Plädoyer gegen die Perfektion (eBook)

Ethik im Zeitalter der genetischen Technik
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
176 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491941-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Plädoyer gegen die Perfektion -  Michael J. Sandel
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Jeder neue Durchbruch, den die Genetik erzielt, bedeutet Verheißung und Dilemma zugleich: Einerseits werden wir künftig in der Lage sein, tödliche Krankheiten wirksam zu bekämpfen und zu verhindern. Andererseits gibt uns dieses neue Wissen die Werkzeuge an die Hand, die Natur manipulieren und so uns selbst sowie unsere Kinder nach unseren Vorlieben optimieren zu können. Der weltbekannte Philosoph Michael Sandel analysiert die Fortschritte und Möglichkeiten der Gentechnik aus moralischer Sicht: Welchen Einfluss hat das genetische Perfektionsstreben auf Sicherheit und Fairness? Wie verändert es das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern? Und wo liegen die moralischen Grenzen der biotechnologischen Möglichkeiten? Mit einem Vorwort von Jürgen Habermas. »Was für ein grandioser Essay!« Frankfurter Rundschau

Michael J. Sandel, geboren 1953, ist politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Seine Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit begeisterte online Millionen von Zuschauern und machte ihn zum weltweit populärsten Moralphilosophen. »Was man für Geld nicht kaufen kann« wurde zum internationalen Bestseller. Seine Bücher beschäftigen sich mit Ethik, Gerechtigkeit, Demokratie und Kapitalismus und wurden in 27 Sprachen übersetzt.

Michael J. Sandel, geboren 1953, ist politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Seine Vorlesungsreihe über Gerechtigkeit begeisterte online Millionen von Zuschauern und machte ihn zum weltweit populärsten Moralphilosophen. »Was man für Geld nicht kaufen kann« wurde zum internationalen Bestseller. Seine Bücher beschäftigen sich mit Ethik, Gerechtigkeit, Demokratie und Kapitalismus und wurden in 27 Sprachen übersetzt.

Vorwort


Michael J. Sandel hat bei Charles Taylor in Oxford studiert. Seit mehreren Jahrzehnten lehrt er Philosophie an der Harvard University. Wer sich vom glänzenden Stil und der Darstellungskraft des Autors überzeugt hat, wird nicht überrascht sein zu erfahren, dass der Professor Sandel bei seinen Studenten den Ruf eines begeisternden Lehrers genießt. Schon dem jungen Sandel gelang es, mit seinem ersten Buch – einer Kritik an John Rawls epochaler Theorie der Gerechtigkeit – eine Debatte anzustoßen, an der sich im Laufe der 80er Jahre alle führenden Geister des Faches beteiligt haben. Das 1982 erschienene Buch Liberalism and the Limits of Justice hat auch über die Grenzen der USA hinaus eine lebhafte, bis in die Sozialwissenschaften hinein wirkende Kontroverse zwischen den Anhängern des Politischen Liberalismus und den sogenannten »Kommunitaristen« ausgelöst. Diese stehen in der Tradition der Aristotelischen »Politik« und pochen gegenüber den individualistischen Ansätzen des modernen Vernunftrechts auf der wesentlich sozialen Natur und Traditionsgebundenheit der Bürger eines politischen Gemeinwesens.

Der zunächst überzeichnete Kontrast zwischen der Autonomie des vereinzelten, nach je eigenen Präferenzen zweckrational entscheidenden Gesellschaftsbürgers auf der einen Seite und der »Einbettung« des von Haus aus sozialisierten, an gemeinsamen Werten orientierten Staatsbürgers auf der anderen Seite ist im Laufe der Diskussion entschärft worden. Auch die autonomiebewussten Kantianer zehren ja von der republikanischen Vorstellung einer intersubjektiv geteilten Praxis staatsbürgerlicher Selbstbestimmung. »Liberale« wie Rawls begnügen sich nicht mit einer schwachen Konzeption von Willkürfreiheit, sondern verbinden mit dem Begriff der Autonomie einen Sinn für Gerechtigkeit, der in Konfliktfällen verlangt, die Perspektiven aller Beteiligten einzunehmen und zu berücksichtigen. Als Kern der Auseinandersetzung zwischen Liberalen und Kommunitaristen bleibt die Frage übrig, ob sich streitende Parteien überhaupt so weit von den Sichtweisen ihrer jeweils eigenen Traditionen lösen können, dass der von Rawls behauptete Vorrang des »Gerechten« vor den verschiedenen Vorstellungen vom »konkreten Guten« mehr ist als eine unzumutbare und daher irreführende Abstraktion.

