Geschichte einer Ehe (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-21274-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Geschichte einer Ehe -  Geir Gulliksen
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Dies ist die Geschichte einer Ehe. Und einer großen Liebe. Es geht um eine Frau und einen Mann, die sich ein Leben teilen, es ist ein gutes. Sie führen eine moderne Beziehung. Sie sind glücklich miteinander. Jedenfalls für lange Zeit. Dann plötzlich bricht alles auseinander. Warum? Was ist geschehen? Der Mann in diesem Roman sucht Antworten. Was muss passieren, dass zwei, die einander liebten, nicht mehr miteinander reden, leben, schlafen können? Was ist schiefgelaufen, vor allem aber: wie hat sie es, die Frau gesehen?

Geir Gulliksen (geb. 1963) ist einer der herausragenden Persönlichkeiten des Literaturlebens in Norwegen. Als Verleger und Lektor war er u. a. verantwortlich für die Entdeckung so wichtiger skandinavischer Autoren wie Karl Ove Knausgård oder Linn Ullmann. Bekannt wurde er zunächst als Lyriker und Essayist; Romane, Theaterstücke und Kinderbücher folgten. 2014 erhielt er den Aschehoug-Preis für sein Gesamtwerk. Sein zuletzt erschienener Roman auf Deutsch »Geschichte einer Ehe« stand auf der Shortlist des Nordischen Literaturpreises.

2


Ich muss mir vorstellen, wie es für sie war, in diesem Herbst, an einem der Tage, bevor alles geschah. Sie stand mitten im Leben, trat unbefangen in alle Räume und Situationen. Die anderen Körper umgaben sie wie ein freundlicher Wald, sie bewegte sich unbeschwert zwischen allen, kam mit jedem ins Gespräch. Sie hatte seit jeher langes Haar gehabt, doch nachdem wir zusammengekommen waren, hatte sie es kurz schneiden und dunkler färben lassen. Jede Nacht schlief sie auf der Seite, mit einer Hand unter ihrer Wange. Ich lag hinter ihr, wir schliefen nackt, ich hatte die Arme um sie gelegt, sie spürte meine warme Vorderseite an ihrem Rücken. Nachts gab es nur uns beide, morgens wachte jeder auf seiner eigenen Betthälfte auf. Sie wurde von mir oder den Kindern geweckt. Die Zimmer waren hell, die Stimmen mild. Lange gibt es keine andere Möglichkeit, sich daran zu erinnern, als an ein unverhofftes, unverdientes Glück. Meist saßen wir um einen ovalen Tisch, dänisches Design, aus Stahl und weißem Kunststoff. Er war viel zu teuer für uns, als wir ihn eines Samstags kauften, aber wir gewöhnten uns daran, unsere Schulden stiegen, und wir scherten uns nicht darum. Wir saßen morgens und abends an diesem Tisch, die Kinder machten ihre Hausaufgaben daran. Später war er dann viel zu groß, als sie ihn übernahm, denn die neue Küche, in die sie ihn stellte, war kleiner. Am Ende verkaufte sie ihn, und jetzt steht er bei anderen Leuten: Der Tisch hat ein neues Leben, wie alles andere, was wir früher einmal teilten.

Sie radelte unter hellen Baumkronen entlang. Sie atmete mit offenem Mund. Sie nahm jedes Mal die Treppe, wenn sie in die oberen Stockwerke musste, und das musste sie oft. Sie benutzte nie den Aufzug, sie mochte keinen Stillstand. An diesem Vormittag hielt sie einen Vortrag in einer der kommunalen Abteilungen. Es lief gut, sie spürte, dass die Zuhörer bei ihr waren (ihre Gesichter: Sie streckten sich ihr entgegen wie grüne Gewächse dem Licht). Anschließend wollte der Leiter der Kommunikationsabteilung sie gleich wieder einladen. Sie vereinbarten, diesbezüglich zu mailen, und im Anschluss kamen mehrere Mitarbeiter zu ihr und dankten ihr für den Vortrag. Und dann, als sie gerade hinausgehen wollte, war da ein Mann, der sie innehalten ließ, sie verstand nicht genau, warum. Sie blieb stehen und wartete auf ihn, er bahnte sich einen Weg durch die Versammlung, während er sie ansah, ihren Blick festhielt. Diese Augen, irgendetwas war mit ihnen, sanft und doch forsch, selbstsicher und suchend, sie wusste es nicht genau. Selbst als alles vorbei war, wusste sie nicht, was es gewesen war, sie konnte es sich selbst nicht erklären und mir schon gar nicht.

