Automatisierung und die Zukunft der Arbeit (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021 | 1., Deutsche Erstausgabe
240 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-77038-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Automatisierung und die Zukunft der Arbeit - Aaron Benanav
Systemvoraussetzungen
15,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Zukunftsforscher, Technikutopistinnen und marxistische Gesellschaftskritiker malen in seltener Übereinstimmung ein düsteres Szenario an die Wand: Über kurz oder lang übernehmen Roboter, selbstfahrende Autos und Algorithmen unsere Jobs. Digitalisierung und Automatisierung machen Millionen von Arbeitnehmern überflüssig. Aber ist wirklich der technologische Wandel der entscheidende Faktor hinter diesem tiefgreifenden Strukturwandel der Arbeitswelt? Aaron Benanav widerspricht dem »Automatisierungsdiskurs« und zeigt, dass die eigentlichen Ursachen in einer Verlangsamung der Produktivitätssteigerung und des Wachstums zu suchen sind. Eine Zukunft, in der Mensch und Maschine nicht miteinander konkurrieren, ist möglich, dafür bedarf es jedoch einer demokratischen Organisation der Wirtschaft.

<p>Aaron Benanav ist Wirtschaftshistoriker und forscht als Postdoctoral Researcher an der Humboldt-Universit&auml;t zu Berlin. Er schreibt unter anderem f&uuml;r <em>The Guardian</em> und die <em>New Left Review</em>.</p>

Vorwort


Das Internet, Smartphones und soziale Medien haben schon jetzt grundlegend verändert, wie wir miteinander umgehen und die Welt erfahren. Was würde geschehen, wenn sich diese digitalen Technologien vom Display lösen und immer tiefer in die uns umgebende materielle Welt eindringen? Fortgeschrittene Industrierobotik, selbstfahrende Autos und Lkw sowie der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Krebserkennung scheinen das Ende vieler Sorgen anzukündigen, wecken aber zugleich neue. Denn was würden die Menschen in einer weitgehend automatisierten Zukunft tun? Könnten wir unsere Institutionen an sie anpassen und in einem neuen Zeitalter intelligenter Maschinen den Traum von menschlicher Freiheit verwirklichen? Oder würde sich dieser Traum als Albtraum technologischer Massenarbeitslosigkeit entpuppen?

In zwei Aufsätzen, die 2019 in der New Left Review erschienen sind, habe ich einen neuen Automatisierungsdiskurs nachgezeichnet, an dem sich liberale, konservative wie auch linke Theoretiker beteiligen. Sie stellen genau solche Fragen und kommen zu einem provokanten Schluss: Die technologische Massenarbeitslosigkeit ziehe bereits herauf und lasse sich nur durch die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens bewältigen, denn mit dem Lohneinkommen würden große Teile der Bevölkerung ihre Existenzgrundlage verlieren.

Im vorliegenden Buch vertrete ich die These, dass die Wiederkehr des Automatisierungsdiskurses in Reaktion auf eine reale, weltweit voranschreitende Tendenz erfolgt: Es gibt schlichtweg zu wenige Jobs. Dieser chronische Mangel an Nachfrage nach Arbeit zeigt sich in wirtschaftlichen Trends wie Konjunkturerholungen ohne Beschäftigungsaufbau, stagnierenden Löhnen und der Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse. Er tritt aber auch in politischen Phänomenen zutage, die eine wachsende Ungleichheit befeuert: in Populismus, Plutokratien und dem Aufstieg einer neuen digitalen Elite, die es auf künstliche Inseln im Meer zieht – und die lieber mit Raketen auf den Mars fliehen möchte, als das Los der digitalen Bauernschaft zu verbessern, die sie auf einem brennenden Planeten Erde zurückzulassen gedenkt.

Blickt man auf die Massen von Obdach- und Arbeitslosen im kalifornischen Oakland einerseits, die Roboter in der Tesla-Fabrik einige Kilometer weiter in Fremont andererseits, drängt sich der Eindruck auf, die Automatisierungstheoretiker müssten richtigliegen. Doch ihre Erklärung, der zufolge ein rasanter technischer Wandel Jobs vernichtet, ist einfach falsch. In den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und erst recht in Ländern wie Südafrika, Indien und Brasilien besteht tatsächlich eine anhaltende Unterbeschäftigung, aber ihre Ursache ist beinahe das Gegenteil dessen, was die Automatisierungstheoretiker anführen.

In Wirklichkeit beschleunigt sich das Wachstum der Arbeitsproduktivität nämlich nicht, sondern lässt nach. Das hätte die Nachfrage nach Arbeit eigentlich steigern sollen, wurde jedoch von einem anderen, folgenreicheren Trend überschattet: Eine zuerst von dem marxistischen Ökonomen Robert Brenner als »langer Abschwung« analysierte Entwicklung – von Mainstream-Ökonomen verspätet als »säkulare Stagnation« oder »Japanisierung« zur Kenntnis genommen – hat das Wachstum von Volkswirtschaften zunehmend gedrosselt. Die Ursache dafür? Seit Jahrzehnten bestehende Überkapazitäten haben den industriellen Wachstumsmotor zerstört, und eine Alternative zu ihm wurde bislang nicht gefunden – am allerwenigsten im Dienstleistungssektor, wo die Beschäftigung nur langsam wächst und der von niedriger Produktivität gekennzeichnet ist.

Mit dem Wachstum der Wirtschaft verlangsamt sich auch das der Beschäftigung, und ebendies – nicht der technologische Wandel – hat die Nachfrage nach Arbeit weltweit gedämpft. Setzt man die Spezialbrille auf, mit der die Hauptfigur in John Carpenters Film Sie leben die Wahrheit hinter den Reklametafeln sehen kann, erkennt man heute leicht eine Welt, die nicht geprägt ist von neuen sauberen, automatisierten Fabriken und Tischtennis spielenden Konsumrobotern, sondern von maroder Infrastruktur und deindustrialisierten Städten, überarbeiteten Pflegekräften und unterbezahlten Verkäuferinnen sowie von einer gewaltigen Aufstauung finanzialisierten Kapitals, das immer weniger Anlagemöglichkeiten findet.