Diese Kontroverse bildet auch den Hintergrund für den vorliegenden Traktat. Mit diesem hat Michael Sandel in eine bioethische Debatte eingegriffen, die in Deutschland ähnliche Frontstellungen hervorgerufen hat wie in den USA. Die hier entwickelten Argumente spiegeln auch Diskussionen wider, an denen der Autor als Mitglied einer von Präsident George W. Bush berufenen nationalen Ethikkommission beteiligt war. Obwohl das Büchlein eher ein Plädoyer und keine im strengen Sinne philosophische Abhandlung enthält, stützt sich die eloquent vorgetragene konservative Stellungnahme zur Frage der Wünschbarkeit und Zulässigkeit eugenischer Eingriffe in den menschlichen Organismus auf eine wohl durchdachte neoaristotelische Position. Es ist dieser belastbare Argumentationshintergrund, der der Intervention, ganz unabhängig vom aktuellen Für und Wider zu einzelnen politischen Entscheidungen, ein philosophisches Interesse sichert.

»Eugenisch« heißt die gezielte Einflussnahme auf das organische Substrat eines Menschen, wenn die Manipulation das Ziel verfolgt, körperliche oder geistige Funktionen oder Fähigkeiten dieser Person zu »steigern«. Zwar kann die Grenze zwischen der Therapie einer Krankheit und der »Verbesserung« einer Disposition oder eines Zustandes nicht immer scharf gezogen werden. Das ist aber kein Grund, auf die Unterscheidung zwischen der Wiederherstellung eines gestörten Gesundheitszustandes und der Erzeugung neuer Eigenschaften zu verzichten. Unter normativen Gesichtspunkten ist nämlich die Abgrenzung zwischen therapeutischen und »verbessernden« Eingriffen von grundsätzlichem Interesse. Das illustriert Sandel in Form einer eindrucksvollen Phänomenologie jenes eigentümlichen Unbehagens, das uns nicht erst beim Gedanken an Designerbabys oder andere »transhumanistische« Zukunftsphantasien ergreift.

Sandel setzt bei unbehaglichen Reaktionen auf heute schon verbreitete Praktiken an. Gleichviel ob es sich um Doping und Schönheitschirurgie oder um die medikamentöse Manipulation von Körpergröße, Muskelkraft, Stimmung und Gedächtnis oder um die pränatale Bestimmung des Geschlechts handelt, auch diese Praktiken zielen bereits auf eine »technische« Verbesserung des menschlichen Organismus und seiner Leistungen ab. Die ambivalenten Gefühle, die manche dieser Praktiken auslösen, werfen schon ein gewisses Licht auf die Szenarien einer künftigen liberalen Eugenik. So begegnet Sandel beispielsweise dem abwiegelnden Einwand, dass sich die Verbesserung der genetischen Anlagen von Embryos nicht wesentlich von der pädagogischen Einflussnahme der Eltern auf ihre unmündigen Kinder unterscheiden, mit einer Analyse der zwiespältigen Gefühle im Anblick von hyperparenting. Schon die Drillpraktiken, mit denen überehrgeizige Eltern ihre Kinder zu sportlichen oder musischen Höchstleistungen abrichten, empfinden wir als problematisch.

