wird alleinstehenden Frauen in ihren Dreißigern versichert, dass der «Richtige» noch kommen werde, womit derjenige gemeint ist, der dann Mann und Vater in einem sein soll.

Die Gesellschaft sagt also Frauen auf unterschiedlichste Weise, eines ihrer wichtigsten Ziele im Leben sei es, den richtigen Partner oder Ehemann zu finden – den Menschen, der sie statistisch gesehen am wahrscheinlichsten töten wird. Das ist drastisch formuliert, aber im Jahr 2021 ereigneten sich 37 Prozent der polizeilich erfassten (inklusive versuchten) Tötungsdelikte gegen Frauen in (ehemaligen) Partnerschaften – im Vergleich dazu waren es bei Männern 3,9 Prozent. Damit sind (Ex-)Partnerschaften für Frauen der bedeutendste Kontext für Tötungen und sogar fast doppelt so gefährlich wie innerfamiliäre Konflikte: 2021 wurden 162 Frauen Opfer von Tötungsdelikten durch Verwandte bzw. andere Angehörige als ihre Partner*innen, damit machen diese Delikte 20 Prozent der (versuchten) Tötungen von Frauen aus.[1] Insgesamt ereigneten sich 57 Prozent der Tötungen von Frauen im sogenannten häuslichen Kontext, d.h. durch ehemalige Partner*innen oder andere Angehörige, wobei Partnerschaftsgewalt der deutlich größte Faktor ist. Auch Delikte im familiären Zusammenhang beruhen allzu oft auf Misogynie und ungleicher Machtverteilung, doch möchte ich mich hier auf die Gewalt durch (Ex-)Partner beschränken.

Ich bin hier nicht angetreten, um heteronormative Paarbeziehungen zu verteufeln oder die Idee der romantischen Liebe schlechtzureden, auch wenn sich für beides gute Argumente finden lassen. Aber das Heilsversprechen, das mit einer Ehe verbunden wird, halte ich für hochproblematisch. Sollte man sich nicht öfter mit Single-Frauen freuen, dass sie zumindest nicht an den Falschen geraten sind, jemanden, der sie unglücklich und krank macht? Der Staat dagegen betrachtet die Ehe als schützenswert. Er profitiert davon, weil die Ehe eine Solidargemeinschaft ist, die zum Beispiel im Fall von Arbeitslosigkeit eines Partners finanzielle Versorgungsleistungen übernimmt, die bei ledigen Menschen der Staat übernehmen müsste (Arbeitslosengeld II oder Hartz IV). Sie nützt im besten Fall auch den Ehepartnern – das Erbrecht ist geregelt, es gibt die Hinterbliebenenrente. In Deutschland ist es insgesamt aufgrund rechtlicher Bestimmungen deutlich unattraktiver, sich gegen die Ehe zu entscheiden, als dafür. Um die Ehe und die Kernfamilie zu sichern und zu stabilisieren, wurden eigens gesetzliche Anreize geschaffen: das Ehegattensplitting im Steuerrecht, aber beispielsweise auch die Anerkennung der Vaterschaft begünstigt verheiratete Paare. Wird ein Kind in einer heterosexuellen Ehe geboren, gilt der Ehemann kraft Gesetz rechtlich ohne Weiteres als Vater. Das ist zum einen eine Besserstellung gegenüber queeren Paaren, bei denen diese Konstellation nicht gilt. Zum anderen wird damit die Ehe gegenüber nicht ehelichen Beziehungen privilegiert, in denen eine Vaterschaftsanerkennung notwendig ist. Der Schutz der Ehe ist in Deutschland sogar ein Verfassungsgebot (Art. 6 Grundgesetz). Daraus folgt zwar nicht die Pflicht, nicht eheliche Lebensgemeinschaften in allen Belangen schlechterzustellen, aber eine Ungleichbehandlung kann damit gegebenenfalls gerechtfertigt werden.

Verheiratete Personen sind zumindest in der Theorie bei einer Scheidung rechtlich und wirtschaftlich besser abgesichert als unverheiratete Personen bei einer Trennung, insbesondere wenn einer der beiden Partner in der wirtschaftlich schwächeren Position ist. Eine vom deutschen Familienministerium in Auftrag gegebene Studie kommt gleichzeitig zu folgendem Ergebnis: «Die Ehe wird für viele Frauen aufgrund bestehender Anreizstrukturen in ihren Folgen und Risiken abhängigkeitsfördernd und kann sich existenzbedrohend auswirken.»[2]

Die Folgen und Risiken erlebe ich seit Jahren tagtäglich bei meiner Arbeit, wenn Frauen zu mir kommen, die größtenteils die unbezahlte Care-Arbeit übernommen haben und wirtschaftlich komplett abhängig sind von ihren Partnern, keine Wohnungen finden, die sie sich allein leisten könnten, von Armut bedroht sind. Ältere Frauen, denen Altersarmut droht, Alleinerziehende, die trotz Vollzeittätigkeit um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen, die nicht einmal Kindesunterhalt vom anderen Elternteil erhalten.

