Harter Fall. Kriminalroman -  Frank Göhre

Harter Fall. Kriminalroman (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

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2023
168 Seiten
CulturBooks Verlag
978-3-95988-239-2 (ISBN)
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Rock auf der Reeperbahn, Reggae in Jamaika »Kopfkino vom Feinsten.« Nils Kahlefendt Es sind die Monate nach der großen norddeutschen Schneekatastrophe im Winter 1978/79: In Hamburg wird eine unbekannte Tote gefunden. Zur selben Zeit brechen drei junge Männer nach Jamaika auf. Sie wollen zu den Roots des Reggae, in die Berge und ans Meer, auf den Spuren des Kultfilms »The Harder They Come«. Die Schwester des einen bleibt zurück, ihr Weg führt in den Musikclub Chikago und das Kiez-Milieu dieses zu Ende gehenden Jahrzehnts.

Die Geschichte der Reisenden verzahnt sich mit den Aktivitäten der Daheimgebliebenen und den Ermittlungen um die tote Frau, die bis in die Politik führen. Neue Drogen erobern den Kiez, Freundschaften zerbrechen, Schuldzuweisungen vertiefen die Kluft. Und doch bleibt die Sehnsucht nach einer Befreiung aus der realen und emotionalen Kälte jener Tage. In kurzen, schnellen Szenen entwirft der Meister des deutschen Noir eine spannende Geschichte zwischen Hamburger Kiez und Jamaika.

Frank Göhre, aufgewachsen im Ruhrgebiet, lebt in Hamburg. Der Autor der der inzwischen legendären »Kiez Trilogie« wurde dreimal mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet, zuletzt für seinen Krimi »Verdammte Liebe Amsterdam« (2020), für den er auch den Stuttgarter Krimipreis 2021 erhielt. Sein letzter Roman »Das Geld, die Stadt und der Tod« stand drei Monate in Folge auf der KrimiBestenliste. Frank Göhre gab das Gesamtwerk des Schweizer Autors Friedrich Glauser neu heraus und schrieb dessen Lebensroman »Mo«. Mit Alf Mayer veröffentlichte er Bücher über Ed McBain und Elmore Leonard. Zu seinen Drehbucharbeiten zählen »Abwärts« und »St. Pauli Nacht« (Deutscher Drehbuchpreis, verfilmt von Sönke Wortmann).

»Göhre hat einen scharfen Blick für die verschiedenen Milieus und braucht immer nur ein paar Sätze, um eine Szene so lebendig werden zu lassen wie in einer guten Reportage.« — FAZ

»Virtuos demonstriert Frank Göhre, wie Noir auf Deutsch gehen kann.« — Tages-Anzeiger

EINS


Aber so sprach Jah
ich werde gehen und euch einen Platz vorbereiten
denn wo ich bin, da sollt ihr bleiben
so sprach Jah

Ein Rasta in den Bergen Jamaikas

1 »The Harder They Come«

Der Film: Die Küste, der Palmenwald, ein rot-weißer Bus auf der Straße entlang am Meer, Sonne und Strand, und die ersten Takte des Songs ertönen … »the harder they com …« Der Bus, voll besetzt und mit Kisten und sonst was beladen, fährt durch eine Ortschaft, fährt auf einer schmalen, kurvenreichen Straße einen dicht bewaldeten Hang hinab. Ein Laster kommt dem Bus entgegen, es ist kein Ausweichen möglich, beide Fahrzeuge werden knapp vor einem Zusammenstoß abgebremst … »but between the day you’re born and when you die, they never seem to hear even your cry«, singt Jimmy Cliff.

Er kommt aus den Bergen Jamaikas mit dem Bus nach Kingston. Er kommt in die Stadt.

Es ist eine lärmende, eine pulsierende, eine große Stadt.

Überall ist der Reggae zu hören.

Wabernde Rhythmen in Endlosschleife.

Dominosteine werden auf Holztische geknallt.

Billardkugeln klacken aneinander.

Gras wird geraucht. Ganja, Ganja.

Kiff, Kiff.

Jimmy lacht.

Er lacht ein breites Lachen aus dem Rückfenster des Busses heraus. Das Leben beginnt. Ein neues Leben.

Sein neues Leben.

2 Dänemark, Herbst 1978: Sie schlich in der Morgendämmerung aus dem Haus. Nebel hing über dem flachen Land, es war kühl. Sie ruckelte ihren Rucksack zurecht und marschierte los. Sie marschierte quer durch den Ort bis zum Kreisverkehr. An der Ausfahrt in Richtung Süden stellte sie sich auf.

