Atomenergie -  Christian Hirschhausen

Atomenergie (eBook)

Geschichte und Zukunft einer riskanten Technologie
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
130 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-79789-7 (ISBN)
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Der Band gibt einen Überblick über die historischen und die aktuellen Konfliktlinien der Atomenergie und ermöglicht ein Verständnis der gerade geführten Debatten. Er beginnt mit der Entwicklung der Atomenergie sowie ihren militärischen und kommerziellen Anwendungen und endet mit den zwei Themen, die derzeit in Deutschland und darüber hinaus kontrovers diskutiert werden: dem Atomausstieg, der in den europäischen und globalen Kontext eingeordnet wird, sowie der Problematik der Endlagerung hochradioaktiver Abfälle.

Christian von Hirschhausen leitet das Fachgebiet Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik an der Technischen Universität Berlin und ist Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), zudem Mitglied der Forschungsgruppe Atomkernenergie.

1 Vergangenheit: Ursprünge, Entwicklungen und Nutzungen von Atomenergie


Dieses Übersichtskapitel verbindet die Ursprünge der Nutzung von Atomenergie mit längerfristigen Entwicklungen seit 1945 und wirft einen ersten Blick auf die größte Herausforderung der Zukunft, die sichere Entsorgung der nuklearen Hinterlassenschaften, die im «letzten Kapitel» zu Entsorgungsfragen dann wieder aufgegriffen werden. Das Kapitel deckt somit gleichsam die letzten 125 Jahre ab, von der Entdeckung der Radioaktivität über die Kernspaltung und die ersten Atombomben bis hin zu kommerziellen Nutzungen wie Stromerzeugung, Medizin und Forschung und zur Gegenwart, mit aktiven Entwicklungsprogrammen in China und anderswo sowie der Atomwende in Deutschland und der Notwendigkeit der Entsorgung. Gleichzeitig erfolgt eine Begründung, warum Atomenergie für Mensch, Natur und Gesellschaft eine besonders riskante Technologie darstellt.

1.1 Atomenergie: «Kind von Wissenschaft …


Die Nutzung der Atomenergie beruht auf der Kombination aus naturwissenschaftlicher Grundlagenforschung und militärisch motivierter Suche nach Anwendungen in geopolitischen Konflikten. Die heute landläufig geäußerte Meinung, Atomenergie ist das, «was da in den Kraftwerken passiert …», hat nichts mit den tatsächlichen Ursprüngen zu tun und betrifft auch nur einen kleinen, den «kommerziellen» Bereich der Stromerzeugung. Das Systemgut Atomenergie (der Begriff Systemgut wird im nächsten Kapitel genauer ausgeführt) beruht vielmehr auf einer Abfolge chemisch-physikalischer Grundlagenforschung und militärischen Nutzungen zwischen 1942 und 1945 durch die Entwicklung und den Abwurf von Atombomben. Dieses Janus-Gesicht der Kernkraft an der Schnittstelle des Besten, was der Mensch im wissenschaftlichen Arbeiten herauszubringen in der Lage ist, und dem Schrecklichsten, wozu er auch fähig ist, macht die Komplexität des Themas aus.

François Lévêque von der Ecole des Mines de Paris prägte in seinem Übersichtswerk The Economics and Uncertainties of Nuclear Power die Charakterisierung der «Atomenergie als Kind von Wissenschaft und Kriegsführung».[1] Damit beschreibt er die Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, bei der die Atomenergie erstens wissenschaftlich entdeckt und zweitens zur Kriegsführung großindustriell entwickelt und genutzt wurde. Lévêque war dabei keinesfalls der Erste, der mit diesem Bild aufwartete. Im Gegenteil, seit den 1940er Jahren sind analoge Interpretationen der Atomenergie überliefert: So bezeichnete Robert J. Oppenheimer, Leiter des Manhattan Project und wissenschaftlicher «Vater» der Atombombe, sein Werk mit dem Satz: «Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.» David Lilienthal, Vorsitzender der US Atomic Energy Commission (AEC) nach dem Zweiten Weltkrieg, schrieb in einem Gemeinschaftswerk unter anderem mit Dean Acheson, dem Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, dass die Suche nach kommerziellen Anwendungen nur die Kehrseite der militärischen Anwendung sei.[2] Der Physiker und Innovator Amory Lovins, der 2016 das Bundesverdienstkreuz als «Erfinder» der Energiewende in Deutschland verliehen bekam, und seine Frau Hunter Lovins gingen in ihrem Buch Atomenergie und Kriegsgefahr ausführlich auf die Doppeldeutigkeit der Atomkraft ein. Einen analogen Argumentationsstrang gibt es auch in der deutschsprachigen Literatur, u.a. bei dem Politologen Lutz Mez.[3]

Der Begriff der Kernkraft (physikalisch als «starke Wechselwirkung» bezeichnet) beschreibt, wie Nukleonen (Neutronen und Protonen) in einem Atomkern zusammengehalten werden. Die Kernspaltung mit ihrer seit Beginn des 20. Jahrhunderts intensivierten Forschung ist die Grundlage der in den 1940er Jahren entwickelten Atombomben und der heutigen kommerziellen Atomenergienutzung zur Stromerzeugung Eine ähnliche Entwicklungsstruktur ist auch bei der Kernfusion festzustellen, wo es nach einer ersten Phase der Grundlagenforschung eine militärische Weiterentwicklung in den 1950er Jahren durch die Wasserstoffbombe mit einer vielfachen Sprengkraft der Atombombe der 1940er Jahre gab. Seitdem haben sich Forschung und kommerzielle Anwendungen der Kernspaltung weltweit verbreitet, während die Kernfusion noch immer in der Grundlagenforschung steckt und in diesem Buch nicht weiter vertieft wird.

