Was ist Empowerment? -  Beate Blank

Was ist Empowerment? (eBook)

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2024 | 1. Auflage
159 Seiten
Beltz Juventa (Verlag)
978-3-7799-5104-9 (ISBN)
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Beim Empowerment-Konzept geht es um weit mehr als um die programmatische Abkehr vom Defizit-Blickwinkel einer expertendominierenden Hilfe der Adressat*innen Sozialer Arbeit. In den Blick gelangt vielmehr eine Haltung, die den Fragen nach Macht und Ohnmacht nachgeht, um von da aus die Grundbedingungen für Selbstwirksamkeit und Ermächtigungsprozesse verstehen zu können. Das komplexe Empowerment-Paradigma ist untrennbar mit Barbara Bryant Solomon verbunden. Die US-amerikanische Pionierin des Empowerments hat die macht- und rassismuskritischen Grundlagen gelegt. Neben einer Einführung in die Rezeptionsgeschichte, Theorie, Forschung und Praxis fokussiert das Buch ein inklusives Verständnis von Empowerment, das machttheoretisch fundierte systemische mit bekannteren personalen, psychologischen Zugängen verbindet. Daran kann sich eine veränderte professionelle Identität anschließen, die diskriminierungssensibel ist, Diversität achtet und Ermächtigung ermöglicht.

Beate Blank, Dr., Dipl.-Päd. und Dipl.-Soz.Arbeiterin (FH), ist Professorin für Soziale Arbeit / Sozialarbeitswissenschaft an der Dualen Hochschule BW Villingen-Schwenningen.

Einleitung


Empowerment – Schlagwort oder Grundlagenwissen?


Der Begriff Empowerment wurde von der US-amerikanischen Professorin für Soziale Arbeit, Barbara Bryant Solomon, eingeführt. Zunächst ein paar Daten zur Person: Die für ihr Lebenswerk inzwischen vielfach ausgezeichnete Wissenschaftlerin erwarb den Bachelor in Psychologie an der Howard University, den Master of Social Work an der University of California in Berkley und den Doktortitel an der University of Southern California. Sie wurde die erste afroamerikanische Dekanin an der University of Southern California. In verschiedenen Funktionen hat sie sich für die Förderung von afroamerikanischen Studierenden und anderer Minderheiten engagiert. Nach einer fast fünfzigjährigen Karriere in der Sozialen Arbeit und Forschung und nach fast dreißig Jahren Vorstandstätigkeit an der Walden University ist sie dort 2020 in den Ruhestand verabschiedet worden. Die School of Social Work der Walden University ist nach ihr benannt.

In ihrem 1976 erschienenen Buch Black Empowerment: social work in oppressed communities, entwickelt sie eine machttheoretisch fundierte, rassismuskritische und diskriminierungssensible Empowerment Theory. Daran schließt sie ein Empowerment Concept für die Soziale Arbeit an. Eine ihrer Kernaussagen lautet:

„Empowerment ist definiert als ein Prozess, bei dem die Sozialarbeitenden oder andere professionell Helfende in eine Reihe von Aktivitäten mit dem Klienten durchführen, um die Ohnmacht bzw. Mindermacht, die aus der Erfahrung von Diskriminierung herrührt, zu reduzieren, weil der Klient einer stigmatisierten Gruppe (Nachbarschaft, Gemeinschaft, Minderheit) angehört.
Diese Aktivitäten zielen insbesondere darauf ab, solchen negativen Bewertungen entgegenzuwirken (Solomon 1976: 29, Übers. d. V.). “

Das singuläre Grundlagenwerk der Empowerment-Pionierin wird im Fachdiskurs bisher wenig diskutiert und rezipiert. Diese Nichtbeachtung in der weiß-gelesenen Wissenschaft ist als epistemische Gewalt einzuordnen (Blank 2018: 327). In den letzten Jahren hat sich hierzulande eine Sensibilisierung für Rassismen und die Verbrechen der deutschen Kolonialgeschichte entwickelt. Die Studie „Rassistische Realitäten“ des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung aus 2022 kommt zu dem Ergebnis, dass nahezu die gesamte Bevölkerung ein Rassismus-Problem in Deutschland erkennt. Die Stimmen der Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen der deutschen Black Communities und People of Colour werden vermehrt gehört. Sie beeinflussen die Theoriebildung der Sozialen Arbeit. Es ist zu wünschen, dass der Wissensschatz von Solomons Arbeit in die Theoriebildung Sozialer Arbeit eingehen wird. Damit verbinde ich auch die Hoffnung, dass den deutschen Empowerment-Pionier*innen, der ADEFRA-schwarze Frauen in Deutschland3 und der Initiative der Schwarze Menschen in Deutschland4, die gebührende Wertschätzung zukommen wird.

Der Empowerment-Begriff Solomons ist psychologisch und politisch zugleich. Die Power in Empowerment beziehungsweise die Macht in Ermächtigung ist gleichsam das Missing-Link, das beide Zugänge zusammenführt. Nicht nur semantisch, sondern auch erkenntnistheoretisch. Durch das Nachdenken über Macht, ihre Erscheinungsformen und Mechanismen, wird das schwer fassbare Ermächtigungsparadigma konkret.

