Der Meisterdieb -  Michael Finkel

Der Meisterdieb (eBook)

Eine wahre Geschichte von Kunst, Obsession und Zerstörung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-31556-6 (ISBN)
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Der große New York Times-Bestseller über die wahre Geschichte des wohl erfolgreichsten Kunstdiebs, der jemals lebte
»Kunstdiebe sind in den seltensten Fällen auch Kunstliebhaber. Der Elsässer Stéphane Breitwieser ist eine seltene Ausnahme.« Die Zeit

Niemand konnte Kunst so gut stehlen wie Stéphane Breitwieser. Der Meisterdieb erbeutete in den 1990er-Jahren bis in die frühen 2000er Kunstwerke in einem Wert von über 1 Milliarde Euro. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Anne-Catherine Kleinklaus stahl er mehrere Hundert Kunstwerke von Albrecht Dürer, Lucas Cranach dem Jüngeren oder François Boucher aus beinahe 200 Museen und Galerien in Europa. Der »Gentleman-Gauner«, bei dessen Rauben, nie jemand zu Schaden kam, ist allerdings nicht auf das große Geld aus. Ganz dem Schönen verfallen, erweitert er seine beeindruckende private Sammlung im Dachboden des Hauses seiner Mutter, wo er mit seiner Partnerin lebt. Aber wie weit wird er gehen können, um seine Obsession zu stillen?

Michael Finkel zeichnet ein faszinierendes Porträt über Liebe, eine gefährliche Leidenschaft und menschliche Abgründe. Meisterhaft und mit psychologischer Tiefe erzählt er Stéphane Breitwiesers Geschichte und berichtet, was den Dieb aus Passion letztlich zu Fall brachte - und von der wahren Tragödie, die folgte. Mit farbigem Bildteil.

Michael Finkel ist Journalist und Autor von 'True Story - Spiel um Macht', einem Thriller und gleichnamigen Kinofilm (2015). Er schreibt für National Geographic, GQ, Rolling Stone, Esquire, Vanity Fair, The Atlantic und The New York Times Magazine. Finkel lebt mit seiner Familie in Montana. Zuletzt erschien von ihm im Goldmann Verlag Der Ruf der Stille.

1


Stéphane Breitwieser und seine Freundin Anne-Catherine Kleinklaus nähern sich Hand in Hand dem Museum, bereit für die Jagd. Sie schlendern gemeinsam zum Empfang und grüßen freundlich. Ein reizendes Paar. Dann kaufen sie zwei Eintrittskarten, bezahlen in bar und gehen hinein.

Es ist Mittagszeit, Diebstahlzeit, an einem geschäftigen Sonntag in Antwerpen, Belgien, im Februar 1997. Das Pärchen mischt sich unter die Touristen im Rubenshuis, deutet auf Skulpturen und Ölgemälde und nickt anerkennend. Anne-Catherine ist geschmackvoll gekleidet, in Chanel und Dior, Kleidung, die sie in Secondhandläden erstanden hat, über ihrer Schulter eine große Yves-Saint-Laurent-Tasche. Breitwieser trägt ein Button-down-Hemd, das er in den Bund einer modischen Hose gesteckt hat, darüber einen etwas zu weiten Mantel, in einer der Taschen ist ein Schweizer Taschenmesser verstaut.

Das Rubenshuis ist ein elegantes Museum im ehemaligen Wohnsitz von Peter Paul Rubens, dem großen flämischen Maler des 17. Jahrhunderts. Das Paar lässt sich durch Salon, Küche und Speisezimmer treiben, während Breitwieser sich die Seiteneingänge einprägt und die Aufseher im Auge behält. Verschiedene Fluchtrouten nehmen in seinem Kopf Gestalt an. Das Exponat, auf das sie es abgesehen haben, ist im hinteren Teil des Museums untergebracht, in einem Ausstellungsraum im Erdgeschoss mit Messingkronleuchter und hoch aufragenden Fenstern, deren Fensterläden jetzt zum Teil geschlossen sind, um die Kunstwerke vor der Mittagssonne zu schützen. Montiert auf einer reich verzierten Kommode steht hier eine Schauvitrine aus Plexiglas, die mit einem massiven Sockel verbunden ist. Im Inneren der Vitrine befindet sich eine Elfenbeinskulptur von Adam und Eva.

Im Zuge einer einige Wochen zuvor alleine unternommenen Erkundungstour war Breitwieser auf das Stück aufmerksam geworden und dessen Zauber augenblicklich verfallen – die vierhundert Jahre alte Schnitzarbeit strahlt immer noch dieses innere Leuchten aus, das Elfenbein auszeichnet und das ihm geradezu überirdisch erschien. Nach diesem Ausflug konnte er nicht mehr aufhören, an die Skulptur zu denken und von ihr zu träumen, also ist er nun gemeinsam mit Anne-Catherine ins Rubenshuis zurückgekehrt.