Nun sind moralische Gefühle noch keine Argumente. Aber Gefühle haben einen propositionalen Gehalt, der sich explizieren und gegebenenfalls begründen lässt. Auf diesem Wege möchte Sandel moralische Grenzen der Verfügung über die natürlichen Lebensgrundlagen von Personen begründen. Es geht ihm um eine philosophisch einleuchtende Erklärung des Gebots, nicht alles, was technisch machbar ist, in marktgängige Technologien umzusetzen. Aber sollte nicht in einer liberalen Gesellschaft die Nachfrage der Konsumenten darüber entscheiden, was angeboten wird? Wer darf sich zum Richter über die Präferenzen der Bürger aufspielen? Die Frage macht klar, dass die Aussicht auf eine liberalen Eugenik heikle Grundlagen der politischen Theorie berührt. Kritiker, die einer solchen Praxis einen Riegel vorschieben möchten, setzen sich dem Anfangsverdacht aus, die Privatautonomie der Bürger autoritär beschneiden zu wollen. Aber die Anerkennung der privatrechtlich geschützten Autonomie, im Rahmen der Gesetze tun und lassen zu dürfen, was man will, entscheidet noch nicht über die moralische Rechtfertigung der Gesetze selber. Die Autonomie der Bürger erschöpft sich nicht in der privaten Freiheit, nach jeweils eigenen Präferenzen zwischen gegebenen Optionen oder verschiedenen Lebensentwürfen wählen zu können. Der moralische Begriff der Autonomie begrenzt die Verfolgung eigener Präferenzen im Hinblick auf das, was im gleichmäßigen Interesse aller Betroffenen liegt.

Aus dem Kantischen Gebot, die gleiche Autonomie eines jeden zu achten, lassen sich nach meiner Auffassung plausible Argumente gegen die Zulässigkeit einer zu eugenischen Zwecken vorgenommenen vorgeburtlichen Programmierung von Erbanlagen gewinnen.[1] Aber diese Argumente haben, wie Sandel richtig sieht, eine begrenzte Reichweite. Von Instrumentalisierung oder »Fremdbestimmung« einer Person kann nur so lange die Rede sein, wie ein eugenischer Eingriff ohne die informierte Zustimmung des Betroffenen vorgenommen wird. Die heute noch im Laborstadium befindlichen biogenetischen Forschungen und erst recht jene Forschungsprogramme, die Entwicklungen in Nanotechnologie und Hirnforschung mit dem Ziel der Steigerung physischer und kognitiver Fähigkeiten zusammenführen wollen, eröffnen nämlich auch Aussichten auf folgenreiche eugenische Manipulationen an erwachsenen, also zustimmungsfähigen Personen. Das wird Kantianer veranlassen, die moralischen Erwägungen um politik- und rechtstheoretischen Überlegungen zu erweitern: Müsste nicht die demokratische Meinungs- und Willensbildung der Bürger mit einem Regelungsbedarf konfrontiert werden, der im Hinblick auf die zu erwartende Erweiterung biotechnischer Verfügungsmöglichkeiten heute schon entsteht?[2]

Sandel schlägt einen anderen Weg ein. Auf dem Wege einer Explikation des verbreiteten Unbehagens an Manipulationen einer bisher unverfügbaren und als »gegeben« akzeptierten menschlichen Natur möchte er »dichte« oder substantielle Wertorientierungen zu Bewusstsein bringen, die, wie er meint, uns allen intuitiv gegenwärtig sind. Seine Analysen laufen darauf hinaus, dass eugenische Praktiken einen »sense of giftedness« untergraben, der für ein zivilisiertes Zusammenleben unverzichtbar ist. Dabei spielt Sandel mit dem Doppelsinn von giftedness – also von »Begabungen«, die wir dankbar annehmen, und von »Gegebenheiten«, die wir als unvermeidlich hinnehmen. Diese doppelte Einstellung prägt den liebevollen Blick von Eltern auf ihre Kinder, gleichviel wie sie auf die Welt kommen. Aber sollen sie diese fatalistische Einstellung auch dann beibehalten, wenn sie die Möglichkeit erhalten, schon im Embryonalstadium einige Wegweiser für den künftigen Lebensweg ihrer Kinder stellen zu können?

Sandel appelliert an eine Erfahrung, die sich uns in interpersonalen Beziehungen aufdrängt....

Erscheint lt. Verlag 28.2.2024
Übersetzer Rudolf Teuwsen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Biotechnologie • Design-Baby • Genetischer Code • genetische Revolution • Gentechnik • Harvard • Jürgen Habermas • Klonen • Medizin-Ethik • Menschliche Natur • Moral • Moralphilosophie • Neoliberalismus • Streben nach Perfektion
ISBN-10 3-10-491941-0 / 3104919410
ISBN-13 978-3-10-491941-6 / 9783104919416
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