Sprache ist, was du draus machst! -  Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker

Sprache ist, was du draus machst! (eBook)

Wie wir Deutsch immer wieder neu erfinden | Verblüffende und spannende Fakten zur Deutschen Sprache
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44613-3 (ISBN)
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Linguistik-Professor Simon Meier-Vieracker vermittelt uns die faszinierende Vielfalt der deutschen Sprache Wir sprechen, also sind wir In verschiedenen Gegenden Deutschlands wird unterschiedlich gesprochen. Die lokalen Dialekte haben nicht nur Kultstatus, sondern geben uns auch Auskunft über die Herkunft von Sprechenden. Während das Ende eines Brotstücks beispielsweise in Ostdeutschland oft als »Kanten« bezeichnet wird, sagt man in Hamburg eher »Knust« und im Schwabenland heißt es oft »Riebele«. Linguistik-Professor Simon Meier-Vieracker, bekannt durch seine Wissensvermittlung auf TikTok als @fussballlinguist, zeigt uns unterhaltsam und zugänglich, wie ein Sprachforscher mit solchen Daten umgeht und was er daraus ableiten kann.  Sprachwandel oder Sprachverfall? Sprache umgibt uns jeden Tag, sie hilft uns, Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen und uns selbst zu definieren. Sie ist Ausdrucksmittel, Kunstform und die Grundlage unserer Kommunikation. Es ist also nicht verwunderlich, dass Sprache nicht nur Gegenstand der Forschung ist: Auch im Alltag wird sie immer wieder heiß diskutiert. Sind beispielsweise Internet-Sprachphänomene eine jugendliche Verrohung unserer altehrwürdigen deutschen Sprache? Verlernen wir in den Sozialen Medien Rechtschreibung und Grammatik oder steckt vielleicht aus linguistischer Perspektive mehr dahinter?  Sprache als Spiegel der Gesellschaft Wenn heutzutage über Sprache diskutiert wird, dann wird es schnell auch politisch: Warum reden eigentlich alle übers Gendern? Und wer entscheidet letztendlich darüber, was richtig oder falsch ist? Simon Meier-Vieracker bahnt sich einen Weg durch den Sprachdschungel und hilft uns die aktuellen Debatten um unsere Sprache besser zu verstehen. Er nimmt uns mit auf eine Reise durch die wundersame Welt unserer Sprache, die so vielfältig und spannend ist. »Abhängig von Ort, Alter und Kontext wird Deutsch ganz unterschiedlich gesprochen und geschrieben. Nehmen wir das sogenannte Beamtendeutsch, in dem ein Baum nicht Baum, sondern ?raumübergreifendes Großgrün? genannt wird. Das ist zweifellos Deutsch und folgt doch eigenen Regeln in Sachen Wortbildung, Bedeutung und Gebrauch.« Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker

Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker ist Inhaber der Professur für Angewandte Linguistik an der TU Dresden. Er forscht u. a. zu den Zusammenhängen von Sprache und Politik, Fußball und Fußballfankulturen sowie Sprache und Medizin. Für seinen TikTok-Kanal zur Linguistik wurde er 2023 mit dem Preis Die Goldenen Blogger ausgezeichnet.

Prof. Dr. Simon Meier-Vieracker ist Inhaber der Professur für Angewandte Linguistik an der TU Dresden. Er forscht u. a. zu den Zusammenhängen von Sprache und Politik, Fußball und Fußballfankulturen sowie Sprache und Medizin. Für seinen TikTok-Kanal zur Linguistik wurde er 2023 mit dem Preis Die Goldenen Blogger ausgezeichnet.

Same same but different


Die letzten Ausführungen deuten auf einen Aspekt hin, den man auch als Wesenszug von Sprache beschreiben kann: Variation. Nicht nur gibt es verschiedene Sprachen, sondern auch einzelne Sprachen verändern sich, sowohl in der Zeit – wir sprechen dann von Sprachwandel – als auch zwischen verschiedenen Situationen und Kontexten. Ein und dieselbe Sprache wie etwa das Deutsche wird zum Beispiel in Abhängigkeit vom Ort oder vom Alter der Sprechenden ganz unterschiedlich gesprochen und geschrieben.10 Es mag freilich Dialekte geben, die sich so sehr von der Standardsprache unterscheiden, dass man sie als eigene Sprache bezeichnen kann. Doch nehmen wir so etwas wie das im Alltag oft so genannte Beamtendeutsch, in dem ein Baum nicht Baum, sondern »raumübergreifendes Großgrün« genannt wird. Das ist zweifellos Deutsch und folgt doch eigenen Regeln in Sachen Wortbildung, Bedeutung und Gebrauch. Und dass man im Klassenzimmer während des Unterrichts anders Deutsch spricht als vor dem Klassenzimmer in der Pause, dürften alle noch aus ihrer Schulzeit in Erinnerung haben.