Jede Art der Sicherheitsvorkehrung hat irgendeine Schwäche. Die Schwachstelle der Plexiglasvitrine liegt darin, wie er bei seinem Erkundungsbesuch festgestellt hat, dass der obere Teil sich vom Sockel trennen lässt, indem man zwei Schrauben löst. Komplizierte Schrauben, zweifellos, schwer zu erreichen auf der Hinterseite der Box, aber nur zwei. Die Schwachstelle der Wachleute liegt darin, dass sie Menschen sind und Hunger bekommen. Die meiste Zeit des Tages, so hat Breitwieser beobachtet, befindet sich in jeder Galerie eine Aufsichtsperson, die von ihrem Stuhl aus alles im Blick hat. Außer zur Mittagszeit, wenn die Stühle leer sind, während die unterbesetzten Aufseher sich abwechseln, um essen zu gehen, und die Aufsichtspersonen, die Dienst haben, nicht mehr sitzen, sondern in vorhersehbarem Tempo patrouillieren und die einzelnen Räume abgehen.

Touristen sind die ärgerliche Variable. Selbst zu Mittag treiben sich zu viele von ihnen herum. Die beliebteren Räume im Museum zeigen Gemälde von Rubens selbst, doch diese Stücke sind zu groß, um sie sicher stehlen zu können, oder zu düster und religiös für Breitwiesers Geschmack. Im Saal mit Adam und Eva befinden sich Objekte, die Rubens zu Lebzeiten gesammelt hat, darunter Marmorbüsten römischer Philosophen, eine Terrakottaskulptur des Herkules und eine Sammlung niederländischer und italienischer Ölgemälde. Die Elfenbeingruppe des deutschen Schnitzers Georg Petel erhielt Rubens vermutlich als Geschenk.

Während die Touristen kreisen, stellt Breitwieser sich vor ein Ölgemälde und nimmt eine typische Kunstbetrachterpose ein. Die Hände auf den Hüften oder die Arme überkreuzt oder das Kinn in die Hand gestützt. Sein Repertoire umfasst mehr als ein Dutzend Posen, die alle gleichmütige Versunkenheit suggerieren sollen, selbst wenn sein Herz vor Aufregung und Angst wie verrückt schlägt. Anne-Catherine treibt sich vor dem Eingang zum Ausstellungsraum herum, manchmal stehend, manchmal auf einer Bank sitzend, doch stets mit dem Ausdruck beiläufiger Gleichgültigkeit. Sie stellt sicher, dass sie freie Sicht in den dahinter liegenden Korridor hat. In diesem Bereich gibt es keine Überwachungskameras. Im gesamten Museum findet sich nur eine Handvoll, und Breitwieser hat festgestellt, dass jede ein richtiges Kabel aufweist. In kleineren Museen sind die Kameras gelegentlich nur Attrappen.

Bald schon ist das Paar alleine im Raum. Die Verwandlung, wenn Breitwieser seine einstudierte Pose fallen lässt und über die Sicherheitsabsperrung zu der hölzernen Kommode hüpft, ist geradezu explosiv, als gösse man Öl ins Feuer. Er holt das Schweizer Messer aus der Tasche, klappt den Schraubenzieher aus und macht sich an der Plexiglasabdeckung zu schaffen.

Vier, vielleicht fünf Umdrehungen der Schraube. Die Schnitzarbeit ist in seinen Augen ein Meisterwerk, nur etwas mehr als fünfundzwanzig Zentimeter hoch, dennoch von umwerfender Detailtreue, die ersten Menschen blicken einander an, im Begriff, einander zu umarmen, hinter ihnen die um den Baum der Erkenntnis gewundene Schlange, dazu die verbotene Frucht, die sie zwar gepflückt, von der sie aber noch nicht gekostet haben: Die Menschheit am Abgrund zur Sünde. Er hört ein leises Husten – das ist Anne-Catherine – und springt behände und leichtfüßig, beinahe fließend, von der Kommode weg. Wieder nimmt er seine Kunstbetrachterpose ein, während die Aufseherin auftaucht. Das Schweizer Taschenmesser befindet sich wieder in seiner Tasche, der Schraubenzieher ist immer noch ausgeklappt.

Die Aufseherin betritt den Raum und bleibt stehen, dann überfliegt ihr Blick methodisch die Galerie. Breitwieser hält den Atem an. Sie wendet sich ab und ist kaum aus der Türe, als der Diebstahl auch schon wieder in vollem Gange ist. Breitwieser geht schrittweise vor, ein paar Umdrehungen mit dem Schraubenzieher, ein Huster, noch ein paar, dann die nächsten.