Sie musste nicht lange warten.

Der Fischhändler stoppte seinen Lieferwagen und ließ sie einsteigen.

»Ich will meinen Freund besuchen«, sagte sie. »Er lebt in Flensburg.« Es gab für sie keinen Grund, daraus ein Geheimnis zu machen. Auf dem Zettel für ihre Mutter, den sie an die Kaffeemaschine gelehnt hatte, stand nicht viel mehr.

Sie hieß Kirsten Poulsen, und sie war siebzehn. Sie war das einzige Kind einer ledigen Mutter. Über ihren leiblichen Vater bekam sie nur zu hören, dass er sich irgendwo in Europa herumtrieb und gelegentlich als Gärtner oder Bademeister arbeitete.

Kirsten hatte den schon voll entwickelten Körper einer jungen Frau, ihr Gesicht aber war das eines Kindes. Aus ihren großen blauen Augen blickte sie in eine Welt, die ihr weitgehend fremd und unheimlich erschien.

Dennoch aber war sie von zu Hause aufgebrochen.

Sie war verliebt. Sie war verliebt in Rainer.

Sie nestelte an ihrer dünnen Halskette mit dem dunkelgrünen Plastikring. Das Zeichen ihrer Liebe.

Rainer hatte mit seinen Eltern die Sommerferien in einem der von ihrer Mutter betreuten Häuser am Meer verbracht, und sie hatte sich jeden Tag heimlich mit ihm getroffen.

»Flensburg?« Da wirst du ’ne Zeit für brauchen«, sagte der Fischhändler und klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. »Ich fahre nur bis Esbjerg.«

»Das ist ja schon ganz schön weit«, sagte Kirsten.

Der Fischhändler sagte nichts dazu. Bis Esbjerg waren es achtzig Kilometer. Er rauchte. Kirsten mochte den Rauch nicht und schloss die Augen. Ihr entging, wie der Frühnebel sich lichtete und eine blasse Sonne sichtbar wurde. In Esbjerg musste sie geweckt werden.

»Ich hab mir gedacht, am besten nimmst du den Zug«, sagte der Fischhändler. Er wies auf das alte Bahnhofsgebäude. »Dann bist du in zwei Stunden bei deinem Freund.«

»Danke«, sagte Kirsten. »Danke, aber das Geld möchte ich lieber sparen.«

»Hmm. – Es ist aber sicherer.« Der Fischhändler dachte einen Moment lang nach. Dann klappte er seine lederne Geldbörse auf und hielt Kirsten lächelnd einen Zweihundertkronenschein hin.

»Das kann ich nicht annehmen«, sagte Kirsten.

»Kannst du. – Sonst werde ich euch keinen Fisch mehr verkaufen.« Er lächelte sie an und drückte ihr den Schein in die Hand.

»Deutschland ist brandgefährlich«, sagte der Mann, der Kirsten im Zugabteil gegenübersaß. Er hatte sein »Ekstra Bladet« aus der Hand gelegt und sich zu Kirsten vorgebeugt. Sie hatte das Gefühl, dass er sie strafend ansah. »Da sind längst noch nicht alle Terroristen hinter Gittern. Die legen Bomben und morden weiter. Die scheuen vor nichts zurück.«

»Nun machen Sie dem Mädchen doch nicht solche Angst«, sagte die an der Abteiltür sitzende junge Frau. Sie trug einen Norwegerpullover, Jeans und Wildlederstiefel mit Schnüren und Fransen. »Ich habe regelmäßig ein paar Tage in Flensburg zu tun und bin kein bisschen beunruhigt.«

»Flensburg.« Der Zeitungsleser schnaubte verächtlich.

Die junge Frau bot Kirsten ein Käsebrot an.

Bevor der Zug Kolding erreichte, wurde für alle nach Deutschland Weiterreisenden eine Passkontrolle angekündigt.

Kirstens Herz pochte heftig. Schlagartig wurde ihr klar, dass man sie aufgrund ihres Alters erst einmal festhalten und dann nach Hause zurückschicken würde. Doch das durfte nicht sein. Sie sah Rainer vor sich. Sein schönes Gesicht, seine graugrün glitzernden Augen. Sein lachender Mund.

Er war so lieb. Er war so klug. Rainer. Ihr Rainer aus Flensburg. Sie sehnte sich so sehr nach ihm.

Er breitete die Arme aus und drückte sie an sich.

Er küsste sie. Ihr wurde schwindelig vor Glück.

Aber sie musste was tun. Einen Weg finden.