Zur Belebung einer stagnierenden Wirtschaft setzen Regierungen seit fast einem halben Jahrhundert auf Ausgabenkürzungen, unter deren Folgen – unterfinanzierte Schulen, überfüllte Krankenhäuser, heruntergewirtschaftete öffentliche Transportsysteme und Einschnitte in Sozialprogramme – die Bevölkerung zu leiden hat. Gleichzeitig haben sich Staaten, Unternehmen und Privathaushalte angesichts extrem niedriger Zinsen in Rekordhöhe verschuldet. Nicht um in unsere digitale Zukunft zu investieren, wie Alan Greenspan, damals Vorsitzender der US-Notenbank Federal Reserve, mitten in der IT-Blase der späten neunziger Jahre meinte. Vielmehr reichten Firmen das Geld an ihre Aktionäre weiter, während ärmere Haushalte sich mit Krediten über Wasser zu halten hofften.

Aufgrund dieser Trends befindet sich die Weltwirtschaft heute in ausgesprochen schlechter Verfassung, während sie vor einer ihrer größten Herausforderungen steht: der Corona-Rezession. Kaputtgesparte Gesundheitssysteme hatten mit einem Ansturm von Patienten zu kämpfen, aufgrund von Schulschließungen fehlte es vielen Kindern auch an Grundmahlzeiten (und Eltern an dringend benötigter Kinderbetreuung). Unterdessen bricht die Wirtschaft ein. Hochverschuldete Unternehmen sahen ihre Aktienkurse zumindest zu Beginn der Rezession in einem Tempo abstürzen wie zuletzt während der 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosigkeit ist weltweit signifikant gestiegen, in den Vereinigten Staaten sogar in astronomische Höhen, sodass erhebliche Teile der Bevölkerung nicht in der Lage sind, das Geld für Essen, medizinische Versorgung oder das Dach über ihrem Kopf aufzubringen. Trotz umfangreicher geld- und fiskalpolitischer Konjunkturmaßnahmen dürften sich schwache Wirtschaften von dem Schock so schnell nicht erholen. Es ist absehbar, dass die Corona-Rezession den bereits seit geraumer Zeit wirkenden Trend zu wachsender ökonomischer Unsicherheit und Ungleichheit langfristig noch beschleunigen wird.

Genau deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem aktuellen Automatisierungsdiskurs so wichtig: Er hält unserer dystopischen Welt eine utopische Antwort entgegen. Setzen wir Carpenters Spezialbrille einen Moment ab und kehren wir in die Phantasiewelt zurück, in der die Vertreter dieses Diskurses leben. In ihr arbeiten wir alle weniger (wie die Leidtragenden der aktuellen Rezession) und haben trotzdem alles, was wir brauchen; wir verbringen mehr Zeit mit der Familie (aber nicht, weil wir uns zuhause isolieren müssten); Senioren joggen in neuartigen Exoskelett-Trainingsanzügen durch die Parks (statt im Krankenhaus zu sterben); die Luft ist wieder sauber, weil wir zügig auf erneuerbare Energien umgestiegen sind (und nicht aufgrund von Fabrikschließungen und weniger Autoverkehr).

Mit Ausnahme der Trainingsanzüge ist all das schon heute möglich, wenn wir dafür kämpfen. Selbst wenn sich die Automatisierung der Produktion als unmöglich erweisen sollte, können wir die von ihren Theoretikern heraufbeschworene Welt ohne Mangel schaffen.

Mein Interesse an dem Thema speist sich aus zwei unterschiedlichen Quellen; eine reicht tiefer in die Vergangenheit zurück, die andere ist neueren Ursprungs. Wie viele Automatisierungstheoretiker bin ich in den achtziger und neunziger Jahren mit Science-Fiction-Romanen aufgewachsen und verfolgte im Fernsehen, wie die kommunistischen Raumfahrer in Star Trek – The Next Generation die Galaxie durchqueren. Dieses Faible hatte mein Vater bei mir geweckt, der selbst auf dem Gebiet der Automatisierung forschte. Wie viele seiner Kollegen hatte er eine akademische Laufbahn aufgegeben, um sein Glück in der Start-up-Szene der neunziger Jahre zu versuchen. Manche machten damals ein kleines Vermögen, die große Mehrheit indessen nicht: Die meisten Internet-Start-ups gingen pleite, ihren überarbeiteten Programmierern blieb am Ende wenig für die ganze Mühe. Jeden Sommer absolvierte ich in den High-School-Ferien in einer anderen Firma ein Praktikum bei meinem Vater, programmierte mit HTML und Javascript – und kam zu dem...

Erscheint lt. Verlag 10.10.2021
Übersetzer Felix Kurz
Sprache deutsch
Original-Titel Automation and the Future of Work
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aaron Bastani • Armin Nassehi • Banken • edition suhrkamp 2770 • Elon Musk • ES 2770 • ES2770 • Karl Marx • Massenproduktion • Roboter • Silicon Valley • Sozialismus
ISBN-10 3-518-77038-1 / 3518770381
ISBN-13 978-3-518-77038-2 / 9783518770382
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,2 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Die globalen Krisen und die Illusionen des Westens

von Carlo Masala

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
12,99
Wie aktivistische Wissenschaft Race, Gender und Identität über alles …

von Helen Pluckrose; James Lindsay

eBook Download (2022)
C.H.Beck (Verlag)
16,99