Um die erste Schraube zu lösen, bedarf es inmitten des ständigen Auftauchens von Touristen und Aufsichtspersonal zehn Minuten konzentrierter Anstrengung, auch weil der Spielraum für Fehler sehr gering ist. Breitwieser trägt keine Handschuhe, für mehr Gefühl und Fingerfertigkeit nimmt er die Fingerabdrücke in Kauf. Die zweite Schraube ist um nichts einfacher, und in dem Moment, als weitere Besucherinnen kommen, gibt sie schließlich nach, was ihn zwingt, sich wieder zurückzuziehen, die beiden Schrauben in der Tasche.

Anne-Catherine nimmt durch den Raum hinweg Augenkontakt mit ihm auf. Er tippt mit der Hand auf sein Herz, was bedeutet, dass er nun für den letzten Schritt bereit ist und ihre große Tasche nicht benötigen wird. Sie macht sich auf den Weg zum Ausgang des Museums. Die Aufseherin ist bereits dreimal aufgetaucht, und obwohl er und Anne-Catherine sich bei jeder Runde an unterschiedlichen Stellen positioniert haben, ist Breitwieser gestresst. Kurz nach seinem Schulabschluss hat er selbst einmal als Aufseher in einem Museum gearbeitet, und ihm ist bewusst, dass zwar kaum jemand ein so winziges Detail wie eine fehlende oder herausragende Schraube bemerken wird, aber dass jeder anständige Aufseher seine Aufmerksamkeit auf die Menschen richtet. Zwei aufeinander folgende Inspektionsrunden lang im selben Raum zu bleiben und dann einen Diebstahl zu begehen, ist nicht ratsam. Drei Runden grenzen schon an Leichtsinn. Eine vierte aber, die seiner Uhr zufolge in etwas weniger als einer Minute stattfinden wird, darf einfach nicht passieren. Er muss jetzt handeln oder es bleiben lassen. Das Problem ist die Gruppe anwesender Besucher. Er nimmt sie in Augenschein. Sie sind um ein Gemälde gedrängt und tragen alle Kopfhörer mit Audioguides. Breitwieser geht davon aus, dass sie ausreichend abgelenkt sind. Dies ist der kritische Moment – ein Blick von einem der Besucher und sein Leben wäre quasi zu Ende – und er zögert nicht. Es ist nicht das Handeln, so vermutet er, das einen Dieb für gewöhnlich ins Gefängnis bringt. Es ist das Zögern.

Breitwieser tritt an die Kommode, hebt die Plexiglasabdeckung vom Sockel und stellt sie vorsichtig zur Seite. Er greift sich die Elfenbeinskulptur, schlägt die Mantelschöße zurück und schiebt die Arbeit hinter seinem Rücken ein Stück weit in den Bund seiner Hose, dann bringt er den weiten Mantel wieder in Ordnung, sodass die Schnitzarbeit bedeckt ist. Ein kleiner Buckel ist zwar zu erkennen, aber man muss schon sehr genau hinsehen, um ihn zu bemerken.

Er lässt die Plexiglasabdeckung stehen – er will keine wertvollen Sekunden verschenken, indem er sie wieder zurück an ihren Platz stellt – und geht davon, er bewegt sich mit Kalkül, aber nicht mit erkennbarer Eile. Er weiß, dass ein so offensichtlicher Diebstahl rasch auffallen und einen Notfalleinsatz zur Folge haben wird. Die Polizei wird kommen. Das Museum könnte geschlossen, alle Besucher durchsucht werden.

Trotzdem rennt er nicht. Rennen ist etwas für Langfinger und Taschendiebe. Mit Bedacht verlässt er den Ausstellungsraum und schlüpft durch eine angrenzende Türe, die er zuvor entdeckt hat und die nur für Angestellte und Aufsichtspersonal vorgesehen ist. Sie ist weder verschlossen noch alarmgesichert und führt direkt in den zentralen Hof des Museums. Er gleitet über die hellen Steine und entlang einer von Kletterpflanzen überwucherten Mauer, während ihm die Skulptur gegen den Rücken schlägt, bis er schließlich eine weitere Türe erreicht, durch die er wieder im Museum, in der Nähe des Eingangs, landet. Er geht am...

Erscheint lt. Verlag 17.4.2024
Übersetzer Alexandra Titze-Grabec
Zusatzinfo 4-farbige Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2024 • Albrecht Dürer • alte Meister • Arsène Lupin • Beltracchi • Bildende Kunst • Diebstahl • eBooks • Fälscher • François Boucher • Galerie • gefährliche Leidenschaft • Gentleman-Gauner • Gerichtsprozess • Karte und Gebiet • Kunst • Kunstraub • Lucas Cranach • Lupin • Museum • Neuerscheinung • Obsession • Oceans Eleven • Zerstörung
ISBN-10 3-641-31556-5 / 3641315565
ISBN-13 978-3-641-31556-6 / 9783641315566
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