Er war groß und schwer zu übersehen, aber nicht nur, weil er groß war. Sein Gesicht war länglich, die Augen ein wenig schräg, er hatte kleine Narben, vielleicht hatte er als Jugendlicher Akne gehabt. Er sah nicht gut aus, diese Feststellung muss selbst mir erlaubt sein, auch wenn ich wohl kaum ein objektiver Betrachter bin. Aber es lag etwas Verlockendes, Ungreifbares in seinem Blick, oder in seinem Lächeln, oder darin, wie er den Kopf schüttelte. Sie blieb stehen und wartete darauf, dass er zu ihr kam, und er lächelte, während er sich näherte, sich zielstrebig zwischen den anderen hindurchschob, die gerade den Raum verließen. Ihr wurde warm, sie wusste nicht, warum. Kurz darauf standen sie sich gegenüber und sahen sich an, und sie hoffte, ihr Gesicht würde eine amüsierte Erwartung ausdrücken: Was wollte er ihr sagen? Ihr Gesicht sollte ihm erzählen, dass er sie aufhielt und sie nicht wusste, was er von ihr wollte, dass sie sich dem, was auch immer es war, aber mit nüchternem Wohlwollen stellen würde. Er fing an zu reden. Über die Öffentliche Gesundheit, genau das, was sie am meisten interessierte. Er sagte etwas, was sie selbst hätte sagen können, aber er formulierte es ein bisschen besser, fand sie. Wobei, im Grunde wirkte das, was er sagte, auch leicht verzerrt, als würde er sich anstrengen, ihre Perspektive einzunehmen, und könnte es nicht, weil es ihm nicht gelang, die eigene aufzugeben. Letzteres ist eine Überinterpretation, das muss mir keiner sagen, ich weiß es ja selbst. Ganz im Gegenteil: Sie empfand seine Meinung als bereichernd, befreiend. Er begleitete sie hinaus, alle Treppen hinunter. Sie ging zu ihrem Rad, und sie redeten weiter, während sie es aufschloss und sich zum Aufbruch bereitmachte.

Anschließend fuhr sie gemächlich durch die Straßen, sie wollte ins Büro, nahm sich jedoch viel Zeit. An diesem Vormittag schien sich ihr alles zeigen zu wollen, die Linden oder der Ahorn, es kümmerte sie nicht, welche Bäume es waren, frisches Laub, das sich im ansonsten kaum merklichen Wind regte, eine Elster, die fröhlich mit dem Schwanz wippte. Sie gefiel sich. Sie und ihr Leben gefielen ihr. Alles, was lebendig war, öffnete sich ihr, wohin sie auch kam.

Sie fürchtete nichts.

Einst war sie ein junges Mädchen gewesen, jetzt war sie eine erwachsene Frau geworden. Sie hatte mich mit fünfundzwanzig Jahren kennengelernt, das war inzwischen lange her, und ich war einige wenige Jahre älter als sie.

Ich nannte sie Timmy. Sie hieß anders, hatte einen normalen Mädchennamen, der ihr selbst nicht besonders gefiel. Und eines Abends, in einem der ersten Monate, nachdem wir zusammengekommen waren, lagen wir in ihrer alten Wohnung im Bett und schauten im Fernsehen Timmy, den Grashüpfer. Eigentlich sahen wir gar nicht richtig hin, wie hatten mehrere Stunden im Bett verbracht und waren nur kurz aufgestanden, um etwas zu essen, wir waren so lange miteinander beschäftigt gewesen, damit, was unsere Körper zusammen zustande brachten, und jetzt brauchten wir eine Pause. Wir tranken Wasser, ich zappte durch die Kanäle, an dem alten Disney-Film vorbei, und sie bat mich, wieder dorthin zurückzuschalten. Wir sahen ein Stück davon und waren beide gerührt, aber nur ich weinte. Ich hatte ein kleines Kind, das ich an diesem Tag nicht sah, und auch den Rest der Woche nicht, weil ich lieber hier war, mit ihr zusammen im Bett. Sie verstand, dass das der Grund dafür war, warum ich weinte, aber sie tat so, als würde sie glauben, ich wäre vom Film gerührt, und anschließend erzählte sie mir, dass sie Timmy immer lieber gemocht hatte als Pinocchio, lieber als Ahörnchen und Bhörnchen und sogar lieber als Dumbo. Sie hatte sich mit Timmy identifiziert, weil er immer versuchte, aus allem das Beste zu machen, er nahm seinen Regenschirm und ging, und er sang so aufrichtig und hoffnungsfroh, selbst wenn es um ihn herum dunkel wurde und er nicht mehr wusste, wo er war.