Die Ehe ist diejenige Institution, in der romantische Vorstellungen von Liebe und der Rechtsstaat miteinander verschmelzen. Abhängigkeiten – seien es finanzielle oder psychische – in Beziehungen bergen Gefahren für die abhängige Person. Unter anderem die Gefahr, dass der Partner diese Abhängigkeit ausnutzt. Und die interessante Frage ist nun, wie der Staat durch die Institution Ehe Abhängigkeiten fördert und die fatalen Folgen auffängt. Ich möchte einen Blick darauf werfen, wie der Staat in diese gängigste aller Beziehungsformen hineinwirkt bzw. wie staatliche Institutionen dazu führen, dass Ungerechtigkeiten verstetigt werden.

Gesellschaftliche Vorstellungen und über die Jahrhunderte entwickelte Geschlechterrollen führen noch immer dazu, dass viele Frauen sich für Partner entscheiden, die einem bestimmten Männerbild entsprechen. Ein Bild, das Männlichkeit mit Macht, Stärke und Erfolg verbindet. Studien zufolge gewichten Frauen wirtschaftliche Faktoren und finanzielle Stabilität bei der Partnerwahl deutlich höher als Männer.[3] Laut einer Studie der University of Birmingham und des University College London sind Frauen wählerischer und auf der Suche nach einem «high-quality mate», weil sie wissen, dass eine kurze romantische Begegnung zu Schwangerschaft und damit einer lebenslangen Verantwortung führen kann.[4]

Wie immer man diese Studien bewertet, Tatsache ist, dass in der Mehrzahl der heterosexuellen Beziehungen Männer größere, zum Teil viel größere finanzielle Ressourcen haben als Frauen. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien stellte 2017 einen durchschnittlichen «Gender Wealth Gap» von 40599 Euro in Paarhaushalten in Deutschland fest, was einem um 32 Prozent geringeren Vermögen von Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Partnern entspricht.[5] Auch auf der Einkommensebene ist der Unterschied eklatant. Das sorgt von Anfang an für ein Machtungleichgewicht in der Partnerschaft und führt häufig zu finanziellen Abhängigkeiten.

Die bewusste oder unbewusste Priorität der finanziellen Stärke des Partners ist nicht Ausdruck fehlender Eigenverantwortung oder der Geldgier der Frauen, sondern Ergebnis einer schlechteren gesellschaftlichen Ausgangsbasis. Frauen wissen, dass sie als Mütter die meiste Care-Arbeit leisten werden, dass sie im Vergleich zu ihrem Partner von Beginn an weniger verdienen und dieser Rückstand mit jedem Kind weiter zunimmt. Die Entscheidung für ein Kind führt laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung von 2020 bei Müttern zu durchschnittlichen Einbußen an Lebenserwerbseinkommen von rund 40 Prozent im Vergleich zu kinderlosen Frauen. Bei Frauen mit drei oder mehr Kindern beträgt die «Motherhood Lifetime Penalty» nahezu 70 Prozent.[6] Mütter verdienen in Deutschland nach der Geburt des ersten Kindes 61 Prozent weniger als vor der Geburt.[7] Und auch wenn die wenigsten Frauen diese Zahlen präsent haben und auch wenn es immer auch Familien gibt, wo es anders läuft, so spiegelt das Erfahrungswissen in der Breite der Gesellschaft doch genau das. Ich mache in meiner Beratung immer wieder die Erfahrung, dass verheiratete Frauen in der klassischen Kleinfamilie eine schlechtere finanzielle Ausgangsbasis haben.

Die Partnerwahl ist für einen Teil der Frauen daher selten eine wirklich freie Entscheidung. Während sie die erwartbare wirtschaftliche Abhängigkeit, die mit der Entscheidung für gemeinsame Kinder regelmäßig einhergeht, schon bei der Partnerwahl mindestens unbewusst berücksichtigen, bedeuten Kinder für Männer viel weniger finanzielle Abhängigkeiten. Männer sind so freier, bei der Partnerwahl auf die eigenen Bedürfnisse zu achten.

Im Alter sind es häufig die Frauen, die nach einer Trennung ein Leben ohne Partnerschaft führen, während Männer schnell wieder die nächste Beziehung beginnen. Bei Personen im Alter von 64 bis 85 Jahren sind es 78 Prozent der Männer, die in Partnerschaften leben, von den Frauen sind es nur 55 Prozent.[8] Viele ältere Frauen, die ich in Scheidungsverfahren begleite, sind froh, wenn sie endlich geschieden sind, weil sie dann «keine Verantwortung mehr tragen» und sich nicht mehr um ihre Partner «kümmern» müssen. Sie sagen mir, dass sie «nie wieder» mit einem Mann zusammenziehen werden. Sie wissen, was sie an Freiheiten aufgeben, wenn sie sich auf eine konventionelle Beziehung mit einem Mann einlassen. Männer...

Erscheint lt. Verlag 12.9.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abhängigkeit • Abhängigkeit vom Partner • Anwältin • Christina Clemm • Christina Klemm • Empowerment • Familie • Familienrecht • Frauen • Gewalt gegen Frauen • Häusliche Gewalt • Jugendamt • Justiz • Körperverletzung • Kübra Gümüsay • Mediation • Opfer • Recht • Seyda Kurt • Starke Frauen • Strafrecht • Verfahrensbeistand
ISBN-10 3-644-01472-8 / 3644014728
ISBN-13 978-3-644-01472-5 / 9783644014725
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