Das wissenschaftliche Interesse an der Atomphysik geht bereits auf die alte griechische Zivilisation zurück, auf der auch der Begriff A-tom («was nicht gespalten werden kann») beruht. Diese Theorie wurde jedoch um die letzte Jahrhundertwende widerlegt: Der französische Physiker Henri Becquerel entdeckte um 1900, dass bestimmte Stoffe, z.B. Uran, Strahlung abgeben, die sich aus der Umwandlung von Atomkernen von instabilen in stabile Zustände unter Abstrahlung von Energie, der Radioaktivität, ergeben. Seine Schüler Marie und Pierre Curie setzten die Arbeiten insbesondere zum Zerfall von Radium fort (welches dem Phänomen den Namen gab). Ernest Rutherford, Niels Bohr und andere Forschende entwickelten die Theorien zum Aufbau der Atome weiter. Daraus leitete sich das Verständnis von Atomen ab, die aus positiv geladenen Protonen und neutralen Neutronen im Kern sowie den darum kreisenden, negativ geladenen Elektronen bestehen.

1933 veröffentlichte Leo Szilard erstmals eine theoretische Arbeit über eine Kernspaltung, dicht gefolgt von Enrico Fermi, der 1934 seine Theorie des Beta-Zerfalls («Fermi-Wechselwirkung») publizierte. Experimentell wurde die Kernspaltung erstmals am 17. Dezember 1938 von Otto Hahn und Fritz Straßmann in Berlin-Dahlem (Thielallee 63) durchgeführt, indem sie Neutronen auf Urankerne schossen und anschließend die Bruchstücke, u.a. Barium und Krypton, nachwiesen. Die physikalische Interpretation hierzu lieferten Lise Meitner, langfristige Kollegin von Hahn, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft emigrieren musste, und ihr Neffe Otto Frisch in Stockholm im Januar 1939. Die Theorie der Aufrechterhaltung der Urankernspaltung als Kettenreaktion wurde ebenfalls 1939 von Joliot-Curie in Paris beschrieben (und dann später, 1942, in Chicago von Leo Szilard, Eugene Wigner und Enrico Fermi mit einem größeren Team erstmals experimentell bewiesen).

Abb. 1.1: Grundlagenforschung: Lise Meitner und Otto Hahn 1913 im Labor, Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, Berlin (Thielallee 63)

Die Bindungsenergie zwischen den positiv geladenen Protonen und den Neutronen ist sehr groß. Eine Vorstellung davon gibt das von Albert Einstein 1905 im Rahmen der speziellen Relativitätstheorie formulierte Naturgesetz der Beziehung zwischen der Energie E und der Masse m (bei c = Lichtgeschwindigkeit von ca. 300.000 km/Sekunde):

E = m c2

Die Gesamtmasse des Kerns ist größer als die Summe seiner einzelnen Bausteine. Diese «Massendifferenz» wird beim Zerfall des Kerns eines Spaltstoffs, z.B. Uran, in Form von Kernenergie freigesetzt. Auch wenn die Massendifferenz nur sehr gering ist, wird so eine sehr große Menge an Energie frei, über eine Million Mal mehr als bei einer einzelnen chemischen Verbrennung, beispielsweise von Kohlenstoff.[4]

Beim Zerfall entstehen darüber hinaus Spaltprodukte, welche teilweise wiederum zur Energiegewinnung verwendet werden können, und es werden unterschiedliche Formen radioaktiver Strahlung frei. Radioaktivität bezeichnet dabei die Eigenschaft von Atomkernen, sich spontan unter Abstrahlung von Energie umzuwandeln (s. Kapitel 2). Die Strahlengefahr ist der Grund dafür, dass die radioaktiven Abfälle nach der Nutzung für sehr, sehr lange Zeiträume von Mensch und Umwelt abgeschirmt werden müssen. Dies gilt zumal für hochradioaktive Abfälle, die aufgrund langer Halbwertszeiten sehr lange schädlich bleiben. So hat Plutonium, ein besonders giftiger und aggressiver Stoff, eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren, sodass über Hunderttausende von Jahren noch schädliche Strahlung ausgehen kann. In Deutschland müssen hochradioaktive Brennelemente für über eine Million Jahre möglichst sicher endgelagert werden, so gesetzlich vorgeschrieben im Standortauswahlgesetz von 2013. In anderen Ländern ist ebenfalls eine über hunderttausend Jahre sichere Endlagerung vorgeschrieben (z.B. Finnland) – allesamt unvorstellbare Zeiträume.

1.2 … und Kriegsführung»


Das Potenzial, Kernspaltung militärisch zu nutzen, haben viele Wissenschaftler frühzeitig, d.h. bereits in den 1920er Jahren, erkannt. Dennoch erfolgt die Verbindung von...

Erscheint lt. Verlag 16.3.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Technik
ISBN-10 3-406-79789-X / 340679789X
ISBN-13 978-3-406-79789-7 / 9783406797897
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