»Das bist ja du«, sagte ich. »Du bist Timmy. Du bist diejenige, die alles richtig macht und nie aufgibt, bis sie geschafft hat, was sie erreichen will.«

Ich bewunderte sie schon damals, es war meine Art, sie zu lieben. Das verstand sie aber erst später und war lange damit überfordert, wie großartig sie in meinen Augen wirkte. Sie antwortete, als Grashüpfer habe sie sich selbst nie gesehen, und ich erwiderte flirtend, dass es mir gefalle, wie sie ihre Hinterbeine an meine reibe. Das war so daher gesagt, nicht einmal lustig, und sie sah, dass ich es bereute, dass es mir peinlich war, dass ich es nicht gewohnt war, so zu reden. Sie machte mich freier, als ich es je gewesen war, das verstand sie, und war deswegen gerührt oder verliebt, falls es dazwischen überhaupt einen Unterschied gibt. Nach diesem Abend fing ich an, sie Timmy zu nennen. Es setzte sich durch, wurde mehr als ein Kosename, es wurde ihr Name, sie nannte sich selbst so. Viele unserer Freunde nannten sie mit der Zeit ebenfalls Timmy, und später auch ihre Kollegen, als sie anfing zu arbeiten.

Sie saß in ihrem Büro vor dem Licht des Bildschirms. Sie ging ihren Bericht durch, hatte lange daran gearbeitet, und heute ging es leichter. Konzentriert saß sie da, ohne sich ablenken zu lassen, weder von ihren Mails noch von den Nachrichten im Internet. Durchs Fenster konnte sie auf den Spielplatz eines Kindergartens hinunterschauen. Sie sah die Kinder, die im Sandkasten spielten, dachte aber weiter an ihren Bericht. Bei einigen Tabellen war sie sich unsicher, die Zahlen stimmten nicht überein. Sie streifte unter dem Tisch die Schuhe ab und rieb ihre schmerzenden Füße aneinander. Sie strich sich mit der Hand über den Nacken, es sah aus wie eine Liebkosung. Die andere Hand schob sie unter ihr Oberteil, berührte ihren Bauch, ließ die Finger zum BH hinaufgleiten und nestelte an dem einen Träger herum.

Das Telefon klingelte, sie musste ihre Hand befreien, um dranzugehen. Es war ein Kollege, der bei seinem kranken Kind zu Hause geblieben war und sie darum bat, ihm ein Dokument zu schicken. Sie suchte es im Netzwerk und schickte es ihm. Dann fuhr sie mit dem fort, wobei er sie unterbrochen hatte. Sie dachte an das Abendessen, an mich. An die Öffentliche Gesundheit, ans Radfahren, ob es am Wochenende trocken genug wäre im Wald. Sie wollte allein radeln oder zusammen mit den Kindern. Am liebsten allein, sie wollte schnell sein, an ihre Grenzen kommen. Sie dachte daran, dass es erst Dienstag war. Sie sah auf die Uhr. Eine Stunde lang hatte sie konzentriert gearbeitet. Sie überlegte kurz, ob sie auf die Toilette gehen sollte, beschloss jedoch, ohne Unterbrechung bis zur Mittagspause weiterzumachen. Erst wollte sie Kjersti bitten, Teile des Berichts durchzugehen, dann entschied sie sich dagegen, wollte es am liebsten allein schaffen. Sie war ehrgeizig, hatte Angst, man könnte sie für schwach und fehlbar halten. Auf dem Bildschirm sah sie einen Schatten vorbeihuschen. Vor dem Fenster flatterte eine dicke Krähe vorüber und steuerte den Baum neben dem Kindergarten an. Der Vogel landete auf einem dünnen Ast, blieb sitzen und wippte. Ja, sie würde warten, ehe sie mit Kjersti sprach. Ein bisschen wollte sie es noch allein...

Erscheint lt. Verlag 11.3.2019
Übersetzer Ursel Allenstein
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Historie om et ekteskap
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte a.m.homes • Beziehung • eBooks • Ehe • Ehekrise • Feminismus • Karl Ove Knausgård • Liebe • Norwegen • Roman • Romane • Scheidung • Sex • Skandinavien • Skandivavien • Weihnachtsgeschenke für Frauen
ISBN-10 3-641-21274-X / 364121274X
ISBN-13 978-3-641-21274-2 / 9783641212742
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,6 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von T.C. Boyle

eBook Download (2023)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
20,99
Roman

von Fatma Aydemir

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99
Roman. Jubiläumsausgabe

von Umberto Eco

eBook Download (2022)
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
12,99