Den Weg über die Grenze zu ihm.

3 Norddeutschland. Jahreswechsel 1978/79: Es waren ungewöhnlich milde Weihnachtstage mit fast schon frühlingshaften Temperaturen, aber Jan blieb weitgehend im Haus. Er büffelte für das Abi. Er war ehrgeizig. Wie immer, wie bei allem.

Jan war ein schlanker, sportlicher Typ mit blonden glatten Haaren und einem offenen Gesicht. Er trug in diesen Tagen eine ausgebleichte Jeans, ein gelbes Sweatshirt mit »California«-Aufdruck und Fellschlappen.

Jan machte sich Notizen für eine Interpretation von Hermann Hesses »Der Steppenwolf«, trank Tee und rauchte stündlich eine Selbstgedrehte.

Es war ein altes Fachwerkhaus in Klein Gaddau, einem Rundlingsdorf im Wendland mit knapp hundert Einwohnern. Jans Eltern hatten das Haus vor einigen Jahren preisgünstig erworben und es gemeinsam mit Freunden nach und nach renoviert und ausgebaut. Inzwischen war es neben der Hamburger Etagenwohnung in Harvestehude der offizielle Zweitwohnsitz des Ehepaars Monika und Nicolas Böhm. Jan und seine vier Jahre ältere Schwester Ulrike hatten unterm Dach ihre eigenen Zimmer.

Am Morgen des Siebenundzwanzigsten packte Nicolas Böhm seine Manuskripte und den Stapel neuer LPs zusammen, um für ein paar Tage nach Hamburg zum NDR zu fahren. Er war als Jugendfunk-Redakteur und Moderator unter anderem auch für die Musiksendung »Der Club« zuständig.

Beim Frühstück blätterte Jan die Alben durch und zog eins heraus.

»Kann ich die erst noch hören?«, fragte er.

»Welche ist das?«

»Public Image«, sagte Jan.

»Tut mir leid, aber da hat der Kollege für heute ’nen Text zu geschrieben. – Wie kommst du auf die Gruppe? Die ist so gut wie unbekannt.«

»Mir nicht.«

Sein Vater hob überrascht die Augenbrauen.

»Ich bring sie dir am Wochenende wieder mit«, sagte er. »Ich sollte stolz auf dich sein.«

»Kannst du auch.«

Ulrike nippte an ihrem O-Saft. Für Jan war deutlich erkennbar, dass sie sich in der Nacht mit Gras oder sonst was zugedröhnt hatte. Sie war noch im Dschum.

»Das hat er von mir«, sagte sie zum Vater.

Jan verdrehte die Augen.

»Musst du nicht auch zurück?«

»Ich werd später abgeholt«, sagte sie und trat mit dem Glas ans Fenster. »Von Ingo. – Das Wetter geht mir echt auf’n Geist. Das ist doch nicht normal.«

Mutter Monica räumte wortlos den Tisch ab.

Ingo.

Ingo war Ulrikes ehemaliger Mitschüler, ein dicklicher Typ mit extrem dünnem Haar. Er studierte Jura und war Asta–Vorsitzender. Bei den Jusos war er einer der Wortführer des rechten Flügels und hatte einen wöchentlichen Zwölf-Stunden-Bürojob bei seinem Mentor Helmut Kügel, dem SPD-Kreisvorsitzenden Hamburg-Mitte. Regelmäßig besuchte er einen in Dannenberg lebenden Bildhauer mit NS-Vergangenheit: »Der hat ganz vernünftige Ansichten, das ist ein Guter.«

Ingo-Arschloch für Jan. Ein Schleimer.

Ein Fehlgeleiteter für Jans Vater.

Für Ulrike: keine Ahnung.

Am nächsten Tag gab es einen Temperatursturz. Es begann zu schneien. Innerhalb weniger Stunden versank ganz Norddeutschland im Schnee. Es schneite mehrere Tage. Es schneite ununterbrochen. Es stürmte.

In Klein Gaddau reichten die Schneewehen bis hoch über die Türen und Fenster der Fachwerkhäuser. Es gab keinen Strom und keine Telefonverbindung. Jan und seine Mutter Monica waren wie alle Dorfbewohner von der Außenwelt abgeschnitten. Sie ernährten sich von Dosensuppen und Ravioli, die sie auf dem Camping-Kocher erhitzten. Wie auch das Wasser für Tee, Reis und Spaghetti. Sie kamen damit zurecht. Jan rauchte die...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
ISBN-10 3-95988-239-4 / 3959882394
ISBN-13 978-3-95988-239-2 / 9783959882392
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