Der folgende Beitrag greift Solomons Ermächtigungsbegriff auf. Seine machttheoretische und rassismuskritische Verortung in den Theorietraditionen der angloamerikanischen Sozialwissenschaften und den Black Studies wird in Beziehung gesetzt zu den interdisziplinären Theorielinien der deutschsprachigen Sozialen Arbeit und zu den aktuellen intersektionalen Diskursen. Die Phänomene der Mindermacht umfassen alle Diskriminierungsformen. Die rassistischen Konstruktionen in Bezug zu Hautfarbe, ethnischer und religiöser Zugehörigkeit werden in ihrer Überschneidung mit Sexismus, Ableismus5, Adultismus6, Altersdiskriminierung, Homophobie7, Queer*-Feindlichkeit8 oder anderen Formen von Diskriminierung in Beziehung gesetzt.

Was ist Empowerment? ist die Ausgangsfrage in Teil I.

Menschenrechtliches Empowerment wird als Kernelement des Ermächtigungsparadigmas einer kritischen Sozialen Arbeit definiert. Die Menschenrechte verbinden die häufig getrennt voneinander diskutierten individualpsychologischen und gesellschaftspolitischen Zugänge. Grund- und Menschenrechte existieren nicht per se und aus sich heraus. Sie müssen immer wieder aufs Neue erkämpft, verteidigt und bewahrt werden.

Diese Definition ist nicht nur für die Soziale Arbeit bestimmend, sondern ebenso für alle anderen Disziplinen und Professionen, die sich mit der Ermächtigung der Menschen befassen. Im Kontext von sozialer Gerechtigkeit und Potentialentfaltung wird Empowerment zu einer normativen Setzung. Diesen weit über die Profession hinausreichenden Anspruch gilt es diskursanalytisch, handlungstheoretisch, konzeptionell, methodologisch und strategisch einzulösen. Dass dies für eine Profession möglich sein soll, die für sich selbst weitgehend die Frage nach der Macht ausblendet, wird kritisch diskutiert. Es ist eine herausfordernde Aufgabe für die Soziale Arbeit, die selbst in gesellschaftliche Abhängigkeits- und Machtverhältnisse verstrickt ist, sich den Fragen nach dem Begründungszusammenhang und dem Wie der Ermächtigung ihrer Adressat*innen zu stellen. Den „Hybridcharakter“ Sozialer Arbeit zwischen „Fremdhilfe“ und „Selbstermächtigungshilfe“, so Helmut Lambers, kann der Ermächtigungsansatz nicht auflösen. Vielmehr läuft Soziale Arbeit Gefahr, sich kritiklos von der sozialstaatlichen Fürsorgelogik hin zur aktivierenden und individualisierenden Selbstsorgelogik zu entwickeln. Dieses Dilemma zeigt sich in einem Höchstmaß an „theoretischer Diffusion“, resümieren David Vossebrecher und Karin Jeschke aus Sicht der kritischen Psychologie.

Trotz aller begründeten Kritik an einem machtentleerten Ermächtigungsbegriff hat die Abkehr von der Defizitperspektive auf den Menschen und seine Lebenswelt die Soziale Arbeit und Sozialpädagogik seit den 1990er Jahren von Grund auf verändert. Für Hans Thiersch hat das autonome Subjekt die Zuständigkeit und Deutungshoheit über seinen Alltag. Sozialarbeitende interagieren in den Brüchen und Widersprüchen der gegebenen Verhältnisse. Wobei sich nicht die Adressat*innen den Normalitätsvorstellungen der Majorität anzupassen haben, sondern die Mehrheitsgesellschaft sich für andere Sicht- und Lebensweisen öffnen soll. Inklusion und Diversität vervielfältigen Ressourcen und wirken sozial integrativ. Folgerichtig ist die Schaffung von Gelegenheiten zur Partizipation aller Bevölkerungsgruppen für demokratische Gesellschaften konstitutiv. Die Kritik an der Expertokratie, der Deutungshoheit von Fachpersonen, und das konsequente Eintreten von Norbert Herriger für ein Menschenbild der „Menschenstärken“, hat den Bewusstseinswandel hin zur Stärkenperspektive maßgeblich beeinflusst. Solch eine Professionsethik ist die Voraussetzung für ein „Supportive Empowerment“. Den Begriff der unterstützenden Ermächtigung hat Georg Theunissen, einer der Empowerment-Pionier in der Behindertenhilfe und Heilpädagogik, in Anlehnung an Neil Thompson eingeführt.

Solomon geht mit ihrem machttheoretischen Blick einen Schritt weiter. Für sie hängt die Förderung von Ermächtigung von dem Grad ab wie das Hilfesystem selbst ein Empowerment ermöglichendes oder behinderndes System ist. Sie identifiziert systemischen Rassismus und negative Bewertungen als wirkmächtige Machtblockaden. Bias, gemeint sind kognitive Verzerrungen und unbewusste Denkmuster, beeinflussen uns alle. Die Mehrheit der Sozialarbeitenden in den USA und Europa sind ‚weiß‘9 und Mittelschichtsangehörige. Unser ganzes Denken ist ‚weiß‘ und privilegiert geprägt. Dies ist im Sinne einer Verantwortungsethik anzuerkennen. Mit dieser Haltung sollten wir reflektieren, ob unser Mindset für das Selbstbild der Angehörigen von Black Communities ...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Pädagogik Sozialpädagogik
ISBN-10 3-7799-5104-5 / 3779951045
ISBN-13 978-3-7799-5104-9 / 9783779951049
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