Der Sprach- und Literaturwissenschaftler Harald Weinrich hat das einmal in einem wunderbaren Buchtitel so auf den Punkt gebracht: »Sprache, das heißt Sprachen«11. Das gilt für Sprache allgemein, denn es gibt eben sehr viele verschiedene Sprachen – dem Mythos zufolge seit dem Turmbau zu Babel. Derzeit finden wir auf der Welt rund 7000 lebende, das heißt von Muttersprachler:innen gesprochene Sprachen.12 Es gilt aber auch für jede einzelne Sprache, denn auch diese fächert sich sozusagen auf in verschiedene Dialekte und Register.

Dialekte kennen wir alle, Register verbinden vermutlich die wenigsten mit Sprachwissenschaft. Wir werden uns diesen Begriff später noch genauer anschauen, fangen wir erst einmal mit den Dialekten an. Wir verstehen darunter normalerweise für bestimmte Regionen typische Ausprägungen einer Sprache. Wie die Alternativbezeichnung Mundart andeutet, werden Dialekte vor allem gesprochen und nur selten und in sehr spezifischen Kontexten wie etwa der Dichtung auch geschrieben. Und mehr noch: Dialekte werden oft nur in informellen Kontexten gesprochen. Ein Vorstellungsgespräch auf Alemannisch oder auf Saarländisch (wissenschaftlich korrekt müsste man eigentlich Moselfränkisch oder Rheinfränkisch sagen) ist selbst dann eher unwahrscheinlich, wenn die Personalerin und der Bewerber in ihren Familien oder im Sportverein Dialekt sprechen. Das heißt aber auch: Selbst Personen, die im Privaten Dialekt sprechen, können oft ins Hochdeutsche wechseln, wenn die Situation es verlangt. Klar, ein gewisser Akzent in der Aussprache bleibt oft, nicht umsonst kokettieren die Schwaben sogar in einer Werbekampagne des Landes Baden-Württemberg damit, dass sie alles können – außer Hochdeutsch.1 Aber zumindest die standarddeutsche Grammatik wird von den allermeisten Schwaben beherrscht, im Gesprochenen und im Geschriebenen natürlich erst recht.

Dass wir als Deutschsprechende so mühelos zwischen verschiedenen Arten des Deutschen wechseln können, je nachdem, was in der Situation gerade angemessen ist, fassen wir in der Linguistik mit dem Begriff Register. Der kommt eigentlich aus dem Orgelspiel. Da nennt man die einzelnen Pfeifensätze so, die man mit kleinen Knöpfen zum Ziehen ein- oder ausschalten und so den Klang der Orgel gezielt verändern kann. Große Orgeln haben über hundert Register, manche klingen fein und zart, andere dumpf und tief, wiederum andere massiv und strahlend. Und wenn wir »alle Register ziehen«, wie man auch sprichwörtlich sagt, dann holen wir aus der Orgel das Maximum an Lautstärke und Klangvolumen heraus. Sprachliche Register kann man zwar nicht alle auf einmal ziehen, wir müssen uns entscheiden. Aber uns stehen in der Sprache ebenfalls verschiedene Register zur Verfügung, und wir können zwischen ihnen hin und her wechseln, um passend zur Situation zu sprechen und zu schreiben. Was in informellen Situationen wie einem Plausch mit Freunden im Café angemessen ist, ist in einer formellen Situation wie einer Kontoeröffnung in der Bank womöglich völlig fehl am Platz. Und umgekehrt! Wer sich in einem privaten Gespräch zu formell ausdrückt, wird negativ auffallen, und wer in einem WhatsApp-Chat tunlichst auf regelkonforme Rechtschreibung und Interpunktion achtet, gerät leicht in den Verdacht, entweder ein Pedant oder ein Boomer zu sein.13

Die Wahl des geeigneten Registers hat nicht zuletzt etwas mit den anderen Personen zu tun, an die ich mich richte. Mit mir vertrauten Personen spreche und schreibe ich anders als mit Fremden, mit Vorgesetzten anders als mit Kolleg:innen. Im Marketing würde man vielleicht von zielgruppenadäquater Kommunikation sprechen. In der Sprachwissenschaft nennen wir das »audience design«, den Zuschnitt unserer Sprache auf das Publikum.14 Wir alle tun das, nicht nur die Marketing-Expert:innen unter uns, und wir tun das häufig sogar unbewusst, wenn auch nicht immer mit Erfolg. Auch dieses Buch ist übrigens ein Beispiel dafür. Ich schreibe hier ganz anders als in meinen wissenschaftlichen Artikeln, die ich für ein Fachpublikum schreibe. Ich wähle dementsprechend ein anderes Register, vielleicht weniger präzise, dafür lockerer und anschaulicher und damit hoffentlich für ein größeres Publikum verständlich.

Wie wir sprechen und schreiben, ist also einerseits Ausdruck  unserer Persönlichkeit. Wir alle haben ganz individuelle Stimmfärbungen, anhand derer wir von uns vertrauten Personen am Telefon schon durch ein kurzes »Ich bin’s« erkannt werden. Wir haben individuelle Ausdrucksweisen oder Schreibstile, eine Art sprachlichen Fingerabdruck, den sich dann auch die forensische Linguistik zunutze macht, um beispielsweise eine Telefonstimme oder den Verfasser eines Bekennerschreibens zu identifizieren.15 Aber längst nicht alle Eigenheiten unseres Sprechens und Schreibens sind wirklich individuell. Vieles hängt von unserer lokalen Herkunft ab – hier sind wir wieder bei den Dialekten, die zwar allein noch nicht zur Sprecheridentifikation, aber zumindest zur Eingrenzung genutzt werden können.

Das kann man leicht ausprobieren. Dialektologen haben einen Test entwickelt, in dem man 24 Fragen z.B. zur Bezeichnung des Brotendstücks beantworten muss. Auf dieser Grundlage wird dann der wahrscheinlichste Herkunftsort bestimmt.16 Das funktioniert erstaunlich gut: Ich werde korrekt im südbadischen Lörrach lokalisiert – obwohl ich das Brotendstück wie im Pfälzerwald üblich als »Knäuschen« bezeichne. Und bei der Arbeit an diesem Buch hat mein berufsbedingt kritischer Lektor mir die Aufgabe gestellt, ganz allein anhand seiner bevorzugten Brotendstückbezeichnung »Knüstchen« seinen Herkunftsort zu bestimmen. Mit einer entsprechenden Karte aus dem Atlas der deutschen Alltagssprache17 ist es mir auf die Stadt genau gelungen!

Auch unsere soziale Herkunft beeinflusst, wie wir sprechen und schreiben. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht prägt sich auch sprachlich aus. Wir werden von anderen entsprechend eingeordnet und beurteilt, wenn auch nicht immer zu Recht. Wir können aber auch durch eine besonders gewählte Ausdrucksweise ganz gezielt eine bestimmte soziale Position für uns beanspruchen und uns von anderen abgrenzen. Diese Unterarten einer Sprache nennen wir in Anlehnung an den Dialektbegriff auch Soziolekte. Schließlich hängt unsere Sprache von unserem Alter und sogar von unserem Geschlecht ab. Es gibt tatsächlich Unterschiede im Sprachverhalten z.B. von Männern und Frauen, wobei das aber nicht einfach biologisch festgelegt ist, sondern etwas mit den jeweiligen Rollenerwartungen und Stereotypen und entsprechender Sozialisation zu tun hat.18

All diese Ausprägungen einer Sprache – wir nennen sie in der Sprachwissenschaft Varietäten als Oberbegriff für Dialekte, Soziolekte usw. – bestimmen sich also durch soziale Faktoren wie eben Herkunft, Alter und Geschlecht, die wir mit anderen teilen. Auch wenn sie sich bei allen von uns vielleicht auf ganz individuelle Weise mischen, sind diese sozial bedingten Varietäten eben doch so etwas wie die Verbindungsglieder zwischen den Mitgliedern bestimmter Gruppen, sodass diese zum Beispiel sagen können: Wir in Sachsen reden so und so. Und zwar über Alters- und Schichtgrenzen hinweg.

Allerdings, und hier wären wir wieder bei den sprachlichen Registern, ist es nicht so, dass diese sozialen Faktoren unser Sprechen und Schreiben vollständig bestimmen. Zu sagen, dass ich spreche, wie ich spreche, weil ich ein aus Südbaden stammender Mann Mitte vierzig bin, wäre eine extreme Verkürzung, die zudem unterstellt, dass ich eben als ein aus Südbaden stammender Mann Mitte vierzig immer gleich spreche. In Wirklichkeit ist das viel komplexer und flexibler. Wir erinnern uns: Register sind die situations- und adressatenspezifischen Ausprägungen einer Sprache, zwischen denen wir gezielt, wenn auch nicht immer bewusst, wechseln können. Wir können jetzt auch sehen, dass die Grenzen zwischen Dialekten, Soziolekten und Registern fließend sind. In vielen Gegenden Deutschlands (weniger aber in der Schweiz) sind Dialekte ein Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht – oder werden zumindest dafür gehalten.19 Das kann man daran sehen, dass Menschen in Tests...

Erscheint lt. Verlag 2.5.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anglizismen • bastian sick ähnliche bücher • bücher über sprache • buch sprache • Chatbots • ChatGPT • Computerlinguistik • Das macht Sinn • Dativ • Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod • Deutsche Dialekte • Deutsche Sprache • deutsche sprache gendern • die besten bücher über sprache • Fußballlinguist • Fußballlinguistik • Gästin • Gendern • Genitiv • Linguistik • linguistik bücher • LinguisTikTok • Sachbuch Gesellschaft • Simon Meier-Vieracker • Soziolekt • Sprache einfach erklärt • Sprache und Gesellschaft • Sprache und Identität • Sprache und KI • Sprach-Phänomene • Sprachtechnologie • Sprachverfall • Sprachwandel • sprachwandel im deutschen • sprachwandel internet • sprachwandel jugendsprache • Sprachwissenschaft • TikTok Professor
ISBN-10 3-426-44613-8 / 3426446138
ISBN-13 978-3-426-44613-3 / 9783426446133
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